© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Maßloses Geschacher
Amt des Bundespräsidenten nimmt durch Nachfolgediskussionen Schaden
Thorsten Hinz

Vor zehn Jahren hätte die Kandidatur der Politikwissenschaftlerin und Sozialdemokratin Gesine Schwan für das Präsidentenamt eine programmatische Dimension besessen – und das ganz unabhängig davon, wie man zu ihrer Person und ihrer Partei steht. Damals gab es in der Bundesversammlung eine deutliche rot-grüne Mehrheit, ihre Wahl wäre sicher gewesen. Die überzeugte Antikommunistin Schwan, die das Desinteresse ihrer Partei an der Opposition in Ostmitteleuropa und die Anbiederung an die Sowjetunion in den siebziger und achtziger Jahren scharf kritisiert hatte und deswegen lange ins Abseits gestellt worden war, hätte es wohl vermocht, der Reformpolitik, zu der Gerhard Schröder sich schließlich bereitfand, jene konzeptionelle Unterfütterung zu geben, die der Kanzler nicht leisten konnte. Schließlich ist es ein Grundanliegen Gesine Schwans, Vertrauen in die politischen Institutionen und Amtsträger zu stiften, dem Wahlvolk also die Gewißheit zu vermitteln, daß der eingeschlagene politische Kurs, soweit es von den Beteiligten abhängt, den erwarteten Verlauf nehmen wird. Das geschieht über den Nachweis von Kompetenz, Authentizität, Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit.

Eine andere Option wäre damals der sächsische Theologe und ehemalige SPD-Politiker Richard Schröder gewesen, ein hochintellektueller, eigenständiger Kopf, der bereits aufgrund seiner Biographie in Distanz zum bundesdeutschen Politikbetrieb steht und ein anderes politisches Idiom beherrscht. Ihm hätte es gelingen können, gezielt in die Neuen Länder hineinzuwirken und den politischen Linksruck abzumildern, der inzwischen die gesamte Bundesrepublik erfaßt hat.

Stattdessen aber hob die SPD den ausgezehrten Johannes Rau auf den Schild. Der störrische alte Esel sollte dazu bewegt werden, als Ministerpräsident von Nord-r­hein-Westfalen auszuscheiden, indem man ihm seinen Lebenstraum erfüllt: einmal im Leben Bundespräsident sein – wie Schwiegerpapa Gustav Heinemann! Das höchste Staatsamt wurde zum Schacher- und Versorgungsposten herabgewürdigt. Für die rot-grüne Regierung erwies sich die Wahl als ein Fehler, denn schnell zeigte sich, daß Raus Reich nicht mehr von dieser Welt war und er den Bürgern keine Orientierungen vermitteln konnte, die über die Tagespolitik hinausreichten. Für den Kanzler war er eher eine Last als eine Stütze.

Schwans Nominierung 2004 war dann nur noch unehrlich, weil sie von vornherein eine aussichtslose Zählkandidatin gegen Horst Köhler war. Was wäre sie heute? Manche meinen, ein fälliges Zeichen für die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft. Doch als amtierendes „Zeichen“ im Schloß Bellevue, das heißt als Galionsfigur eines abgelebten Feminismus, ist Schwan ungeeignet, denn ihre eigene Erfolgskarriere ist der beste Beweis dafür, daß es dieses Zeichens gar nicht mehr bedarf. Eine Kandidatenauswahl nach dem Gleichstellungsprinzip wäre auch geradezu absurd. Politikerinnen wie Andrea Nahles, Andrea Ypsilanti (beide SPD) oder Claudia Roth (Grüne) sind bemerkenswerte Beispiele dafür, daß Frauen in politischen Ämtern keinen Wert an sich darstellen. Hinter solchen moralisch unschlagbaren Forderungen steckt der Gedanke, sich trotz Defiziten einen politischen Vorteil zu verschaffen.

Eine Reformprogrammatik, die Schwan sich zu eigen machen könnte, ist aber nicht in Sicht. So bliebe ihr lediglich, als Symbolfigur eines sozialromantisch grundierten Linksrucks zu kandidieren, den sie unmöglich gutheißen kann. Damit aber würde sie ihre Kompetenz, Authentizität, Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit aufs Spiel setzen und zusätzlich Vertrauen in die Politik zerstören.

Andererseits: Wofür würde die erneute Kandidatur des amtierenden Bundespräsidenten Horst Köhler stehen? Köhler verfügt laut Helmut Schmidt über mehr ökonomischen Sachverstand als die gesamte politische Klasse, doch was nützt es ihm als Präsidenten? Er war 2004 von Angela Merkel als Kandidat durchgesetzt worden, um einem Wahlsieg der Union nach der nächsten Bundestagswahl zu antizipieren und das Signal einer greifbaren wirtschafts- und sozialpolitischen Wende auszusenden. Doch die Wahl mißlang, die Union schwenkte auf den sozial-paternalistischen Kurs der SPD um, und dem einsamen Bundespräsidenten war damit der Regierungskurs, den er staatstragend vermitteln sollte und wollte, abhanden gekommen.

Die Machtlosigkeit seines Amtes verpflichtet ihn dazu, das Auswuchern des Umverteilungsstaates abzusegnen. Die einzige Möglichkeit, sich von dieser Praxis abzusetzen, sind gelegentliche rhetorische Spitzen gegen die politischen Konstellationen, in denen er selber gefangen ist. Um sich in ihnen zu behaupten, muß er ihnen sogar Tribut zollen. Das tat er zuletzt mit der Bezeichnung der internationalen Finanzmärkte als „Monster“. Einem wahlkämpfenden Parteipolitiker mag man das durchgehen lassen, aus dem Mund eines ehemaligen Präsidenten des Internationalen Währungsfonds wirkt es als anbiedernde Entgleisung.

Welchen tieferen Sinn hat das Amt des Bundespräsidenten demnach? Keinen, solange es nicht aus den Fangarmen des Parteienstaates befreit und mit echten Entscheidungskompetenzen ausgestattet wird.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen