© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

"Ein Dämon war in mich eingedrungen"
Reisen in eine andere Welt: Zum Tod des Schweizer Chemikers und LSD-Entdeckers Albert Hofmann
Thorsten Thaler

Die Wirkung setzte nach vierzig Minuten ein: "Beginnender Schwindel, Angstgefühl. Sehstörungen. Lähmungen, Lachreiz." Albert Hofmann konnte nur noch mit Mühe verständlich sprechen. Er bat seine Laborantin, ihn nach Hause zu begleiten; dort angekommen, sollte sie den Hausarzt verständigen. Schwindel und Ohnmachtsgefühl waren so stark geworden, daß Hofmann sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, er mußte sich aufs Sofa legen. Was er dann erlebte, hielt er später in einem Bericht fest: "Meine Umgebung hatte sich nun in beängstigender Weise verwandelt. Alles im Raum drehte sich, und die vertrauten Gegenstände und Möbelstücke nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Sie waren in dauernder Bewegung, wie belebt, wie von innerer Unruhe erfüllt."

Was Albert Hofmann jedoch noch mehr Pein bereitete, waren die Veränderungen, "die ich in mir selbst, an meinem inneren Wesen, verspürte. Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äußeren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten, schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen." Hofmann sprang auf, schrie wild um sich, eine furchtbare Angst packte ihn. "Ich war in eine andere Welt geraten, in andere Räume mit anderer Zeit."

Der Dämon, der an diesem Tag im April 1943 über den Willen Hofmanns triumphierte, war die halluzinogene Substanz Lysergsäurediäthylamid, kurz: LSD. Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann hatte sie fünf Jahre vorher selber erstmals im Rahmen von Arzneimittelforschungen mit dem Getreidepilz Mutterkorn synthetisch hergestellt, ohne dabei auf die bewußtseinsverändernden Wirkungen des Stoffes zu stoßen. Erst bei dem späteren Selbstversuch offenbarte sich ihm das ganze Ausmaß seiner Entdeckung. Daß die patentierte "Wunderdroge", die bis Anfang der sechziger Jahre zu psychotherapeutischen Zwecken eingesetzt wurde, hernach in der Hippie-Ära zu einem "Genußmittel" mutierte, stieß bei Hofmann auf heftige Kritik. Deswegen bezeichnete er später LSD auch als sein "Sorgenkind".

Albert Hofmann wurde 1906 in Baden im Schweizer Kanton Aargau geboren. Nach einem Chemiestudium an der Universität Zürich und der Promotion arbeitete er von 1929 bis zu seiner Pensionierung 1971 für das pharmazeutische Unternehmen Sandoz in Basel. Seine Entdeckung brachte ihn in Verbindung mit einigen berühmten Zeitgenossen, darunter den britischen Schriftsteller Aldous Huxley ("Schöne Neue Welt"), der Mitte der fünfziger Jahre in seinen essayistischen Büchern "The Doors of Perception" (1954; dt. "Die Pforten der Wahrnehmung") und "Heaven and Hell" (1956; dt. "Himmel und Hölle") die rauschhaften Zustände und Veränderungen der Sinneswahrnehmung nach der Einnahme halluzinogener Drogen wie Meskalin und LSD beschrieben hat.

Besonders prägte Albert Hofmann aber das literarische Werk und die Persönlichkeit Ernst Jüngers, mit dem er von 1947 an ein halbes Jahrhundert lang in engem Kontakt stand; der Wissenschaftler zählte zu den wenigen Duz-Freunden Jüngers. Eine gemeinsame LSD-Erfahrung im Februar 1951 verarbeitete Jünger in seiner Erzählung "Besuch auf Godenholm" (1952), das letzte LSD-Experiment der beiden fand Anfang 1970  in Wilflingen statt. Jünger veröffentlichte die dabei gemachten Notizen in seinem Buch "Annäherungen. Drogen und Rausch" (1970). Als der Jahrhundertschriftsteller 1998 im Alter von 102 Jahren starb, gehörte der damals schon hochbetagte Freund selbstverständlich zur Trauergemeinde. Vergangene Woche nun hat auch Albert Hofmann seine letzte Reise angetreten. Er starb am 29. April, ebenfalls mit 102 Jahren.                  

Literaturempfehlung: Albert Hofmann, LSD - Mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer "Wunderdroge", Klett Cotta, Stuttgart, gebunden, 224 Seiten, Abbildungen, 19 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen