© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Zwitter beider Welten
Berlin II: Volker Ratzmann zieht es an die Grünen-Spitze
Fabian Schmidt-Ahmad

Es ist das Trauma aller Grünen, die zwei Seelen, ach, in ihrer Partei: auf der einen Seite die sogenannten „Fundis“ mit dem Problem, die Befindlichkeiten nicht in Beziehung zur Realität zu bringen. Auf der anderen die „Realos“, die sich zwar in das Pfründensystem eingeklinkt haben, aber nicht so recht vermitteln können, wieso Atommeiler unter Rot-Grün etwas Besseres sind als unter jeder anderen Regierung. Nachdem der Realo und Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer angekündigt hat, sein Amt niederzulegen, besteht für den Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, die Möglichkeit, beide Lager miteinander zu verbinden. Denn der 1960 geborene Ratzmann kann als Zwitter beider Welten gelten. Sein Interesse am Amt hat er schon bekundet.

Zum einen ist er der pragmatische Anwalt, der sich im Abgeordnetenhaus mit jedem verbündet, sofern es ihm nützt. Zum anderen weiß aber der Kreuzberger WG-Zögling, wann er in Erregung verfallen muß. Der letzten Sommer mit der CDU organisierte Gesprächsabend zu Integrationsfragen sollte eine Art Probe für eine schwarz-grüne Koalition sein. Unter diesem Gesichtspunkt war der Abend eine Katastrophe, nicht zuletzt, weil ein keifender Ratzmann sich so penetrant jeder Konfliktbenennung verweigerte, daß auch die sonst freundliche Berliner Zeitung schrieb, Ratzmann habe zwar behauptet, die Grünen würden die Augen vor den Problemen nicht verschließen, aber Lösungen habe er nicht angeboten. Warum auch, Ratzmann weiß, wem er auf dem Lieblingsfeld grüner Besserwisserei Loyalität schuldet.

Doch anders als das Fundi-Urgestein Hans-Christian Ströbele kennt Ratzmann seine Grenzen. Während jener sich in seinem Engagement für die Entrechteten dieser Welt zu antiisraelischen Äußerungen verstieg, die ihm beinahe das Genick gebrochen hätten, setzt sich Ratzmann auch mal als Siegelbewahrer jüdischen Andenkens in Szene. Als im Online-Gästebuch des Berliner Bürgermeisters rechtsradikale Eintragungen entdeckt wurden, nannte dies Ratzmann, einer Ohnmacht nahe, „horrormäßig“. Wie er das findet, was manche Einwandererkinder häufig über Juden äußern, verschwieg Ratzmann freilich. Man darf sich selbst die Antwort geben, ob hier der Realo oder der Fundi die Augen ganz fest zumacht – vielleicht demnächst in der Bundespolitik.

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