© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Umweltschutz und Verzichtsethik
Volker Kempf führt kenntnisreich in Leben und Werk des konservativen Ökologen Herbert Gruhl ein
Hubert Bjarsch

Der Koalitionsvertrag ist zwar noch nicht endgültig abgesegnet, aber das schwarz-grüne Experiment in Hamburg kann als begonnen gewertet werden. Damit könnte die Biographie des Soziologen und Vorsitzenden der Herbert-Gruhl-Gesellschaft, Volker Kempf, über den grünen, naturkonservativen Gründervater und Namensgeber seiner Institution eine noch größere Aktualität gewinnen.

Wer Herbert Gruhl reden hörte, wußte sofort, woher dieser kam, sofern er Gruhls heimatliche Gegend kannte: das Bergland südlich von Bautzen, wo die Oberlausitzer Mundart gesprochen wird, auszumachen am genüßlich weich über die Zunge gerollten R. 1921 wurde Herbert Gruhl dort als Bauernsohn geboren. Schon in jungen Jahren arbeitete er in der Landwirtschaft mit, aber er wurde auch ein "Bücherwurm". 1947 bestand er das Abitur als Externer an der Bautzener Wilhelm-von-Polenz-Schule, die heute Schiller-Gymnasium heißt. Zuvor hatte Gruhl Soldat sein müssen, hatte aus der Kriegsgefangenschaft 1946 aber flüchten können.

Volker Kempf hat sehr weitgreifend und sorgfältig recherchiert und legt ein zeitgeschichtliches Werk vor, das weit über eine Biographie hinausgeht. Er beginnt mit den geistigen Grundlagen des wissenschaftlichen und politischen Wirkens Gruhls. Dieser begann 1947 sein Studium an der Ost-Berliner Humboldt-Universität in den Fächern Germanistik, Philosophie, Geschichte und Anglistik. Drei Semester später wechselte er zur West-Berliner Freien Universität. Gruhl schrieb seine Dissertation über Hugo von Hofmannsthal. Kempf analysiert diese in großer Ausführlichkeit, was für manchen Germanisten ein Leckerbissen sein dürfte.

Gruhl stand der geistig erstickenden sozialistischen Diktatur ebenso ablehnend gegenüber wie zuvor schon der nationalsozialistischen - dieses gleich seinem Philosophielehrer Hans Leisegang. Beide hatten im vermeintlich Gegensätzlichen die mörderische Verwandtschaft der beiden Totalitarismusvarianten erkennen müssen. Dem heutigen Zeitgeist mit seinen meinungsdiktatorischen Ambitionen ist solche Erkenntnis verhaßt, weil dieses Monster sich dadurch ertappt sieht, beherbergt es doch selbst längst den Bazillus totalitaris, begierig darauf, eine neue Epidemie auszulösen, sobald die gesellschaftlichen Abwehrkräfte genügend erlahmt sind.

"Ein Planet wird geplündert": Dieses erste Hauptwerk Gruhls erschien 1975 und wurde zum Bestseller. Daraufhin hoffte Gruhl, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die rasant zunehmende Plünderung der für die Erdbevölkerung lebensnotwendigen, aber leider begrenzten Ressourcen auch politisch umsetzen zu können, dies zunächst in der CDU, der er seit 1954 angehörte. In der CDU Helmut Kohls sah er jedoch die ökologische Vernunft den Interessen der Wirtschaftslobby geopfert. 1978 trat Gruhl aus seiner Partei aus und wurde Mitbegründer der Grünen. Dort strömte Ende der siebziger Jahre eine höchst heterogene Ansammlung von besorgten Umweltschützern, konfusen Alternativen und Anarchisten sowie konsequenten Kommunisten aus den "K-Gruppen" zusammen. Auch Dunkelmänner diverser Geheimdienste fehlten nicht. Die auf Honeckers Gehaltsliste standen, agierten besonders rührig.

Beispiel Berlin: Hier galt es, Honeckers "Drei-Staaten-Lösung" voranzutreiben: Deutschland sollte dreigeteilt sein in DDR, BRD und drittens "Westberlin", das mit der Bundesrepublik nichts mehr zu tun haben sollte, um es später bei passender Gelegenheit schlucken zu können. Entsprechend säuberlich war die Parteienlandschaft zu ordnen. Honecker exerzierte es mit seiner eigenen Partei vor: In der DDR die SED, in "Westberlin" die SEW und in der BRD die DKP. Entsprechend sollte es für die neue Bewegung in der BRD die Grünen geben, in "Westberlin" nur die unabhängige AL (Alternative Liste) und in der DDR gar nichts, weil sich deren extrem umweltschädigendes Regime selbst als "besten Umweltschützer" deklarierte.

Der in West-Berlin bestehende offizielle Landesverband der Grünen mußte daher von einem auffallend bereitwilligen Bonner Bundesvorstand aufgelöst werden. Um das zu erreichen, wurde eigens eine "Neonazi-Unterwanderung" erfunden - eine absurde These. Aber in der Polit-Phantasie der DDR Propagandisten gab es für jeden Bedarf Neonazis stets in beliebiger Menge, hatten sie gegen diese doch sogar einen "antifaschistischen Schutzwall" errichten müssen. Heute ist die frühere Berliner AL ganz selbstverständlich Landesverband der grünen Bundespartei, was sie damals ums Verrecken nicht werden wollte.

