© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Die unendliche Vorgeschichte
Rolf Steininger beleuchtet den Palästina-Konflikt aus der Sicht deutscher Generalkonsuln vor 1939
Herbert Ammon

Wunder sind in der Geschichte nicht auszuschließen. Das gilt selbst für den von US-Präsident George W. Bush zum Ende seiner Karriere angestrebten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, der Schlüsselfrage im nahöstlichen Krisenensemble. Angesichts der unendlichen, nahezu unentwirrbaren Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts von der Balfour-Deklaration (2. November 1917) bis zum Scheitern der letzten von Amtsvorgänger Bill Clinton vermittelten Friedensinitiative im Juli 2000 (Camp David II und die "Roadmap") ist Skepsis geboten.

Zur Erhellung der Vorgeschichte mag der von dem Innsbrucker Historiker Rolf  Steininger herausgegebene Band mit Berichten des deutschen Generalkonsulats in Jerusalem aus den 1920er bis 1930er Jahren dienen. Es handelt sich um die Fortsetzung einer 2004 erschienenen Edition der Berichte österreichischer Generalkonsuln in Jerusalem. Deren Präsenz im Heiligen Land endete am 21. März 1938, als der Amtsträger Ivo Jorda bei seinem deutschen Kollegen Walter Döhle ein Dienstgelöbnis auf den "Führer des Deutschen Reiches und Volkes" ablegte. Schon am 12. März, am Tage des Einmarsches der deutschen Truppen in Österreich, hatte er eine Hakenkreuzfahne erbeten und bei einer Vereinigungsfeier am 16. März eine Ansprache gehalten, die "großdeutsch im besten Sinne des Wortes (war) und auf die deutsche Kolonie und auf die Parteigenossen einen guten Eindruck gemacht (hat)."

Die Datierung der Dokumente ab 1924 erscheint nicht ganz plausibel, insofern der erste Bericht eines Reisenden (geheim!) vom 9. Februar 1921 stammt. Trotz mehrmonatigen Aufenthalts erlag der anonyme Verfasser, dem "im allgemeinen das Verhältnis zwischen Juden und Arabern viel besser (erschien)" als  anderen Beobachtern, einer Fehleinschätzung. Im Mai 1921 kam es in Jaffa zu ersten Unruhen, bei denen 43 Juden ermordet wurden. Danach ernannten die Briten, seit 1920 Mandatsmacht, den Moslemführer Amin al Husseini zum Mufti von Palästina. Gegenüber moderaten Arabern wie dem von den Briten im von Palästina abgetrennten Transjordanien als Emir eingesetzten Haschemiten-Sproß Abdullah, trat Husseini, selbsternannter "Großmufti von Jerusalem", als intransigenter Feind des Zionismus und des Judentums im allgemeinen hervor. Als mutmaßlicher Anstifter von Massakern in Jaffa, Hebron und anderen Orten im August 1929 sprach er vom "Heiligen Krieg".

Die blutigen Unruhen in Palästina hatten sich an Streitigkeiten an der Klagemauer entzündet. Über die Ereignisse in Jerusalem berichtete der deutsche Vizekonsul: "Die beiden Parteien standen sich bei diesen Ausschreitungen an Zügellosigkeit nichts nach: Während in den arabischen Stadtteilen regelrecht Jagd auf Juden gemacht wurde, schlugen in den jüdischen Stadtteilen, wie ich selbst beobachten konnte, die mit Knüppeln, Eisenstangen und Steinen bewaff-neten Juden wahllos jeden Fellachen auf offener Straße nieder. Die Polizei stand diesen Vorgängen, die zahlreiche Tote und Verwundete forderten, völlig machtlos gegenüber. (...) Bei Ausbruch der Unruhen befanden sich in ganz Palästina 140 englische Polizisten, der Rest waren Araber und Juden, auf die angesichts des Charakters der Tumulte keinerlei Verlaß mehr war."

Eine Konfliktanalyse unternahm ein paar Monate danach (14. November 1929) der mit dem Zionismus sympathisierende Generalkonsul Erich Nord. Die Zwischenfälle an der Klagemauer, inszeniert von orthodoxen Juden, seien für Araber und "den religiös desinteressierten Zionismus" nur der Auslöser des seit Jahren schwelenden Konflikts gewesen. Mit der Balfour-Deklaration im Rücken nähmen die einwandernden Zionisten wenig Rücksicht auf die Gefühle der Einheimischen. "Die jüdischen Immigranten hielten sich in völliger Verkennung der realen Verhältnisse für die Beglücker des Landes." Die Araber, mit geringem Verständnis für "die europäischen Kulturerrungenschaften", fühlten sich an die Wand gedrängt. Die jüngsten Anstrengungen der Jewish Agency "unter Mitwirkung der amerikanisch-jüdischen Finanzwelt" habe die arabischen Politiker "aller Parteischattierungen" alarmiert und sie "mit einer für Araber ungewöhnlichen Konsequenz" zu Boykott- und Protestaktionen veranlaßt.

