© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/08 09. Mai 2008

Der letzte Reiter
Mit Philipp Freiherr von Boeselager ist vergangene Woche einer der letzten Verschwörer des 20. Juli 1944 gestorben
Christian Vollradt

Von der "größten und geschlossensten Widerstandsgruppe jener Jahre" sprach Joachim Fest mit Blick auf jene Offiziersfronde, die sich im Stab der Heeresgruppe Mitte um Henning von Tresckow gebildet hatte. Dazu gehörten Männer wie von Schlabrendorff, von Gersdorff, von Hardenberg, von Kleist - und als einer der Jüngeren: Philipp von Boeselager. Mit seinem Tod in der vergangenen Woche verstummte einer der letzten Zeugen und Mittäter jener Gruppe, die "vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat" (Tresckow).

Boeselager, 1917 auf Gut Heimerzheim bei Bonn als Sproß einer rheinisch-katholischen Adelsfamilie geboren, wurde politisch deutschnational, aber antinationalsozialistisch geprägt. 1936 trat er als Soldat in das Reiter-Regiment 15 in Paderborn ein und wurde Offizier. Im Juni 1942 wurde er Ordonnanzoffizier bei Feldmarschall Günther von Kluge, den im Sinne des Widerstands "bei der Stange" zu halten Boeselagers vordringlichste Aufgabe wurde. Bereits 1943 wollten er und einige Kameraden Hitler bei einem Besuch bei der Heeresgruppe töten; schließlich besorgte Boeselager den Sprengstoff sowie lautlose Säurezünder für Stauffenbergs Bombe.

Am 15. Juli 1944 hatte Philipp von Boeselager damit begonnen, die von seinem Bruder für etwaige Einsätze gegen regimeloyale Einheiten aufgestellte Reitertruppe möglichst unauffällig in Richtung Reichshauptstadt zu verlegen. Zwei Tage vor dem Attentat wurden schließlich alle sechs Schwadronen des Kavallerie-Regiments 31 alarmiert und aus der Front gezogen; sie ritten in sechunddreißig Stunden die zweihundert Kilometer nach Berst, wo Lastwagen bereitstanden, mit denen sie zu einem polnischen Flugplatz gebracht werden sollten. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Auf das vereinbarte Losungswort "Alles in die alten Löcher!" kehrte die Truppe um. Den Eingeweihten war damit klar, daß die Beseitigung Hitlers gescheitert war. Boeselager und seinen Mitstreitern gelang es gerade noch, den Marsch des Reiterverbandes als "Übung" zu rechtfertigen. Vor allem die Verschwiegenheit der Mitverschwörer rettete ihn selbst vor den Häschern. Der mit dem Ritterkreuz ausgezeichnete Major kehrte im Sommer 1945 auf das Familiengut zurück, das er nach dem Krieg bewirtschaftete.

Im persönlichen Gespräch konnte man Boeselagers Verärgerung über vermeintlich neue Forschungsergebnisse zum "20. Juli" deutlich spüren. Etwa die Variationen jener These, die schon offizieller Deutungsmaßstab der DDR-Diktatur war, wonach die militärischen Verschwörer bloß um die Bewahrung ihres Einflusses besorgt gewesen seien; daß sie nicht gesellschaftlich "fortschrittlich" waren, erst im Angesicht des drohenden Untergangs gegen Hitler Stellung bezogen, nachdem sie zuvor mit dem Nationalsozialismus paktiert hatten; und schließlich - die wohl größte Zumutung für den Überlebenden - daß der "Vernichtungskrieg" widerspruchlos, gar zustimmend mitgekämpft worden war, die Kenntnis der Mißhandlung und Ermordung von Juden kein ausschlaggebendes Motiv für den Widerstand war, einige Beteiligte also nicht moralisch vorbildlich, sondern "verstrickt" waren.

Diesen kaum auf Quellen beruhenden Interpretationen stehen nicht nur die überlieferten Aussagen von Tres-ckows entgegen, sondern auch das eigene Erleben des nun Verstorbenen. Gerade daß der Umsturz nach mehreren vergeblichen Versuchen auch dann noch einmal in Angriff genommen worden war, als "Deutschland gar nicht mehr zu retten war" (Boeselager), zeugt von der tiefen Sittlichkeit der selbstlos Handelnden. "Wo das Müssen anfängt, hat das Fürchten aufzuhören", für diese Maxime Tresckows zeugte auch Boeselagers Haltung. Mit ihr ging er jetzt von dieser Welt - und bleibt in ihr ein Vorbild.

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