© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

"Es ist fünf vor zwölf"
Deutschland steht vor der Energie-, die Welt vor der Klimakrise. Entkommen wir Stromlücke und Treibhauseffekt?
Moritz Schwarz

Herr Professor Umbach, droht uns die "Stromlücke"?

Umbach: Die Gefahr besteht in der Tat.

Minister Steinbrück will davon nichts wissen. Pfeifen im Walde?

Umbach: Die verfügbaren Zahlen geben immer einen gewissen Interpretationsspielraum. Aber es ist eine Tatsache, daß unsere Kraftwerksanlagen zum Teil veraltet sind und der Bau neuer immer wieder blockiert wird.

Die - allerdings nicht unabhängige - Deutsche Energieagentur warnt: In nur vier Jahren werde es in Deutschland nicht mehr genug Strom geben, um die Verbrauchsspitzen zu decken!

Umbach: Ob es nun vier oder acht Jahre sind, dafür will ich mich nicht verbürgen. Entscheidend ist, in Deutschland wird künftig zuwenig Strom erzeugt.

Hat uns die Politik die Misere eingebrockt?

Umbach: Die Politik ist nicht immer an allem schuld. Die Bevölkerung wendet sich gegen Kraftwerksneubauten auf atomarer oder fossiler Basis, zum Beispiel gegen Kern- oder Kohlekraftwerke.

Bundesumweltminister Gabriel sieht einen gewissen Grad politischer Infantilität erreicht: "Wir sind so weit, daß die Bürger glauben, der Strom komme aus der Steckdose."

Umbach: Leider macht sich in der Tat ein erheblicher Teil der Bürger keine Gedanken über technische Fragen, solange nur das Licht brennt, wenn sie den Schalter betätigen. Das Problem wurzelt bei uns aber auch in einem politisch-ideologischen Denken, das nur allzu leicht dazu führt, die Realität aus dem Blick zu verlieren.

Sind wir Deutsche also Zukunftsverweigerer?

Umbach: Zukunftsverweigerung oder Zukunftsgläubigkeit - je nach Sichtweise. Wenn uns Deutschen jemand verspricht: "Das läßt sich alles mit erneuerbaren Energien bewerkstelligen", dann glauben das viele bereitwillig. Tatsächlich aber lügen wir uns in diesem Fall in die Tasche. Leider neigen Menschen mit ideologischen Wunschvorstellungen dazu, allen, die diesen Vorstellungen widersprechen, böse Absichten zu unterstellen. Viele Leute machen sich etwa nicht klar, daß die Politik die Energieerzeuger nicht wie potentielle Bösewichte behandeln kann, weil diese nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten handeln. Dabei sind wir für die Zukunftssicherung auf sie angewiesen. Schaffen wir ein investitionsfeindliches Klima und lassen wir die Versorger gar abwandern, hätten wir aber ein gewaltiges Problem!

In Deutschland herrscht laut "Spiegel" folgende Schachmatt-Situation: "Atom ist zu riskant, Kohle zu dreckig, Sonne und Wind reichen nicht, und Gas macht uns abhängig vom Ausland." Was also tun?

Umbach: Auf Strom verzichten geht nicht, den Verbrauch ausreichend stark einschränken auch nicht. Wir müssen deshalb alle Energieformen einsetzen und Alternativen und Verbesserungen entwickeln. Und zwar weil sich die verschiedenen Energieformen gegenseitig ergänzen und weil alle Vorteile und Nachteile haben.

Also die gute alte Formel vom Energie-Mix?

Umbach: Ja, weil die Dinge komplizierter sind, als die Apologeten der einfachen Patentlösungen uns glauben machen wollen.

Oder aber: Kernfusion! Seit Jahrzehnten wird allerdings teuer geforscht, ohne daß es den Wissenschaftlern bis heute gelungen wäre, das Fusionsfeuer dauerhaft in Gang zu halten.

Umbach: Kernverschmelzung wäre tatsächlich eine prima Lösung. Denn sie erzeugt kein CO2, die Ausgangsstoffe sind nahezu unbeschränkt verfügbar, und die Effizienz sollte hoch sein. Und im Gegensatz zur Kernspaltung entstehen kaum radioaktive Abfälle, und die Gefahr eines GAUs existiert nicht, da die Verschmelzung von alleine zum Erliegen kommt, wenn die Anlage einmal ausfällt. Aber bis zur Serienreife eines Fusionsreaktors wird es noch mindestens vierzig Jahre dauern. Bis dahin müssen wir unsere Energieversorgung anders sicherstellen.

Energie-Mix heißt auch Atomkraft. Also: Ausstieg aus dem Einstieg in den Ausstieg?

Umbach: Ja, aber ich spreche nicht von einem vollen Wiedereinstieg, sondern sozusagen von einem "natürlichen" statt einem erzwungenen Ausstieg. Ich spreche also nicht davon, neue Atommeiler zu bauen, sondern lediglich davon, die bestehenden und funktionstüchtigen Anlagen nicht einfach abzuschalten. Denn das würde nichts als Ressourcen verschleudern und das CO2-Problem erhöhen - denn ein Ersatz durch konventionelle fossile Kraftwerke wäre notwendig, was einen zusätzlichen Ausstoß von 120 bis 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr bedeuten würde.

Die Gefahr eines GAUs ebenso wie die radioaktiven Abfälle, die wir Hunderten von Generationen aufbürden, sind allerdings gerade aus konservativer Sicht völlig inakzeptabel!

Umbach: Alles was wir Menschen tun, ist mit Konsequenzen verbunden! Vermutlich werden aber die Folgen unseres CO2-Ausstoßes für kommende Generationen wesentlich schlimmer sein als die eingelagerten radioaktiven Abfälle.

Wie wäre es mit einem Mix ohne Atom?

Umbach: Erstens reichen die wenigen Jahre, die uns noch bis zum geplanten Abschalten der Anlagen bleiben - außer für Neckarwestheim II ist bis spätestens 2020 für alle Schluß - nicht aus, um alternative Lösungen zum Einsatz zu bringen. Und zweitens stellen die Kernkraftwerke die wichtige Grundversorgung des Stromnetzes Tag und Nacht zur Verfügung! Da könnten nur fossile Kraftwerke aushelfen - und dann sind wir wieder beim CO2.

Was hat sich die Politik dabei gedacht, als sie vor Jahren den Ausstieg beschloß?

Umbach: Wir leben in einer Demokratie, und da sind politische Meinungen und Mehrheiten, nicht jedoch technische oder wirtschaftliche Faktoren ausschlaggebend.

Die Frage ist, ob die Politik mit der Atomkraft auch unsere Autarkie aufgibt?

Umbach: Es ist im Prinzip in Ordnung, wenn wir auch Energie aus dem Ausland beziehen. Das erhöht sogar bis zu einem gewissen Grad unsere Flexibilität und Versorgungssicherheit. Aber wir müssen natürlich eine gewisse Grundversorgung aus eigenen Kräften garantieren können. Das ginge auch mit fossiler Energie, zum Beispiel mit Kohle. Gas läßt sich zwar effizienter in Strom umwandeln als diese, macht uns aber von Rußland abhängig. Öl liegt energetisch zwischen Gas und Kohle, macht uns aber vom Mittleren Osten abhängig. Und: Gas und Öl gehen - zumindest, was die leicht abzubauenden Vorkommen angeht - in etwa einem halben Jahrhundert zur Neige. Dann werden erst die Preise in die Höhe schießen, und schließlich wird die Versorgung knapp werden. Kohle hat zwar weniger Energieeffizienz, reicht dafür aber noch Jahrhunderte. Doch wie bei Gas und Öl auch kommt es zu klimaschädlichen CO2-Emissionen, die wir bis heute einfach nicht im Griff haben.

Alternative Energie kennt weder radioaktive oder Kohlendioxid-Probleme noch politische Abhängigkeit.

Umbach: Das stimmt. Aber die Photovoltaik liegt trotz enormer Subventionierung bei uns unter einem Prozent Anteil. In der zweiten Variante der Sonnenenergie, der Solarthermie, steckt dagegen noch ein erhebliches Potential - aber wohl eher für die sonnenreichen südeuropäischen Länder. Das Küstenland Norwegen deckt 95 Prozent seines Strombedarfs durch Wasserenergie. Für uns sind da aber wohl nur ein paar Prozent drin. Windkraft ist dagegen ein wesentlicher Faktor, bei uns gut fünf Prozent, und sollte - am besten im europäischen Rahmen und vor allem an den Küsten - weiter ausgebaut werden. Ihr Problem ist aber die Unregelmäßigkeit, Stichwort: Flaute. Die Geothermie, also die Erdwärme, hat ebenfalls noch Potential, wird aber auch nur ein Stein im Mosaik bleiben. Dagegen bietet die Biomasse der zweiten Generation - also Bioreststoffe und Bioabfälle wie Stroh- oder Holzreste - noch einiges an Entwicklungsmöglichkeit. Doch der Biomasseeinsatz der ersten Generation - also Bioethanol und Biodiesel - stößt bereits massiv an seine Grenzen, wie die Meldungen über die Preissteigerungen für Lebensmittel und Hungerrevolten beweisen, weil Bauern "Biosprit" statt Lebensmittel anbauen.

Zum letzten großen Stromausfall in Deutschland kam es am 4. November 2006.

Umbach: Ursache waren technische Fehler, mit denen immer mal zu rechnen ist.

Private Anbieter - verantwortlich war E.on - neigen eben zu Einsparungen und Flexibilität auf Kosten der Stabilität. Die Erfahrungen mit der Privatisierung in den USA zeigen, daß dem ökonomischen Primat unterworfene Netze höhere Ausfallquoten haben. Gehört also die Energieversorgung nicht in öffentliche Hand?

Umbach: Unter dem Strich ist Privatisierung wichtig, weil sie Flexibilität erhöht und Preise senkt. In Deutschland greift allerdings die Politik wesentlicher häufiger ein  als in den USA. Bei uns ist also durchaus von einem Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft zu sprechen, womit wir besser gegen die negativen Auswirkungen der Privatisierung geschützt sind als die Amerikaner, gleichzeitig aber ihre Vorteile genießen.

