© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Pankraz,
G. Schneider und der Tod im Museum

Darüber braucht man an sich kein Wort zu verlieren: Das Trachten des Mönchengladbacher Ereigniskünstlers Gregor Schneider, einen sterbenden Menschen ins Museum zu verlegen und sein Sterben der "kunstinteressierten" Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist nicht einmal eine Schnapsidee. Es ist eine Frechheit, eine Dummheit und eine Schamlosigkeit. Schon der wichtigtuerische Pseudo-Ernst, mit dem das "Projekt" zur Zeit in den Medien "diskutiert" wird, erregt Widerwillen.

Das Sterben ist die allerintimste Angelegenheit, die uns widerfährt. Jeder hat das Recht, für sich allein zu sterben, respektive umgeben und umhegt von seinen Liebsten und Vertrautesten. Viele, speziell überzeugte Zen-Buddhisten in Japan, bevorzugen übrigens den einsamen "anonymen Tod" im überfüllten "Sterbezimmer" eines geschäftigen Krankenhauses. Sie verabschieden sich von ihren Liebsten und lassen sich vom Krankenpfleger ins Sterbezimmer abschieben. Dort, so meinen sie, "als Krieger unter Kriegern", kommt man am leichtesten hinüber.

Irgendein existentiell unbeteiligtes Publikum, ob nun "echt kunstinteressiert" oder nur einfach auf grelle Unterhaltung begierig, ist beim Sterben durchaus unerwünscht und verletzt die Menschenwürde. In früheren, gewissermaßen vormedialen Zeiten waren die Hinrichtungen von verurteilten Verbrechern, Ketzern oder Staatsfeinden öffentlich, man "ging" zu ihnen, wie man heute zum Fußballspiel geht. Aber das war (Pankraz hat schon einmal darüber geschrieben) eine abstoßende und ekelerregende, eine letztlich völlig unmenschliche Konstellation, von der man glauben durfte, sie sei heute glücklich überwunden.

Leider haben die Fortschritte der Elektronik den schönen Glauben wieder ins Wanken gebracht. In den USA gibt es seit Jahren eine Debatte darüber, ob man die Hinrichtung von verurteilten, landesweit bekannten Serienmördern nicht "aus volkspädagogischen Gründen" im Fernsehen übertragen sollte. Bisher überwogen die Bedenken, doch das Aufkommen von YouTube hat die Hemmschwelle inzwischen wahrscheinlich beseitigt. Die auf YouTube zu besichtigende Hinrichtung von Saddam Hussein vor anderthalb Jahren markierte die neue Lage.

Immerhin, es geht da "nur" um (mehr oder weniger zu Recht) verurteilte Verbrecher, denen die Würde genommen wird. Und als Rechtfertigung wird - wie bei den öffentlichen Hinrichtungen in alten Zeiten - ein erzieherischer Effekt in Anspruch genommen. Das Publikum soll sehenden Auges das Wirken der Gerechtigkeit erfahren und von bösen Taten intensiv abgeschreckt werden. Nichts davon beim "Sterben im Museum" à la Mönchengladbach.

An die Stelle der Gerechtigkeit tritt hier "die Kunst", welche ja - gerade nach Meinung von modernen Ereigniskünstlern wie Gregor Schneider - keineswegs ein vorab moralisches, erzieherisches Institut ist, sondern eher ein ethischer Gemischtwarenladen. Kriterium für Kunst ist in dieser Perspektive nie und nimmer mehr das Gute, nur noch das "Interessante", das Aufregende, das den Alltag schneidend Unterbrechende.

Mit anderen Worten: Zwischen dieser Art von Kunst und der Befriedigung plattester Unterhaltungsbedürfnisse, der Gier nach dem Event, besteht nicht der geringste Unterschied mehr. Es ist wie beim tagtäglichen Fernsehen, wo im abendlichen "Tatort" die Sterbenden bekanntlich massenhaft und in allen nur möglichen Sterbelagen vorgeführt werden. Man fragt sich verzweifelt, warum jetzt auch noch im Museum gestorben werden soll, wo doch schon allabendlich im Fernsehen gestorben wird.

Freilich, im "Tatort" wird, wie jeder weiß, das Sterben lediglich simuliert, im Museum würde, wenn Schneider seinen Sterbekandidaten endlich fände, in "Realzeit" gestorben, wirklich und gleichsam zum Anfassen. Andererseits aber würde - und darin liegt die eigentliche, die wahrhaft obszöne Pointe des "Projekts" - doch nicht einfach gestorben wie im Sterbezimmer des Krankenhauses, sondern das Sterben würde (Museum!) extra ausgestellt, d.h. zum Begaffen freigegeben, als wäre ein Sterbender nichts weiter als eine beliebige Installation, eine mit Fett eingeschmierte leere Badewanne von Joseph Beuys etwa.

Unsere Museen sind ja längst keine erhabenen Orte mehr, wo nur antike Statuen, Rembrandt-Gemälde und ähnlich geheiligte Dinge zu bestaunen sind. Es hat, wie seinerzeit Hermann Lübbe glorios analysierte, im Zeichen des modernen Lebenstempos und des ewigen Auswechselns von banalen Gebrauchsgegenständen eine "Musealisierung des Alltags" stattgefunden. Immer mehr Schrott hat Aufnahme in die Museen gefunden, und so liegt es nur in der Logik der Sache, daß nun auch der Mensch im Zustand seines Abtretens und Überholtwerdens Aufnahme finden soll. Katalognummer Null.

Ob sich je ein Sterbender melden wird, der freiwillig für Gregor Schneider ins Museum geht? Ganz freiwillig wohl nicht, doch es sind Situationen denkbar, wo jemand seinen Erben etwas Gutes tun will und sein Sterben regelrecht an die Museen verkauft, so wie bestimmte Freunde der Wissenschaft ihren gestorbenen Körper fürsorglich an die Anatomien verkaufen. Hohe Summen könnten so erwirtschaftet werden, wenn sich zum Beispiel ein populärer "Promi" zum musealen Sterben entschlösse. Das könnte ein Riesen-Event geben, und die Museen könnten ihre Einnahmen drastisch steigern.

Im Ernst: Das ereigniskünstlerische Projekt "Sterben im Museum" ist durch und durch frech, dumm und schamlos. Man kann sich nicht einmal richtig darüber empören. Als einziger Weg, um es elegant aus der Welt zu schaffen, bleibt wohl nur eines: Ein begabter Schauspieler meldet sich bei Schneider als sterbender Schwan und simuliert furios das eigene Sterben, so daß viel Publikum herbeiströmt - und dann, im besten Augenblick, steht er auf und ruft gutgelaunt "April, April". So etwas käme das Museum allerdings ziemlich teuer.

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