© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

"Stachel im Gefüge"
Vertriebene II: Sudetendeutscher Tag in Nürnberg
Johannes Schmidt

Als einen "ganz großen Stachel im Wertegefüge Europas" hat der Bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) beim 59. Sudetendeutschen Tag in Nürnberg die Beneš-Dekrete bezeichnet. Dieses Gesetz von 1946, mit dem die Vertreibung und Entrechtung von 3,5 Millionen Sudetendeutschen und Hunderttausenden von Ungarn aus der Tschecheslowakei gerechtfertigt wurden, sei ein Skandal: "Es verletzt die Sudetendeutschen zutiefst."

Beckstein, der nach seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsident in diesem Jahr erstmals als Schirmherr der sudetendeutschen Volksgruppe während der Hauptkundgebung am vergangenen Wochenende in der Nürnberger Frankenhalle sprach, forderte die tschechische Politik auf, den vielfach dokumentierten Verständigungswillen der deutschen Vertriebenen positiv zu beantworten.

"Für mich als Demokraten und für mich als Mensch, der dem Rechtstaat zutiefst verpflichtet ist, kann die Vergewaltigung von Frauen, das Aufhängen von Deutschen an Laternenpfählen in Prag, der Todesmarsch von Brünn, können Zwangsarbeit, Enteignung und Vertreibung niemals Recht sein", sagte Beckstein.

Mit dem Europaabgeordneten Bernd Posselt, dem neuen Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und dem neuen Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Franz Pany, stehen zum ersten Mal zwei nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung geborene Angehörige der sogenannten Bekenntnisgeneration an der Spitze der Sudetendeutschen. Sowohl Posselt als auch Pany ließen ungeachtet diplomatischer Formulierungen keinen Zweifel an ihrer Verbundenheit mit dem Sudetenland aufkommen. Posselt wandte sich entschieden gegen Versuche, die Sudetendeutschen schlechthin gewissermaßen als "Sündenböcke auf Ewigkeit" abzustempeln und ein Selbstbestimmungsrecht erster und zweiter Klasse einzurichten.

Auf große Zustimmung stieß der diesjährige Karlspreis-Träger, der tschechische Journalist Petr Uhl. Der Weggefährte des früheren tschechischen Bürgerrechtlers und Präsidenten Václav Havel wurde von den Kommunisten auch für seinen Einsatz für Menschenrechte und die Kritik an der Vertreibung der Deutschen fünf Jahre eingesperrt. "Mein ganzes Leben habe ich gegen Stalinismus und Diktatur gekämpft", sagte Uhl, der anders als viele Tschechen die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als Vertreibung und nicht als Umsiedlung bezeichnet.

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