Der Strompreis ist zwischen 2000 und 2008 von 13,9 auf 20,6 Cent pro Kilowattstunde gestiegen. Weitere Steigerungen wurde eben angekündigt. Gas wird von Rußland für 16 Euro gekauft. Der deutsche Verbraucher aber zahlt 44 Euro. Von welchen Vorteilen sprechen Sie?

Umbach: Man muß natürlich auch die allgemeinen Preissteigerungen oder etwa die rasanten Kostensteigerungen der Rohstoffe oder im Anlagenbau einberechnen. Und was das Gas angeht, ein einfacher Transport quer durch Rußland kann durchaus günstiger sein als die komplizierte Verteilung bei uns.

Letzte Woche haben 36 kommunale Versorger in einem gemeinsamen Appell die Politik aufgerufen, Stadtwerke nicht länger zu benachteiligen. Sollten wir nicht auf Dezentralität statt auf das Kartell der großen Vier setzen?

Umbach: Es stimmt, daß Stadtwerke Nachteile haben. Etwa genießen sie nicht den gleichen Zugang zum Markt wie die Großen. Und immer mehr Stadtwerke werden von den Großen gekauft. Aber eine dezentrale Struktur kann nicht so kostengünstig arbeiten wie eine zentrale. Im Sinne des Wettbewerbs würde ich daher eine Unterstützung der Kleinen befürworten, aber keinesfalls eine völlige Dezentralisierung des deutschen Energiewesens.

Der Energiehunger der Welt wächst ständig. Kommt es darüber zu der globalen Krise, die viele befürchten?

Umbach: Ich hoffe nicht, aber ich halte es für möglich. Deshalb ist wichtig, daß wir Alternativen entwickeln, die wir eines Tages zum Beispiel den Chinesen anbieten können, wenn deren Energiequote einen kritischen Punkt erreicht hat. "Nebenbei" können wir damit auch noch viel Geld verdienen!

Was passiert, wenn das nicht gelingt?

Umbach: Dann sind alle möglichen Horrorszenarien denkbar. Am bekanntesten sind die Verschärfung des Klimaproblems durch CO2-Ausstoß und die damit verknüpften regionalen Unwetterkatastrophen. Immerhin baut China derzeit zwei Kohlekraftwerke pro Monat! Krisen könnten aber auch durch zuwenig Energie, durch Energieengpässe entstehen. Oder durch Verschmutzung und Verseuchung infolge ungehemmter Erzeugung nutzbarer Energie. Denkbar sind auch Krisen durch Wassermangel, denn etwa Biomasse oder Kühltürme brauchen viel Wasser, das dann den Menschen fehlen könnte. Oder aber durch den Kampf um die zur Energieumwandlung notwendigen Ressourcen. All das kann zu Umweltkatastrophen, Weltwirtschaftsschwankungen, Hunger, Krankheiten, Aufständen, im schlimmsten Fall sogar zu Kriegen führen. Ich will aber nicht schwarzmalen, und selten kommt es so schlimm wie befürchtet, aber daß es für uns alle fünf vor zwölf ist, darüber sollten wir uns nicht täuschen.  

Foto: Energieversorgung: "In Deutschland wird künftig zuwenig Strom produziert werden"

 

Prof. Dr. Eberhard Umbach ist Vizepräsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Karlsruhe. Geboren wurde er 1948 in Bad Lauterberg im Harz.

 

Deutsche Physikalische Gesellschaft: Bis 1. April war Eberhard Umbach Präsident der ältesten und größten Physikalischen Gesellschaft der Welt. Gegründet 1845 in Berlin, hat die ehrwürdige DPG ( www.dpg-physik.de ) heute rund 55.000 Mitglieder und ihren Sitz in Bad Honnef. Ihre Aufgabe ist die Förderung der verschiedenen Zweige der Physik.

 

Forschungszentrum Karlsruhe: Das FZK, eine Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands, ist mit 3.800 Mitarbeitern eine der größten deutschen natur- und ingenieurswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen. Gegründet 1956, widmet man sich heute ebenso Fragen der Kernenergie wie der alternativen Energiegewinnung und der Klima- und Umweltforschung.

 

Sonnenenergie und Biomasse der 2. Generation: Im Vergleich zu der herkömmlichen Nutzung von Sonnen- und Bioenergie - Photovoltaik und "Biosprit" - ist die zweite Generation dieser Techniken noch weit weniger bekannt. Während die Photovoltaik Licht in Strom wandelt, verwandelt die Solarthermie Sonnenenergie direkt in Wärme - entweder passiv, nämlich durch eine solarthermische Bauweise der Häuser, oder aktiv durch solarthermische Kollektoren. Mit Biomasse der zweiten Generation sind herkömmliche organische Abfälle (statt eigens angebautem Raps etwa) gemeint, die - extrem verdichtet - energetisch genutzt werden.

 

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