© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Wenn Kenan Kolat von Kanaken spricht
Ausländerpolitik: Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Integration präsentieren Lobbyisten einen bunten Strauß von Forderungen an den deutschen Staat
Victor Gaché

In Özgür Yıldırıms Film "Chiko" werden zwei Türken gezeigt, typische Jungs aus dem untersten Migrantenmilieu, das dem Produzenten Fatih Akın so am Herzen liegt. Der eine, Chiko, macht Karriere als Drogendealer, der andere, Tibet, als Konsument. Beide vergeigen so auf ihre Art ihr Leben.

Kein Wunder. Chiko und Tibet sind zwei Komplettversager, die nur Unsinn im Kopf haben und nicht mal richtig deutsch reden können. Sie sprechen sich beispielsweise immer nur mit "Digger" und "Alter" an. Da nützen auch die Ermahnungen von Tibets Mutter nichts. Die Sache ließe sich mit "Selber schuld" abhaken, wenn es nicht die politische Korrektheit gäbe. Denn es ist nicht politisch korrekt, die Gescheiterten ihrem Schicksal zu überlassen.

Nein. Die "Gesellschaft" muß dem neuen Proletariat aus den Einwandererghettos heraushelfen, so verlangen es etliche Zeitgenossen, allen voran die sozialdemokratischen Bildungspolitiker, die plötzlich den "benachteiligten" ausländischen Jugendlichen entdeckt haben. Sie fordern immer neue Projekte, damit die angebliche Ungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem beseitigt werden kann.

Hier ist ein Blick hinter die Kulissen: Kajo Wasserhövel (SPD) zieht eine Schnute. Der Staatssekretär im Arbeitsministerium war vergangene Woche zu Gast bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in deren Berliner Zentrale. Es geht um die "Bildungsoffensive in der Einwanderungsgesellschaft".

Die neue offizielle Haltung der SPD hört sich etwa so an: Die Pisa-Studie hat nicht in erster Linie das Versagen ihrer Bildungspolitik zutage gefördert. Vielmehr hat sie aufgezeigt, daß Migrantenkinder vernachlässigt werden, weil die Mehrheitsgesellschaft sich zu lange vor der Einsicht gedrückt hat, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist. "Das Bewußtsein, daß wir ein Einwanderungsland sind, muß sich noch ändern", sagt Wasserhövel. Und schon stimmt das Weltbild wieder.

"Das Testat für unser Bildungssystem war schlecht bis katastrophal", das kann Wasserhövel unter diesen Bedingungen sogar freimütig einräumen. Der Anteil deutscher Kinder ohne Abschluß betrage sieben Prozent, bei ausländischen Kindern aber 16,8 Prozent. Und schon haben wir das, was für Wasserhövel und die versammelten SPD-Bildungsexperten eine "strukturelle Ungerechtigkeit" darstellt. Er könne unglaublich viele Projekte aufzählen, aber an den grundsätzlichen Problemen werde sich nichts ändern. Zu diesen Projekten gehört der "Ausbildungsbonus". Wasserhövel erläutert diese Maßnahme: Firmen, die "benachteiligte Jugendliche" in Ausbildung nehmen, bekommen 6.000 Euro Zuschuß. "Es gibt alle möglichen Projekte über etliche Fördertöpfe, aber die strukturellen Schwächen werden dadurch nicht ausgeglichen."

Neben Wasserhövel sitzt Kenan Kolat, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Ein mächtiger Lobbyist, dessen Wort Gewicht hat in der Debatte über die Integration von Zuwanderern. Und ein jovialer Mann, der gerne mal - ganz unkorrekt - von Kanaken spricht. Kein Deutscher würde sich das hier je trauen.

Kolat macht, was sein Job ist: Er stellt umfassende Forderungen auf. Er will eine Quotenregelung für Ausländer. "Wir müssen das im öffentlichen Dienst erreichen", meint er. Die Wunderwaffe gegen die angebliche Benachteiligung ist gefunden: ein Quotensystem nach amerikanischem Vorbild. Dort wird in verschiedenen Fällen teilweise schon seit Jahrzehnten nicht mehr nach Leistung, sondern nach Hautfarbe, Geschlecht, oder Religion entschieden. Affirmative action heißt dieses Programm zur Bevorzugung von bestimmten Minderheiten. Wasserhövel nickt mit dem Kopf. "Aufstieg durch Bildung ist ein sozialstaatliches Versprechen, doch das ist so nicht möglich", faßt er die Lage zusammen. "Man braucht etwas von der Qualität", sagt er und zeigt auf Kolat.

Die Brandenburger Ausländerbeauftragte Karin Weiss ist begeistert. Sie hat noch andere gute Ideen auf Lager. Bei der beruflichen Weiterbildung solle nur noch Geld an Träger gezahlt werden, die nachweislich die "kulturelle Öffnung" (ein anderes Zauberwort aus der Schatzkiste der Politischen Korrektheit) vorantreiben. Und schon hagelt es weitere Nachforderungen. Kolat will "an jeder Schule zwei bis drei Sozialarbeiter". Außerdem möchte er bei der Vergabe von staatlichen Aufträgen mitreden, die mit Integration zu tun haben.

Insgeheim fragt sich Wasserhövel vielleicht, ob er da die Büchse der Pandorra geöffnet hat. Nach außen gibt er sich unbeteiligt - auch als andere Konferenzteilnehmer diese Forderungen aufnehmen. Eine Araberin fordert neue Jobs für Sozialpädagogen mit Migrationshintergrund. Und Weiss wünscht sich eine Verstetigung der "Integrationsarbeit", also die dauerhafte Alimentierung von Lobbygruppen.

Es gibt noch viel zu tun für die Friedrich-Ebert-Siftung und Kajo Wasserhövel. Und natürlich für den deutschen Steuerzahler.

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