© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Die kaukasischen Querelen gehen weiter
Georgien: Die Parlamentswahlen fi nden in einer außen- wie innenpolitisch heiklen Situation statt / Opposition klagt über Behinderungen durch Präsidenten
Martin Schmidt

Georgien bleibt in den Schlagzeilen. Beiderseits der Grenze zum seit 1992 abtrünnigen Abchasien marschierten Truppen auf. Litauen blockiert zum Ärger Moskaus wie Brüssels ein neues EU-Rußland-Abkommen - auch mit dem Hinweis auf die Unterstützung der Separatisten-Regierung durch Rußland (JF 18/08). Der georgische Europaminister Giorgi Baramidse forderte vorige Woche in Straßburg sogar die Entsendung einer EU-Polizeieinheit: "Wir brauchen eine wirkliche, unabhängige Friedenstruppe", sie solle die Bevölkerung vor "russischen Aggressionen" schützen.

Auch innenpolitisch gibt es Spannungen, die zwar nicht mehr die Schärfe haben wie vor der georgischen Präsidentschaftswahl vom 5. Januar, die das Kaukasusland aber dennoch im Zwielicht erscheinen lassen. Anlaß sind die Parlamentswahlen am 21. Mai. Während die regierende Nationale Bewegung des - trotz Wahlverstößen wiedergewählten - Präsidenten Micheil Saakaschwili laut Umfragen die Nase vorn hat, klagt der aussichtsreiche Vereinte Nationalrat aus acht Oppositionsparteien über Behinderungen und warnt vor Fälschungen. Was Wahrheit oder Propaganda ist, läßt sich kaum beurteilen.

Nachdem Saakaschwili im Herbst 2003 durch den Sturz des seit 1995 im Amt befindlichen Präsidenten Eduard Schewardnadse mit der "Rosenrevolution" an die Macht gekommen war veränderte sich manches zum Guten. Der erst 40jährige spricht vier Fremdsprachen und gilt als fleißig. Als promovierter Jurist leitete er Reformen bei Verwaltung, Bildung und Finanzen sowie im Gesundheitswesen und bei der Polizei ein. Die allgegenwärtige Korruption wurde zurückgedrängt, immer mehr ausländische Direktinvestitionen kamen ins Land, die Strom- und Wasserversorgung verbesserte sich, mit der Instandsetzung des Straßennetzes wurde begonnen. Das Wirtschaftswachstum lag zwischen acht und zwölf Prozent.

Der vielleicht größte Erfolg des betont EU- und US-freundlichen neuen Machthabers - Saakaschwili hat in den USA studiert, promoviert und gearbeitet und ist mit einer Niederländerin verheiratet - war es, daß es ihm schon nach kurzer Zeit gelang, die auf Abstand gegangene autonome Südwestprovinz Adscharien wieder fest in den Staat einzubinden. Mit Moskau konnte die von ihm eingesetzte Außenministerin Salome Surabischwili die vorzeitige Auflösung der letzten russischen Militärbasen aushandeln, die 2007 abschließend umgesetzt wurde. Auch der von ihm angestrebte Nato-Beitritt und das Ziel einer größtmöglichen Nähe zur EU erfreuen sich allgemeiner Beliebtheit - trotz hoher Ausgaben für die Modernisierung der Streitkräfte, die ein Viertel des Staatshaushalts ausmachen. Mit derzeit etwa 2.000 Soldaten stellt der Nato-Aspirant das drittgrößte Kontingent im Irak. Die öffentlichen Gebäude in Tiflis sind nicht nur mit der Landesfahne, sondern zusätzlich mit dem EU-Sternenbanner geschmückt.

Andererseits sind unübersehbare "Abnutzungserscheinungen" der Rosenrevolutionäre erkennbar. Immer häufiger werden Korruptionsfälle bekannt. Saakaschwilis Politikstil gilt als autokratisch, und es gab eine ganze Reihe heftiger Auseinandersetzungen innerhalb seiner Regierungsmannschaft. Steigende Lebenshaltungskosten vergrößern im Gefolge einer "neoliberalen" Wirtschaftspolitik die Kluft zwischen Arm und Reich. Die Arbeitslosenrate hat mit Quoten zwischen 20 und 40 Prozent Rekordniveau. Der Unmut breiterer Bevölkerungsschichten wächst, zumal oppositionelle Regungen die ganze Macht der staatlich gelenkten Medien, aber auch des Polizeiapparates zu spüren bekommen.

Im November 2007 mußte Saakaschwili angesichts wütender Proteste sogar den Ausnahmezustand verhängen. Die Einstellung des Bevölkerung zu ihm und seiner Nationalen Bewegung ist tief gespalten. Bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl, die als geschickter Schachzug Saakaschwilis zur Beruhigung der Lage galt, gab es statt der 96 Prozent von 2004 offiziell nur noch 53,5 Prozent. Ob die meist noch nationaler als Saakaschwili argumentierende Opposition im Fall ihrer Machtübernahme vor Vetternwirtschaft, autoritärer Anmaßung und übertriebener Polarisierung gefeit wäre, erscheint indes zweifelhaft. Schließlich gehören die Clanwirtschaft ebenso wie ein gewisser Hang zur Despotie zum orientalisch-asiatischen Erbteil des kleinen, in vielem dennoch zutiefst europäisch-christlichen Landes. Manche halten einen Oppositionssieg sogar für eine Gefahr für Georgien.

Der Spitzenkandidat des oppositionellen Nationalrats, der Spirituosenunternehmer Lewan Gatschetschiladse, gibt sich allerdings moderat. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat will das Präsidialsystem abschaffen und das Parlament stärken. Sogar die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie hält der 43jährige für möglich - die Krone im Staatswappen gibt es schon.

Foto: Georgisches Staatswappen

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