Das Problem wurzelte in der zionistischen Einwanderung. Im Jahr 1929 lag die Zahl der eingewanderten Juden unter 200.000, ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Palästinas (einschließlich Transjordaniens). Da die jüdischen Führer eine Majorisierung durch die Araber befürchteten, lehnten sie den von der britischen Mandatsverwaltung angestrebten binationalen Staat ab. Innerhalb des Zionismus stand Chaim Weizmann als Befürworter  dieses Konzepts ziemlich allein da. Nicht nur der "extrem rechte Flügel der sogenannten Revisionisten", die radikale Gruppe des polnischen Zionisten Wladimir Jabotinsky, sondern auch Führer "anderer Parteischattierungen",  vor allem die diversen Sozialisten, vertraten die Auffassung, "daß es eine wirklich befriedigende Lösung des künftigen Verhältnisses zwischen Juden und Arabern überhaupt nicht geben werde".

Nach  Hitlers Machtübernahme verschärfte sich die Situation. Die Araber, allen voran der Großmufti, bejubelten das "neue" Deutschland, verwünschten andererseits die davon ausgelöste neue Einwanderungswelle. Die Mandatsmacht Großbritannien, deren Vertreter in Jerusalem ungeniert über den "Idioten" Balfour wetterten, changierten zwischen einem Teilungsplan (Peel-Kommission 1937), der einen schmalen jüdischen Staat, einen größeren für die Palästinenser sowie ein internationalisiertes Jerusalem vorsah, und einem Gesamtstaat samt gedrosselter jüdischer Einwanderung. Damit schürten sie aber nur die Unzufriedenheit in beiden Lagern.

Als sich der arabische Unmut 1936/38 in einer anhaltenden Aufstandsbewegung entlud, verfuhren die Briten nicht zimperlich. An die 100 Aufrührer wurden gehängt, die Anführer auf die Seychellen deportiert, die Häuser der Aktivisten gesprengt. Am 23. Dezember 1938 richtete ein Führer der Aufstandsbewegung, "der Diener des Vaterlandes und der Religion, der Glaubenskämpfer" Joseph Said Abu Darra, "von den Höhen der Berge und Hügel Palästinas" einen Appell an "Adolf Hitler, den großen Führer Deutschlands, der seiner Nation unvergängliche Ehre und Ruhm geschaffen hat", er möge die palästinensische Sache in "ganz Europa zu Gehör bringen".

Im Hinblick auf die Tendenz, die von Goebbels angeordneten Pogrome am 9. November 1938 als deutsche Massenaktion zu deuten, sei aus einem Bericht des NS-frommen Generalkonsuls Döhle zitiert: Die jüdische Presse habe versucht, "die deutsche Volksempörung als organisierte Regierungsmaßnahme hinzustellen. Sie brachte sogenannte Tatsachenberichte, die den Anschein der Objektivität erwecken sollen."

Steiningers Dokumenten-Edition verlangt dem Leser einiges an Vorkenntnissen ab. Eine weniger an den Dokumenten orientierte Darstellung des Palästina-Konflikts wäre hilfreich gewesen. Die Erläuterungen sind knapp ausgefallen. Selbst dem Fachpublikum dürften Namen wie Nuri Es-Said, als irakischer Ministerpräsident 1958 ermordet, Abd el-Kader (im Register unerwähnt), Nachfahre des algerischen Freiheitskämpfers, oder Rabbi Stephen Wise, aus Ungarn stammender amerikanischer Zionist, nicht immer geläufig sein. Ansonsten bietet das Buch mit 100 Seiten Bildmaterial und einigen Faksimiles eine großartige historische Fundgrube.

Rolf  Steininger (Hrsg.): Der Kampf um Palästina 1924-1939. Berichte der deutschen Generalkonsuln in Jerusalem. Olzog Verlag, München 2007, gebunden, 532 Seiten, Abbildungen, 49 Euro

Foto: Die zeremonielle Parzellierung eines Geländes bei Tel Aviv, auf dem neue Häuser für die Neusiedler entstehen sollen, um 1918: Immigranten hielten sich für die Beglücker des Landes

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