Solcher Polit-Zirkus war natürlich alles andere als das, was Herbert Gruhl gewollt hatte. Der war schon 1981 aus der Partei Die Grünen ausgetreten und 1982 Bundesvorsitzender der ÖDP geworden, einer unchaotischen Partei mit ernsthafter ökologischer Zielsetzung, die aber neben der lärmenden grün-alternativen Szene keine Chance hatte. Kaum hatte die ÖDP die ersten bescheidenen Wählerprozente errungen, wurde auf sie auch schon das Feuer eröffnet mit den so beliebten und bewährten Rechtsextremismusverdächtigungen. "Blut und Boden", wurde geunkt und "Ja, ja, der deutsche Wald" gehöhnt etc.

Hinter diesem oft so albern wirkenden Krakeelen verbirgt sich stets ein ganz klarer politischer Wille: der des Neomarxismus. Für unsere Gegenwart liest es sich bei Kempf so, als sei das nach dem kläglichen Scheitern des "real existierenden Sozialismus" eigentlich nicht mehr zu erwarten. Jedoch macht derzeit der Kapitalismus einen ziemlich morbiden Eindruck, besonders in den von der platzenden Spekulationsblase geplagten USA. Der Marxismus wird ohnehin aber schon deshalb nicht sterben, weil er eine Grundsehnsucht nach "sozialer Gerechtigkeit" bedient. Gegen die störende Vergangenheit mit ökonomischem und ökologischem Versagen und vor allem mit den millionenfachen Massenmorden der Genossen Stalin, Mao Tse-tung und Pol Pot gibt es ein probates Mittel: Verdrängen! Für Deutschland wurde hierfür ein besonders effizienter Dreh gefunden: Die Erwähnung der Massenmorde linker Täter wird politisch geächtet, weil sie eine "Relativierung" der NS-Verbrechen bedeuten würde.

Nach Gruhls zweitem Hauptwerk "Das irdische Gleichgewicht" (1982), erschien 1992 sein drittes, "Himmelfahrt ins Nichts", ein Jahr vor seinem Tod. In diesem letzten Werk verblieb Herbert Gruhl in Melancholie nach dem Scheitern aller Bemühungen um eine Wende in der Politik hin zur Ökologie. Bisher ächzend in Gang gekommene Umweltschutzmaßnahmen sind leider völlig unzureichend.

Inzwischen hat sich landläufig die Erkenntnis durchgesetzt, daß wir auf einem kleinen Himmelskörper mit nicht unendlichen, sondern in jeder Hinsicht endlichen Ressourcen leben. Dafür sind dann zwei gegensätzliche Szenarien denkbar. Einmal der Untergang der Menschheit in der globalen Katastrophe nach chaotischen Verteilungskriegen um Nahrung und Trinkwasser, um die letzten fossilen Energieträger. Auch die massenhaft gehorteten Kernwaffen dürften dann kaum ungenutzt bleiben. Der Gegenentwurf: geordnetes Erreichen eines globalen Gleichgewichts durch rechtzeitige konsequente Vorbereitung, durch ein unbedingtes Primat der Ökologie für alle Politik.

Gruhl wußte, was das bedeuten mußte: ökonomisches Sich-Abfinden mit Nullwachstum, dafür Entwicklung einer Verzichtsethik. Wir erleben jedoch täglich, daß das Gegenteil geschieht. Die Politik setzt weiter ungeniert auf Wirtschaftswachstum. Die zivilisatorischen Ansprüche werden immer weiter gesteigert, auch bei uns hier durchaus noch, nun aber auch explosionsartig in der Milliardenbevölkerung Chinas und Indiens, und die bereits auf über 6,5 Milliarden angewachsene Menschheit vermehrt sich beschleunigt weiter.

Beängstigend, dies alles, und für eine Rettung müßten wir schon auf Wunder hoffen - zum Beispiel, daß doch noch die "Zähmung" der Kernfusion möglich würde, um uns aller Energiesorgen zu entheben. Andere Wunder müßten hinzukommen, und zwar in Serie.

Solche Spekulationen findet man bei Kempf nicht, und das ist gut so. Kempf legt ein seriöses wissenschaftliches Werk der Umweltsoziologie vor, basierend auf großer Detailkenntnis und geprägt von analytischer Schärfe: ein Muß für Soziologen, Politologen und Philosophen, sehr zu empfehlen darüber hinaus jedem, der sich für seine Kinder und Enkel um die Zukunft sorgt, um die es gar nicht gut steht. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Menschheit noch gerettet werden könnte, ist nicht mehr groß. Sie wäre größer, hätte man rechtzeitig auf Herbert Gruhl gehört.

Foto: Herbert Gruhl (Dritter von links) und grüne Mitbegründer um 1980: "Ja, ja, der deutsche Wald"

Volker Kempf: Herbert Gruhl - Pionier der Umweltsoziologie im Spannungsfeld von wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Realität. Ares Verlag, Graz 2008, broschiert, 348 Seiten, 29,90 Euro

 

Dr. Hubert Bjarsch ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Berlin. Er war 1984 bis 1985 Landesvorsitzender der Berliner Grünen.

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