© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Entscheidung in Beirut
Präsidentenwahl im Libanon
Günther Deschner

Der Amtssitz des libanesischen Präsidenten ist seit 24. November 2007, als das Mandat von Émile Geamil Lahoud endete, verwaist. Das Machtvakuum erfüllt die Region mit Sorge. Bislang 18 Versuche, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen, sind fehlgeschlagen. Laut Parlamentspräsident Nabih Berri soll das Parlament nun am 13. Mai "endgültig" einen Nachfolger wählen.

Hintergrund der Krise ist ein Machtkampf zwischen dem pro-westlichen und anti-syrischen Lager um Premier Fuad Siniora und dem pro-syrischen Oppositionsbündnis, dem auch die radikal-schiitische Hisbollah angehört. Zwar hat man sich auf Druck der Arabischen Liga bereits auf Armeechef Michel Sulaiman geeinigt. Der General ist, wie es der Religionsproporz vorschreibt, ein maronitischer Christ. Doch gleichzeitig verlangt die libanesische Verfassung, daß hohe Beamte nur dann in ein Staatsamt gewählt werden können, wenn sie zwei Jahre zuvor ihre Ämter niedergelegt haben. Deshalb muß die Verfassung geändert werden.

Zudem werfen Saudi-Arabien und Ägypten, die "Schutzmächte" der Sunniten, den arabischen Brüdern in Damaskus vor, sie hintertrieben die Wahl. Diese Kritik  wird auch von dem Sunniten Siniora sowie von Washington und Berlin geteilt. Doch die Hisbollah und der mit ihr verbündete Christ und Ex-General Michel Aoun blockierten die Wahl aus eigenem Interesse. Sie wollen, daß künftig alle großen politisch-religiösen Lager gleichberechtigt im Kabinett vertreten sind. Es ist vor allem die Hisbollah, die so auf mehr Einfluß hofft. Um die Dreiteilung zwischen Hariri-Block, Lager des Präsidenten und Opposition (Aoun und Hisbollah) nicht zu kippen, dürfe der Präsident kein Stimmrecht genießen. Das aber wollen der Hariri-Block und seine Verbündeten verhindern, obwohl sich nach Ende des Bürgerkriegs vor 18 Jahren alle Parteien verpflichteten, den alten Religionsproporz aufzuheben.

Seine Abschaffung würde die Hisbollah begünstigen, welche die inzwischen größte Bevölkerungsgruppe vertritt. Daran haben weder die sunnitisch-arabischen Staaten noch der Westen ein Interesse. Doch ohne Änderung des Proporzes wird sich die Dauerkrise im Libanon nicht grundlegend lösen lassen. Vor diesem Hintergrund ist es fast schon von untergeordnetem Interesse, ob das Parlament nun am 13. Mai einen Präsidenten kürt, sondern von welchen politischen Veränderungen diese Wahl begleitet wird. Wenn es stimmt, daß der von der Arabischen Liga ausgearbeitete Plan zur Wahl Sulaimans auch die Bildung einer Allparteienregierung und eine Wahlrechtsreform vorsieht, kann es spannend werden.

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