© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Strotzend vor Gedanken gegen den Strich
Das Opus magnum des Historikers und Naturphilosophen Reinhard Falter besticht durch pointierte Analyse, die sich leider in der Materialfülle verliert
Wolfgang Saur

Als Summe zehnjähriger Arbeit am Thema der Natur-Kultur-Symbiose legt der Ökologe Reinhard Falter sein Opus magnum vor: ein episches Riesenwerk, das die Geschichte der Prägungstheorien seit der Antike bis zur Gegenwart referiert.

Die gewaltige Studie fragt nach Umfang und Gewicht natürlicher Faktoren, die das Menschsein bestimmen, will so einen Beitrag leisten zur "Geophilosophie". Die widersteht der Erosion naturgegebener Erlebnisformen in Zeiten der Globalisierung und bekämpft eine Entortung, die das Unverfügbare leugnet und die räumliche Dimension unseres Lebens zerstört. Im ideologischen Fokus solchen "Raumexorzismus" steht die aggressive Entsorgung von Heimat als Inbegriff positiver Identität. So gerät dem Autor die planetarische Moderne zur Entfremdungsgeschichte, der Homo faber zu ihrem Agenten. Gegen ihn exponiert Falter das Prinzip, daß "der Mensch von der Landschaft, in der er lebt, geprägt wird, und zwar (...) durch eine tiefe, innerliche Entsprechung".

Wenn er von da aus nicht wirklich zur Entfaltung einer echten Kulturtheorie und Anthropologie kommt, die dem komplexen Ineinandergreifen von Menschlichem und Natürlichem gerecht würde, so deshalb, weil der Antiplatonist Falter den Vorrang des Geistes in Gestalt eines subjektiven oder objektiven Idealismus abweist und die Natur selbst zur primären Größe hypostasiert. Als "Naturalist" aber verliert er die christlichen oder idealistischen Kulturkritiker als Bundesgenossen und isoliert sich weltanschaulich, was ihn dem erdfreudigen Nietzsche nahebringt, dessen spätem Voluntarismus indes wieder entfernt. Mehr entspricht ihm Ludwig Klages, der hier zustimmend gewürdigt wird. 2003 hatte Falter ihm eine ganze Monographie gewidmet. Klages' antispiritualistische, "biozentrische" Metaphysik mit ihrem In-Eins leiblicher und seelischer Kräfte motiviert nun auch die pauschale Zurückweisung der abendländisch religiösen Tradition als "jüdisch-christlicher Pseudomorphose". Alternativ dazu entwirft Falter den Menschen als "Mikrokosmos- und Geniusträger" und verweist so auf die alte Signaturenlehre. Um so bedauerlicher, daß der gelehrte Autor diese, etwa am Beispiel des Paracelsus, nicht systematisch rekonstruiert.

Das rührt ans Manko des großen Werkes. Falter schüttet ungeheures Wissen aus, gestaltet dabei jedoch einen Diskurs, der nur wenig überzeugt. Übersicht, Transparenz, Profil vermißt man durchgängig. Statt sich auf klassische Autoren und deren Position zu beschränken, frönt die Darstellung einer problematischen Stoffhuberei, streut Tausende Namen aus und transportiert massenhaft historischen Schutt. Statt präzise den systematischen Gehalt der Ideen zu exponieren, stellt sich der Text über weite Strecken dar als Collage aus Zitat und Meinung, vielfältigen Bezüglichkeiten und ausufernden Assoziationen. Zudem fehlt jede Anschaulichkeit, die elementar zur literarischen Agenda gerade bei diesem Thema gehört hätte. Oft entsteht der Eindruck, der Autor schlachte sein Archiv beliebig nach uferlosen Belegen aus.

So überdimensioniert sein Diskurs quantitativ hier, versiegt aber fast dort, wo die Darstellung wirklich tief ausgreifen sollte. Ausgerechnet Größen wie Alexander Humboldt oder Wilhelm Riehl bleiben unterbelichtet. Anderswo halst sich der Autor Themenkomplexe auf, die den Rahmen seines Unternehmens sprengen, so die Geschichte des Rassegedankens im 19. und 20. Jahrhundert oder Hitlers "Weltanschauung". Andere Kapitel gelingen besser, so zu Alfred Rosenberg oder einer historischen Erörterung des Judentums. Positiv ins Gewicht fallen immer wieder schlagende Pointen zu Zeitkritik, Modernisierungsdiagnose und Metapolitik. Also bietet das Werk zahlreiche lesens- und  bedenkenswerte Teilaspekte und bleibt doch unverdaulich im ganzen. Es wird nicht klar, für welchen Leser dieser enorme Datenaufwand eigentlich erbracht wurde. Der interdisziplinäre Blick in Ehren, doch die Werkgestalt bleibt seltsam unbestimmt: weder systematische Ideengeschichte oder Enzyklopädie von Personen und Werken noch globalisierungskritischer Traktat. So ist dem Leser zu wünschen, er möge sich entnehmen, was er aktuell braucht, dem Autor jedoch, daß er den Mahlstrom von Gedanken und Namen bei einer Neuauflage energisch restrukturiere.    

Reinhard Falter: Natur prägt Kultur. Der Einfluß von Landschaft und Klima auf den Menschen: Zur Geschichte der Geophilosophie. Telesma-Verlag, München 2007, gebunden, 608 Seiten, Abbildungen, 69,80 Euro

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