© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

Wer die Lebenden vergißt ...
... erbietet den Toten keine Ehre: Die Nachrufe auf Philipp von Boeselager verbreiten eine Falschmeldung
Christian Vollradt

Fast ausnahmslos (und die JF war hier die Ausnahme) würdigten die Nachrufe den vor zwei Wochen verstorbenen Philipp von Boeselager als den letzten Teilnehmer des 20. Juli. "Er war der Letzte", so etwa Frank Schirrmacher in der FAZ, "das schreiben wir in den Zeitungen immer wieder und viel zu häufig. Hier stimmt es wie selten zuvor." Nein, es stimmt gerade hier nicht.

Um den vielfach abgeschriebenen Irrtum zu korrigieren, sei hier erwähnt, daß Ewald-Heinrich von Kleist lebt; und das, obwohl ihm vor über sechs Jahrzehnten noch ein ganz anderes Schicksal vorherbestimmt zu sein schien. Claus von Stauffenberg persönlich hatte den damals jungen Leutnant gefragt, ob er bereit wäre, sich Anfang 1944 mit Adolf Hitler in die Luft zu sprengen. Kleist erbat sich Bedenkzeit und hielt Rücksprache mit seinem Vater, dem ein Jahr später hingerichteten konservativen Widerstandskämpfer Ewald von Kleist-Schmenzin. "Ja, das mußt du tun", riet dieser seinem Sohn: "Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh in seinem Leben." Ewald-Heinrich von Kleist versagte nicht; der Diktator sagte allerdings den avisierten Termin ab, so daß das Selbstmordattentat nicht stattfand, mit dem die Tyrannis, die Deutschland in die militärische und moralische Katastrophe führte, hätte beendet werden können. Beim letzten vergeblichen Versuch, am 20. Juli 1944, war Kleist zur Unterstützung des Putsches in den Bendlerblock beordert worden und entging später nur knapp seiner Hinrichtung.

Falsche Details werden im Nachrichtengeschäft gerne unkritisch übernommen, daran ist nichts besonderes. Im aktuellen Fall scheint jedoch zur allgemeinen Schludrigkeit eine weit verbreitete Unkenntnis über historische Fakten hinzuzukommen. Der 20. Juli "findet kaum noch statt", um im Mediendeutsch zu sprechen, es sei denn bei "runden" Jahrestagen oder im Todesfall beteiligter Personen. Denen aber zu Lebzeiten Ehre und Aufmerksamkeit zu versagen, ist wirklich - das Allerletzte.

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