© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/08 16. Mai 2008

"Wo blieb da noch Platz für Illusionen?"
Er mochte Hunde lieber als Menschen: Charles Bukowskis einzige Lesung in Deutschland vor dreißig Jahren
Silke Lührmann

Vor dreißig Jahren, am 18. Mai 1978 fand Charles Bukowskis einzige Lesung in Deutschland statt. Der lange vergriffene bzw. nur als Raubkopie gehandelte und zum Jubiläum nun endlich wieder bei Zweitausendeins auf CD erhältliche Mitschnitt weist sie als buchstäbliches Heimspiel des 1920 in Andernach geborenen US-Dichters aus.

Bukowski hat es nicht nötig, den Bürgerschreck zu spielen - sein Ruf eilt ihm sowieso voraus und lockt weit mehr begeisterte Fans an, als sich in die Hamburger Markthalle drängen können. Statt dessen gibt er sich als geradezu sanftmütig gestimmter Humorist, der sein Material ebenso souverän handhabt wie die gelegentlichen Zwischenrufe eines Störers und bisweilen mit dem besagten Image kokettiert: "Na also, ich weiß gar nicht, was die Leute wollen, in diesem Gedicht kam doch gar kein Sex vor. Im nächsten schon, muß ich Ihnen leider sagen!"

Dank der hervorragenden Tonqualität ist wirklich jedes Wort gut zu verstehen - auch wenn Bukowskis anfängliche Rücksichtnahme auf fremdsprachige Zuhörer schnell im Hochgefühl gegenseitiger Wertschätzung flöten geht. Denn der Dichter wußte durchaus, was er an diesem dankbaren Publikum hatte. "Wenn ich ihnen ein Gedicht zum Lachen vorlas, lachten sie, aber wenn ich ihnen ein ernstes vortrug, gab es starken Beifall. Eine wahrhaft andere Kultur", heißt es in seiner im Beiheft nachgedruckten Schilderung der "Ochsentour". "Meine Gedichte waren nicht intellektuell, aber einige von ihnen waren ernst und verrückt. Ich hatte wirklich zum ersten Mal das Gefühl, daß die Leute die Gedichte verstanden. Das warf mich zurück, ich mußte also mehr trinken." Wer sich auf die Atmosphäre einstimmen möchte, kann dort nachlesen, wie "die Rauchschwaden zur Decke hochziehen ... Es waren alle Plätze besetzt, und die Leute saßen auch noch in den Gängen. Einige waren in den Dachstuhl geklettert. Es war heiß, die Luft war stickig." (Man muß das Rauchverbot in öffentlichen Räumen nicht mißbilligen, um mit Wehmut an solche Abende zurückzudenken.)

Lakonisch trägt Bukowski ein buntgemischtes Programm vor: Vignetten aus einem Amerika abseits der bürgerlichen Norm, wo Schwermut und Leichtsinn herrschen. "Manche Leute drehen nie durch. / Was müssen die doch für ein / grauenhaftes Leben führen". Der Geschlechtsakt, wenn er denn vorkommt, wird so ungerührt vollzogen wie alles andere. Wieviel Sperma sich nur auf dem Papier ergoß - als eine Art Dienstleistung der schmutzigen Phantasie des Autors an die schmutzige Phantasie des Lesers -, darüber erlaubt sich die Literaturkritik kein Urteil. (Von Bukowskis animalischen Trieben wird noch die Rede sein.) Was wäre Dichtung indes ohne Phantasie, und wenn er die seine spielen läßt, treibt sie ganz wundersame Blüten.

Die Aufnahme schließt mit seiner eigenwilligen Ode an die Freude, "Eins für den Schuhputzer". "Das Wunder ist, daß man mit 55 noch fünf Frauen / haben kann, die in einen verliebt sind; / und das Gute daran ist, daß man / nur eine von ihnen lieben kann": Wer das als altersmilden Kitsch abtun möchte, verwehrt sich dem Zauber, der aus diesen Zeilen blitzt: "Wenn ihr mich aus meinem blauen Volkswagen / grinsen seht, während ich bei Gelb / gerade noch über die Kreuzung komme und direkt / in die Sonne fahre, /dann hat mich ein / verrücktes Leben / in seinen Armen / und ich denke an Trapezkünstler / an Liliputaner mit dicken Zigarren / an eine Lesung in Hamburg".

Das schlicht und schön gestaltete Beiheft enthält die Gedichte sowohl im Original wie in der immer wieder gerne als kongenial gepriesenen Übersetzung von Carl Weissner, dem Sachwalter seines hiesigen Namens als Kultautor, der seinen Bekanntheitsgrad in den USA zunächst weit übertraf, daneben Bukowskis und Weissners Eindrücke der Hamburger Lesung sowie ausgewählte Schwarzweißfotos.

Also: Kaufen. Hören. Lesen. Lachen. Weinen! Diese CD ist ein Muß für jeden Fan und ein prachtvolles Geschenk für bislang unbekehrte Mitmenschen: die Freundin, die Bukowski für einen Frauenhasser hält; den Kumpel, der mit Lyrik noch nie etwas anfangen konnte; die Schwester, die sie lieber feinsinnig und bedeutungsschwer hat - und sogar den Neffen, der sich trotz teurer Nachhilfe mit dem Englischlernen schwertut. Ganz jugendfrei ist Bukowskis Vokabular freilich nicht, doch seien wir ehrlich: Ein bißchen Gossensprache hat noch keinem zukünftigen Leistungsträger geschadet.

Ein Muß für Liebhaber und eine sehnlich erwartete Ergänzung der Sammlung ist sicherlich auch die Auswahl von über einhundert Gedichten aus zwanzig Jahren, die jüngst als "Letzte Meldungen" ebenfalls bei Zweitausendeins erschien. Denn Weissner sträubt sich gegen die amerikanische Unart, den Nachlaß des 1994 an Leukämie Verstorbenen zu plündern und massenhaft Rohfassungen auf den Markt zu werfen, die Bukowski selber für nicht druckreif hielt. (Daß jemand wie er ein Perfektionist gewesen sein soll, überrascht nur die kulturbeflissene Schwester und den Neffen, der glaubt, ein echter Künstler haut sich den Frust strophenweise von der Seele, ohne groß dran rumzufeilen, sonst wird's nicht authentisch.)

Immer wieder beeindruckt die Konsequenz seiner Verweigerungshaltung, die man ungern Pose nennen möchte. Für Geld zu schreiben, ist Prostitution wie jede andere Lohnarbeit, und auch deshalb sind die Huren Bukowskis Musen. Fürs Schreiben bezahlt zu werden, ist aber auch ein Glück, das der Dichter selber kaum fassen kann.

Was übrigbleibt, müßte man landläufig als kaputte Existenz bezeichnen: "Der animalische Drive und die Energieleistungen meiner Mitmenschen gaben mir nichts als Rätsel auf. Ich verstand nicht, wie einer den ganzen Tag Autoreifen wechseln oder einen Speiseeiswagen durch die Gegend schieben oder für den Kongreß kandidieren oder einem anderen - als Arzt oder als Mörder - den Bauch aufschlitzen konnte. Das ging mir völlig ab. Ich wollte mich nicht darauf einlassen und will es bis heute nicht. Jeder Tag, um den ich dieses Leben und dieses System bescheißen konnte, war für mich ein Sieg. Ich soff. Ich übernachtete in Parks und dachte ab und zu an Selbstmord, und das verschaffte mir eine gewisse innere Ruhe."

Den im Band enthaltenen, von Weiss­ner auf 1966 datierten "Schlampigen Essay über das Schreiben und das verfluchte Leben", dem diese Glaubenssätze entstammen, schlachtete die taz kürzlich für ein "fiktives Interview" aus, um Bukowski, der zu Lebzeiten derlei Gerüchte über seine innere Gesinnung zu dementieren pflegte, postum nach seiner antikapitalistischen Einstellung befragen zu können.

Daß in einem solchen Dasein, das niemandem schadet, nur der eigenen Leber, und erst recht niemandem nützt, nicht nur mehr Poesie, sondern womöglich auch mehr Würde zu finden ist als im lückenlosen Lebenslauf des Karrieristen, zählt zu den bestgehüteten Geheimnissen der Erwerbsgesellschaft.

Natürlich wußte er um die Nachteile seines Verzichts auf ein geregeltes Berufsleben: Bukowski war schließlich kein Romantiker, jedenfalls war er ein Romantiker von anderem Kaliber, einer, der Dreck nicht zu Sternenstaub verklärte, sondern sich voller Wonne und Ekel darin suhlte - und sich ob des materiellen Erfolgs, der ihm später dann doch noch beschieden war, gewiß nicht grämte.

Ehe Bukowski in den Ruch eines politischen Schriftstellers gerät, lese man seine lyrische Prosa und prosaische Lyrik als Ausbrüche eines bockigen Querlebers, die mal Irritation, mal Belustigung, mal Nachdenklichkeit auslösen, aber selten tote Druckerschwärze bleiben. Genau wie bei einem richtigen Dichter.

Charles Bukowski: "Hello, it's good to be back!" Lesung in der Hamburger Markthalle am 18. Mai 1978, Zweitausendeins 2008, CD, ca. 47 Minuten Laufzeit, 11,90 Euro

Charles Bukowski: Letzte Meldungen. Neue Gedichte, herausgegeben und übersetzt von Carl Weissner, Zweitausendeins 2008, Steifbroschur, 284 Seiten, 14,90 Euro

Foto: Charles Bukowski genießt reichlich deutschen Weißwein während seiner Lesung in der Hamburger Markthalle am 18. Mai 1978: "Sie standen Schulter an Schulter, Arsch an Arsch"

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