© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Revolution als Einkaufsmeile
Die "taz" und die Rudi-Dutschke-Straße: Ein letzter Nachtrag zur 68er-Debatte
Bernd Rabehl

Schafft ein, zwei, drei, viele Dutschkestraßen" plakatierte die taz in der Berliner Innenstadt. Sie wollte an Dutschkes "zwei, drei, viele Vietnams" erinnern. Die Revolutionen, die die amerikanische Großmacht destabilisieren sollten, werden auf die Farce oder die Banalität von Straßennamen reduziert. Das ist die endgültige Beerdigung des Revolutionärs Dutschke.

So wie die untergegangene DDR an Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht in Plätzen und Straßen erinnerte, um deren Individualismus, radikalen Anti-Leninismus und das Aufbegehren gegen den Bürokratismus in Partei und Gewerkschaften zu verdecken, so wird der 68er-Studentenführer Dutschke heute auf ein "Event", auf Glanz und Glamour verdünnt. Polit-Clowns und Feuerschlucker traten auf dem "Pressefest" der taz aus Anlaß der Umbenennung der Koch- in die Dutschkestraße auf. Es gab Bratwurst, Döner und Salat. "SängerInnen" trällerten ihre Liedchen. Die grüne Linksprominenz kam zuhauf und demonstrierte Garderobe. Eine politisch korrekte und pro-imperialistische Zeitung feierte sich selbst und versteckte ihre Werbekampagne hinter dem Namen "Dutschke".

Wie wenig die Redakteure an diesen Revolutionär erinnern wollen und wie sehr sie auf ein "Marketing" mit diesem Namen erpicht sind, belegt die Ausgabe vom 11. April, zum Gedenktag an das Attentat auf Dutschke vor 40 Jahren. Die einen gaben freimütig zu, daß Dutschke ihnen nichts bedeutete. Die anderen fummelten an einem "Mythos", der irgendeine Identität oder Tradition mit "Achtundsechzig" stiften sollte. Der Weggefährte von Dutschke und Hintertreiber seiner Ideen, Christian Semler, quälte sich ein paar Zeilen über "Basisgruppen" und "Rätedemokratie" aus der Feder. Der Thälmannkader, dem die Revolutionstheorie von Dutschke geradezu suspekt und feindlich war und der alles daransetzte, sie zu zerreden und aufzulösen, tat so, als wäre er nicht dabeigewesen, und schrieb deshalb aus der Ferne über eine Person, die er gar nicht zu kennen schien.

Bei derartigen Chimären und Lügen wird es wichtig sein, an den revolutionären Habitus und das Gedankengut von Dutschke zu erinnern. Er war überzeugt, daß die Aufteilung der Welt von 1945 durch die Großmächte in Teheran, Jalta und Potsdam in den sechziger Jahren in die Brüche ging. Die Kolonialrevolutionen in Vietnam und Lateinamerika zerschlugen den hegemonialen Anspruch der USA in Asien und im eigenen "Vorhof". Der Ostblock verlor durch Mißwirtschaft und Despotie die Führungskraft und trudelte in Aufstände, Streiks und letztlich in den Kollaps von Macht hinein. Diese zwei Revolutionen sollte eine dem Anspruch nach freiheitsbewußte Opposition für Westeuropa übersetzen. Hier bildeten die "schwachen Glieder" die Hochschulen, Bildung, Jugend und die Lethargie der Macht-eliten die Einfallstore einer Revolution im Westen. Sie stand unter dem Primat der radikalen "Demokratisierung", um nicht die "alte Scheiße" zu wiederholen. Diese Revolutionstaktik umriß die "zwei, drei, vielen Vietnams", die Che Guevarra eingeklagt hatte und die Dutschke nun für Westeuropa skizzierte. Heute, wo Europa in die Kriegs- und Krisengebiete Vorderasiens verschoben wird, wäre daran zu erinnern.

Die Thälmannkader blieben damals fasziniert von der DDR und der "großen Sowjetunion", von China und der puren Machtpolitik. Nach 1990 wurden ihre Signale verstanden. Sie hatten die "Kulturrevolution" in China und Kambodscha gefeiert, wo die jungen Genossen von der Partei aufgerufen wurden, die alten Generationen in Staat, Armee und Partei abzulösen. Ein paar Millionen der alten Generationen wurden liquidiert. Im geeinten Deutschland bot man den ewig jugendlichen "Kämpfern" Stellen und Pensionen an, falls sie die Position zu wechseln bereit waren und sich einreihten in die "Einheitsfront" der Machthaber. Die antiimperialistischen Streiter mutierten zu feinen Damen und Herren in den oberen Etagen des Staates. Sie feierten die neuen Kriege und die unterschiedlichen Militärinterventionen in vielen Ecken der Welt als "Friedensdienst". Jetzt gehörten sie zur  "Kriegspartei" und unterstützten die Ziele der nordamerikanischen Großmacht.

Aus einer linken publizistischen "Graswurzelrevolution" schälte sich die taz heraus, die durch alle ihre kleinen Frechheiten und Provokationen trotzdem nicht verleugnen kann, daß sie an der langen Leine des neuen Opportunismus lief. Die Freiheit des Wortes und der Kritik hat sie längst aufgegeben. Nun soll "Dutschke" als Einkaufsmeile mit Sonderangebot zu einer "taz-Straße" verkommen und außerdem noch deren Anpassung an die Mächtigen kaschieren. Springer läßt grüßen. Sein Konzept hat nun "würdige" Nachahmer gleich nebenan gefunden.        

 

Prof. Dr. Bernd Rabehl, Jahrgang 1938, lehrte Soziologie an der Freien Universität Berlin. Er gehörte bis 1968 dem Bundesvorstand des SDS an und war engster Vertrauter Rudi Dutschkes.

Foto: Plakat bei der Umbenennung der Kochstraße in Berlin-Kreuzberg in Rudi-Dutschke-Straße am 30. April 2008: Eine politisch korrekte und pro-imperialistische Zeitung feierte sich selbst

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