© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Politik in Bars und Kantinen gemacht
Italien I: Obwohl Silvio Berlusconi noch gar nicht wiedergewählt ist, agiert er schon wie ein Regierungschef / Rätseln über Rechtsrutsch
Paola Bernardi

Silvio Berlusconi hält nicht viel von Stillstand: Anstatt seinen Triumph bei den Parlamentswahlen (JF 17/08) auszukosten, ging er bereits zur Tagesordnung über. So empfing der "Cavaliere" seinen Freund Wladimir Putin in seiner Villa Certosa an der Costa Smeralda in Sardinien. Obwohl der postkommunistische Staatspräsident Giorgio Napolitano den zweimaligen Ex-Premier Berlusconi wahrscheinlich erst am 7. Mai mit der Regierungsbildung betrauen wird, agierte Berlusconi bereits wie der neue Regierungschef, denn bei diesem eher legeren Treffen ging es um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Italien ist abhängig vom russischen Erdgas, dieses deckt etwa 40 Prozent des gesamten Energiebedarfs. Schon in der Vergangenheit hatte sich der nun abgewählte Mitte-Links-Premier Romano Prodi mehrfach um eine engere Kooperation mit Moskau bemüht, der clevere Geschäftsmann Berlusconi wittert ebenfalls hier neue Chancen für Italien.

Auch das Thema der defizitären Fluggesellschaft Alitalia stand im Mittelpunkt der Gespräche. Gemeinsam soll nun ein Konsortium von Banken, der russischen Aeroflot und der Air France versuchen, einen annehmbaren Vertrag für Rom auszuhandeln. Berlusconi wird deshalb auch mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy verhandeln.

Über die zuständigen Ministerien hinweg wird Berlusconi wieder seine persönlichen Kontakte nutzen und einen Regierungsstil pflegen, der bei Diplomaten Kopfschütteln erregt. Doch für den 71jährigen zählen nur Resultate.

Der künftige italienische Ministerpräsident weiß nur zu gut, daß harte Zeiten auf die Italiener warten. Schon in seiner ersten Ansprache gab sich Berlusconi ganz staatsmännisch und als nüchterner Pragmatiker. Tiefgreifende institutionelle Reformen zählen zu seinen Prioritäten. Das politische System müsse aber effizienter sowie bürgernäher sein.

Die erste Sitzung des neuen Kabinetts soll symbolischerweise in der "Müllhochburg" Neapel stattfinden, wie Berlusconi es während seiner Wahlkampagne versprochen hatte. Danach will er noch einige Tage daransetzen, um eine Lösung der Abfallkrise zu erzwingen. Mit den angekündigten Steuererleichterungen gingen jedoch auch unpopuläre Entscheidungen Hand in Hand, kündigte Berlusconi an.

Auch die Liste seines Kabinetts steht bereits weitgehend fest - trotz des üblichen Posten-Gerangels. Das Amt des Außenministers wird von dem bisherigen EU-Kommissar Franco Frattini (Forza Italia/FI) besetzt werden. Das Wirtschafts- und Finanzministerium soll zum dritten Mal an Giulio Tremonti (FI) gehen. Der angesehene Mailänder Steuerrechtsprofessor hat gute Kontakte zur Lega Nord, die als drittstärkste Partei erstmals vier Schlüsselministerien erhalten soll. Lega-Chef Umberto Bossi ist erneut als Reformenminister gesetzt, das Innenministerium erhält seine "Nummer zwei", Roberto Maroni. Luca Zaia bekommt das Agrarministerium.

Für internationale Kontroversen dürfte der künftige Lega-Vizepremier sorgen: Roberto Calderoli hatte 2006 bei einem Fernsehauftritt ein Trikot mit den umstrittenen Mohammed-Karikaturen getragen, was später zu gewaltsamen Protesten Tausender Muslime vor dem italienischen Konsulat in der libyschen Küstenstadt Benghazi führte. Dabei kamen elf Menschen ums Leben. Calderoli mußte als Reformenminister zurücktreten - er stieg zum Vizepräsidenten des Senats auf und machte aus seiner Gegnerschaft zum Islam im speziellen und zur illegalen Einwanderung im allgemeinen weiter keinen Hehl.

Die postfaschistische Alleanza Nazionale (AN), die mit Berlusconis FI praktisch im Mitte-Rechts-Wahlbündnis "Volk der Freiheit" (Popolo della Libertà/PdL) aufgegangen ist, soll mit Ignazio La Russa den Verteidigungsminister stellen. Sein AN-Kollege Altero Matteoli wird als Infrastrukturminister gehandelt wird. AN-Chef Gianfranco Fini, einst Führer des Mussolini-treuen MSI, soll Vorsitzender der Abgeordnetenkammer werden.

Währenddessen rollten bei den linken Parteien die politischen Köpfe, Noch-Premier Romano Prodi trat als Chef der erst 2007 gegründeten postkommunistisch-linkskatholischen Demokratischen Partei (PD) zurück. Das aus Kammer und Senat verbannte Linksbündnis Arcobaleno aus Kommunisten und Grünen ist in Auflösung begriffen. Die Politologen rätseln indes über den Berlusconi-Sieg und speziell über den Aufstieg der medial verteufelten Lega Nord. Manche sehen darin eine "Abwehr" gegen die Globalisierung. "Die eigene Heimat rückt näher", so interpretierte der Soziologe Aldo Bonomi das neue Phänomen. Denn viele Bürger fühlten sich von den Linken und den Gewerkschaften verraten. Diese hätten längst den Kontakt zur Basis verloren, lautete der immerwährende Vorwurf.

Die Stärke der Lega sei ihre territoriale Verankerung. "Das fehlt den Kommunisten. Deshalb sind sie gescheitert", meinte der linke Politologe Marco Revelli. Währenddessen machten sich die "Legista" auf die Ochsentour: "Ich ging überall hin, in Osterias, in Handwerksbetriebe und in Industrieanlagen, wo neue Moscheen entstehen - also überall da, wo keiner hinkam", berichtet Giovanni Torri. "Ich habe weder Briefe verschickt noch einen Fernsehauftritt gehabt und auch keine Inserate in Zeitungen geschaltet", so der 47jährige Senator. "Letztlich waren wir die einzigen, die in Bars und Kantinen Politik gemacht haben. Wir hörten, was die Menschen bewegte, und versprachen Änderung."

Das Rezept ist aufgegangen. Vor allem in den Großstädten im Norden - Mailand, Venedig, Turin oder Verona - regiert nun Berlusconis PdL mit der Lega. Dieser neue Wind fegte in der Region Friaul/Julisch-Venetien den bisherigen Präsidenten Riccardo Illy weg. Der frühere linke Bürgermeister von Triest wurde abgewählt und kehrt nun wieder in seinen Kaffee-Konzern zurück. Selbst in Rom konnte Francesco Rutelli nicht im ersten Anlauf den Posten des Bürgermeisters von Rom erringen. Der PD-Aktivist muß sich am 27. April in einer Stichwahl dem AN-Kandidaten Gianni Alemanno stellen.

Foto: Silvio Berlusconi: Erste Kabinettssitzung in der "Müllhochburg" Neapel geplant

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen