© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Viel Publizität für den Artenschutz
Umweltpolitik: UN-Vertragsstaatenkonferenz für biologische Vielfalt in Bonn / Forderungskatalog der Umweltverbände
Volker Kempf

Vom 19. bis 30. Mai findet die 9. UN-Vertragsstaatenkonferenz (COP 9) der Konvention über die biologische Vielfalt statt. Auf Einladung der Bundesregierung tagen in Bonn Vertreter aus 189 Staaten, um über die Zukunft der biologischen Vielfalt auf der Erde zu beraten. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat die Konferenz zur "Chefsache" gemacht. Der SPD-Politiker vom nicht gerade "grünen" Seeheimer Kreis verspricht Fortschritte beim Erhalt der biologischen Vielfalt, der Finanzierung ihres Schutzes, der Einrichtung eines weltweiten Systems von Schutzgebieten und bei Schutzmechanismen für den Wald.

"Deutschland fordert viel, wenn es um Aktivitäten in den - finanziell meist armen - biodiversitätsreichen Ländern wie Indonesien, Madagaskar oder Ecuador geht", aber "wie sieht die Wirklichkeit in Deutschland aus", fragt der Deutsche Naturschutzring (DNR), der anläßlich der COP 9 zusammen mit den Umweltverbänden BUND, Nabu und Euronatur einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog zum Erhalt der biologischen Vielfalt vorgelegt hat. "Der Zustand der Artenvielfalt in der Bundesrepublik ist gleichbleibend schlecht - nach wie vor sind 70 Prozent der Lebensräume gefährdet, und die Roten Listen der bedrohten Arten sind länger als in den meisten anderen Staaten Europas."

Was tue die Bundesregierung, um "Vorbild für die eingeladenen Gäste" zu sein und die "Vielfalt der Arten im eigenen Land zu bewahren und wiederherzustellen?" Deutschland sei zwar seinen Verpflichtungen nach Artikel 6 a der Konvention formal nachgekommen, aber inhaltlich "sind wichtige Nachbesserungen der Strategie erforderlich, wie zum Beispiel ein sofortiger Abbaustopp für Moore und das Auflegen eines Nationalen Moorschutzprogrammes, ein Stopp der Nettoneuversiegelung auf bundeseigenen Flächen bis 2015 oder ein 100prozentiger Importstopp für Naturstoffe aus nichtnachhaltiger Nutzung ab 2010." Ohne diese Nachbesserungen werde die nationale Strategie ihre Kernziele nicht erreichen, den "Verlust der Artenvielfalt bis 2010 zu stoppen und bis 2020 der Gefährdungsgrad der meisten Arten der Roten Listen um einen Gefährdungsgrad zu verringern".

Muß also nur etwas nachgebessert werden? Die Probleme liegen tiefer. Minister Gabriel erkennt zwar im anhaltend hohen Flächenverbrauch (täglich etwa 110 Hektar) in Deutschland die größte Gefahr für die Artenvielfalt. Und das erste Nationale Biodiversitätsforum hat daher eine "Abkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Flächenverbrauch" beschlossen. Aber kann der Flächenverbrauch bis 2020 wirklich auf 30 Hektar pro Tag gesenkt werden?

Deutschlands "Wirtschaft und seine Bürger tragen mit ihrer Wirtschaftsweise, ihrem Konsumverhalten und ihren Handelsverknüpfungen maßgeblich zur Zerstörung der biologischen Vielfalt in andern Ländern und Kontinenten bei", konstatieren die vier Umweltverbände. Daher sei Deutschlands "ökologischer Fußabdruck" doppelt so groß wie die Bundesrepublik selbst. Das heißt, um die "Bedürfnisse der Deutschen zu decken, wird derzeit eine Fläche in Anspruch genommen, die das Doppelte der deutschen Staatsfläche ausmacht".

Der Import von Rohstoffen wirke sich nachteilig auf die Biodiversität und die Nahrungsversorgung der Armen in anderen Ländern aus. So trage der Import von Biomasse (insbesondere aus Palmöl) "zur Zerstörung der artenreichen Regenwälder in den Tropen bei, ebenso die Nutzung der dort wachsenden Bäume für Holz und Papier. Um Torf abzubauen, werden Moore in anderen Ländern vernichtet; und mit dem Import von Haifisch, Kabeljau oder Thunfisch werden die Bestände dieser Arten radikal dezimiert und die Nahrungsketten der Weltmeere zerstört."

Daraus folgt für die Verbände, beim "Import von Naturprodukten müssen verbindliche und ambitionierte Quoten für den Anteil ökologisch zertifizierter Waren gelten. Die Quoten sind regelmäßig zu erhöhen." Bei besonders sensiblen Naturprodukten wie etwa Palmöl, Soja, Holz oder Fisch dürften perspektivisch nur nach ökologisch-sozialen Kriterien zertifizierte Waren (wie Forest Stewardship Council/FSC für Holz und Papier oder Marine Stewardship Council/MSC für Fisch) importiert werden. Überall muß ökologischer gewirtschaftet werden, lautet die Kernaussage.

Aber nicht nur die Art zu wirtschaften ist das Problem, sondern die zivilisatorischen Lebensansprüche sind viel zu hoch - auch wegen der hohen Bevölkerungsdichte. So ist mit der Artenschutzkonferenz für Deutschland keine Trendumkehr zu schaffen. Publizität wird die Konferenz Gabriel zwar einbringen, aber an den letztlich doch nicht erreichbaren Zielvorgaben gemessen wird sich Gereiztheit bei den Umweltschützern bemerkbar machen.

So erging es Gabriel schon mit der Klimaschutzpolitik, die ihn trotz seines engagierten Auftretens auf internationaler Bühne das Etikett "Anti-Umweltminister" (Franz Alt) einbrachte - der Einstieg ins postfossile Zeitalter lasse auf sich warten. Bei der Biodiversität zeichnet sich ab, daß viel versprochen, aber letztlich nur hier und da effizienter gewirtschaftet wird. Die Umweltverbände selbst finden aus diesem Zirkel auch nicht heraus und werden damit zu einem Teil des Spiels aus Zerstörung, Empörung und Flickschusterei.

Der Zehn-Punkte-Forderungskatalog der Umweltverbände zum Erhalt der biologischen Vielfalt im Internet: www.dnr.de/presse/docs/10PunktezurCOP-nationaleForderungen.pdf

Foto: Holz mit FSC-Zertifikat: Sozial und ökologisch

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen