© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Das Sparta des Nahen Ostens
Ein bedrohtes Land im ständigen Ausnahmezustand: Die kriegerische Geschichte Israels von 1948 bis heute
Michael Wiesberg

Der Vorgang stellte ein Menetekel für die weitere Geschichte Israels dar: Am 14. Mai 1948 verkündete Israels späterer Ministerpräsident David Ben Gurion gemäß dem UN-Teilungsplan von 1947 die Unabhängigkeit Israels; 24 Stunden später befand sich der neue Staat bereits mit einer Koalition arabischer Staaten im Kriegszustand. Es folgte ein etwa 15 Monate andauernder Unabhängigkeitskrieg, in dessen Verlauf die gerade erst formierten israelischen Streitkräfte die Angreifer nicht nur zurückwerfen, sondern auch große Gebietsgewinne verbuchen konnten. Das Waffenstillstandsabkommmen des Jahres 1949 spiegelt den Sieg Israels wider: Die Küstenebene, Galiläa und der gesamte Negev kamen unter israelische Herrschaft. Judäa und Samaria (das heutige Westjordanland) wurden jordanischer und der Gazastreifen ägyptischer Verwaltung unterstellt. Jerusalem wurde geteilt, und zwar in einen von Jordanien kontrollierten Ostsektor mit der Altstadt und einen israelischen Westsektor. Dieser israelische Unabhängigkeitskrieg führte aber auch zur Flucht von etwa 700.000 Arabern (vor allem palästinensischen Arabern) aus ihren Siedlungsgebieten und zur Vertreibung von etwa 800.000 Juden aus den arabischen Staaten des Nahen Ostens, von denen etwa zwei Drittel in Israel integriert werden konnten.

Um die Umstände der Flucht der Palästinenser (Vertreibung oder Flucht) ist ein innerisraelischer Streit entbrannt (sogenannter "Israelischer Historikerstreit"). Die "Neuen Historiker" wie Ilan Pappé oder Tom Segev behaupten unter anderem, daß die Errichtung des Staates Israel mit der gewaltsamen Vertreibung eines Teils der arabischen Bevölkerung einhergegangen sei. Warum diese Diskussion so erregt geführt wird, liegt auf der Hand: Läßt man sich nämlich auf die Argumente der "Neuen Historiker" ein, kommt man nicht umhin, der Republik Israel eine nicht unerhebliche Mitverantwortung für den Nahostkonflikt und das palästinensische Flüchtlingsproblem zuzuschreiben. Das Recht auf Rückkehr könnte den Palästinensern dann kaum mehr verweigert werden. Die Rückkehr dieser Flüchtlingsgruppen aber, die eine der höchsten Geburtenraten der Welt aufweisen, wird in Israel als direkte Existenzbedrohung vehement abgelehnt.

Nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges setzte in Israel eine Phase des Aufbaus ein, die immer von der Gefahr neuer militärischer Konfrontationen überschattet war. Der Ausnahmezustand, in dem sich Israel seit seiner Gründung befindet, hat ein besonderes staatliches Gebilde hervorgebracht, einen kriegerischen Staat, der mit gewissem Recht als "modernes Sparta" bezeichnet werden kann. Daran hatten zwei Persönlichkeiten Anteil, die dem jungen jüdischen Staat ihren Stempel aufdrückten, nämlich Ben Gurion als erster Premierminister Israels und Chaim Weizmann, der Leiter der Zionistischen Weltorganisation, den die Knesset zum ersten Staatspräsidenten wählte.

Die nächste militärische Herausforderung Israels sollte denn auch nicht lange auf sich warten lassen, sie mündete in einer direkten Konfrontation mit Ägypten, Jordanien und Syrien bzw. in den Suezkrieg des Jahres 1956. Ägypten, unter der Führung von Gamal Abdel Nasser, blockierte den Golf von Akaba und sperrte den Suezkanal für israelische Schiffe. Die Verstaatlichung des Suezkanals durch Nasser rief aber auch Großbritannien und Frankreich auf den Plan, die unter anderem den Verlust der Kontrolle des Suezkanals befürchteten. Israel begann Ende Oktober 1956 mit den Kampfhandlungen in Form der Invasion des Gazastreifens und der Sinai-Halbinsel. Großbritannien und Frankreich forderten Ägypten ultimativ auf, zehn Meilen hinter den Suezkanal zurückzuweichen und damit die ganze Sinai-Halbinsel zu räumen. Nasser lehnte ab und lieferte damit Großbritannien und Frankreich den Vorwand, militärisch zu intervenieren. Die totale ägyptische Niederlage verhinderten vor allem die USA, die eine Intervention der Sowjetunion fürchteten, deshalb die britisch-französische Intervention verurteilten und beide europäische Staaten zum Rückzug zwangen. So ging Nasser aus diesem Krieg sogar noch gestärkt hervor.

Ob und inwieweit der Sechstagekrieg von 1967 ein Präventiv- oder Angriffskrieg Israels war, ist bis heute umstritten. Die Fakten liefern Argumente für beide Sichtweisen. Die Allianz mehrerer arabischer Staaten, die 1967 unter der Führung Nassers zustande kam, führte zu einem massiven Truppenaufmarsch im Sinai und an den Golanhöhen. Außerdem ließ Ägypten die Straße von Tiran für israelische Schiffe blockieren.

Israel reagierte mit einem massiven Militärschlag (5. bis 10. Juni 1967), der zu einer totalen Niederlage der ägyptisch-jordanisch-syrischen Koalition führte; der Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem werden durch israelische Truppen besetzt. Israel wird in der Folge in der UN-Resolution 242 zur "Rückgabe von besetzten Gebieten" aufgefordert. Diese Forderung sieht es durch die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten allerdings als erfüllt an, ist doch in der Resolution nicht von der Rückgabe "aller besetzten Gebiete" die Rede.

Im Jahr 1973 versuchten Ägypten und Syrien erneut eine militärische Revision des Status quo, indem beide Staaten den höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur für einen Überraschungsangriff nutzten. Auch dieser Krieg geriet nach Anfangserfolgen zu einem militärischen Desaster für die Angreifer, das allerdings wiederum durch Druck der USA auf Israel gemildert wurde. Die arabischen Erdölförderstaaten reagierten mit einem Ölembargo gegen die israelfreundlichen Staaten des Westens, was schließlich in eine Phase der Entspannungspolitik mündete, für die das Camp-David-Abkommen von 1978 oder das Oslo-Abkommen von 1993 steht.

Letztlich haben sich die Konfliktlinien wie der Status von Jerusalem, die Frage des Status der von Israel besetzten Gebiete oder das Problem der palästinensischen Flüchtlinge bis heute als unüberbrückbar erwiesen. Hinzu kam die Ermordung des israelischen Premiers Jitzchak Rabin, unter dem noch am ehesten eine Entspannung denkbar gewesen wäre, durch einen jüdischen Fanatiker im November 1995. So schwelt der Konflikt Israels mit seinen Nachbarn als "low intensity war" (Beispiel: erste und zweite Intifada von 1987 und 2000) weiter - sieht man einmal von dem heißen Libanonkrieg 2006 ab. Es bedarf keiner gewagten Prognose, um festzustellen, daß Israel aufgrund der obwaltenden Umstände weiter ein Kriegsstaat bleiben wird oder muß, will es sich als eigenständiges Staatsgebilde im Nahen Osten behaupten.

Foto: Verteidigungsminister Mosche Dajan beobachtet während des Jom-Kippur-Kriegs Kämpfe gegen syrische Truppen, Golanhöhen im Oktober 1973: Militärisches Desaster für die Angreifer

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