© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Der neue Garant der Verfassung
Rußland: Auch unter dem künftigen Präsidenten Medwedew wird das Verhältnis zum Westen nicht einfacher / Anerkennung als gleichberechtigter Staat
Wolfgang Seiffert

Wenn am 7. Mai Dmitri Anatoljewitsch Medwedew als neuer russischer Präsident vereidigt wird, wird von den Vollmachten, über die der 42jährige dann verfügt, die wichtigste - und vielleicht zukunftsträchtigste - die sein, das er nun "Garant der Verfassung" ist (Artikel 80 Abs. 2). Diese Verfassung (angenommen durch ein Referendum vom 12. Dezember 1993) ist jener Rechtsakt, mit dem die politischen Umwälzungen, die zum Untergang der Sowjetunion und zur Entstehung der Russischen Föderation führten, stabilisiert wurden und zugleich Rechtsstaatlichkeit und die Rechte und Freiheiten der Bürger garantiert werden.

Abgesehen von einigen unbedeutenden Änderungen der territorialen Gliederung, die zur Reduzierung der Rechtssubjekte der Föderation von 89 auf 83 führte, ist die Verfassung in den vergangenen 15 Jahren nie geändert worden. Wladimir Putin hat sie in seinen acht Amtsjahren buchstabengetreu eingehalten einschließlich der Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden - auch wenn viele Beobachter im Westen ihm dies bis zuletzt nicht glauben wollten. Doch wer die Geschichte dieser Verfassung kannte und ihre stabilisierende Wirkung begriff, konnte nie daran zweifeln, daß der Präsident der Russischen Föderation die Verfassung seines Landes einhalten und verteidigen wird, wie ihm das sein Amtseid auferlegt.

Dies gilt ohne jeden Zweifel auch für den anerkannten Rechtswissenschaftler Medwedew. Schon in seinen programmatischen Reden während des Wahlkampfes betonte er, daß das Privateigentum und die Unabhängigkeit der Gerichte gestärkt werden müßten, er kündigte einen Kampf gegen den weitverbreiteten Rechtsnihilismus an. Putin hält es sogar für wahrscheinlich, daß Medwedew den zu acht Jahren Straflager verurteilten Ex-Chef des Jukos-Ölkonzerns, Michail Chodorkowski, begnadigt. Daraus leiten manche im Westen ab, man werde mit dem neuen Präsidenten besser auskommen als mit Putin. Doch Medwedew wird als Präsident nicht weniger penibel auf die Einhaltung des Rechts in den internationalen Beziehungen achten als Putin. Und dies nicht nur auf seiner Seite, sondern er wird auch die westlichen Staaten an ihrer Einhaltung des internationalen Rechts messen.

Als Medwedew kürzlich in Belgrad weilte, versicherte er, Rußland werde in der Kosovo-Frage (JF 9/08) auch künftig an den Normen des internationalen Rechts festhalten und eine Sezession des Kosovo von Serbien gegen den Willen Belgrads niemals akzeptieren. Der Westen wird also nur dann Chancen auf bessere Beziehungen mit Rußland haben, wenn er seine Beziehungen zu diesem Land endlich auf die Basis normaler Beziehungen zwischen gleichberechtigten, souveränen Staaten umstellt, die ihre eigenen Interessen legitim vertreten.

Diplomatische Eklats wie den 2007 in Samara (als Angela Merkel das Vorgehen der russischen Ordnungskräfte gegen Demonstranten kritisierte) oder völkerrechtswidrige Anerkennungen wie im Kosovo oder Aufrufe der Bundeskanzlerin im Europarat, bei der Verfolgung von Menschenrechten müsse man sich uneingeschränkt in anderen Staaten einmischen, sind damit unvereinbar. Die immer wieder betonte strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Rußland kann so nicht gedeihen. Wer neue Chancen nutzen will, muß selbst neu denken und handeln.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht der Uni Kiel und lehrte danach am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen