© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

„Wir können hier viel falsch machen“
Lateinamerika-EU-Gipfel: Trotz eines Großaufgebots von hochkarätigen Delegationen aus 60 Ländern gab es keine greifbaren Ergebnisse
Michael Johnschwager

Wir tun gut daran, in unseren gesamten Beziehungen Lateinamerika eine größere Aufmerksamkeit zu widmen“, erklärte Angela Merkel am Montag zum Abschluß ihrer einwöchigen Visite in Lateinamerika. „Wir können hier viel falsch machen, indem wir uns nicht kümmern“, meinte die CDU-Bundeskanzlerin, „aber wir können viel richtig machen und damit langfristige Handelspartner haben und für uns zu Hause Arbeitsplätze sichern.“

Hauptanlaß der Merkel-Tour war der mit viel Aufwand inszenierte Lateinamerika-EU-Gipfel in der peruanischen Hauptstadt Lima. Seit zehn Jahren besteht dieser, doch die daraus resultierenden Errungenschaften sind mager. Dafür haben die zunehmend aggressiv auftretenden Asiaten massiv Fuß gefaßt in den wirtschaftlich bedeutenden Märkten des amerikanischen Subkontinents – kein Wunder bei einem lateinamerikanischen Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf Prozent.

Den Europäern geht es neben dem Freihandel aber auch um den Export „westlicher Werte“, und so stand auf der Prioritätenliste, Hilfestellung zu leisten bei dem Bemühen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu überwinden. Hier bedarf es sicherlich intensiver Überzeugungsarbeit, denn dieses Thema wird von der Latino-Oligarchie noch immer weitgehend verdrängt. Auch der Klimawandel sowie Umwelt- und Energiefragen wurden diskutiert. Parallel zur klassischen Entwicklungshilfe will man auf EU-Seite aber auch verstärkt Investitionen in den Vordergrund rücken.

Während sich die EU-Staaten – vor allem durch Richtlinien aus Brüssel – in ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik immer mehr annähern, geht durch den amerikanischen Subkontinent ein Bruch: Auf der einen Seite steigt die Zahl der Länder, die eine linkspopulistische Politik betreiben – allen voran das erdölreiche Venezuela, Bolivien, Ecuador und nun auch Paraguay. Merkel favorisierte auf ihrer Reise hingegen demonstrativ die eher wirtschaftsliberalen Staaten Brasilien, Kolumbien und Mexiko.

Das erklärt zum Teil auch den Eklat, den Venezuelas Präsident Hugo Chávez eine Woche vor dem Treffen auslöste. Der bislang vor allem für seine Verbal­attacken gen Washington berüchtigte linke Volkstribun hatte in einer Ansprache erklärt, CDU-Chefin Merkel gehöre zur „selben Rechten, die Adolf Hitler, die den Faschismus unterstützt hat“. Nachdem auf diese gewagte Anspielung auf die Zustimmung des katholischen Zentrums 1933 zum Ermächtigungsgesetz aus Berlin eine scharfe Zurückweisung erfolgte, legte Chávez in seiner typischen Rabulistik nach: „Sie kommt hierher und wirft mit Steinen, ich kenne die Gründe nicht, weshalb einige europäische Staatschefs hierherkommen, um sich mit uns zu treffen, und schon vor ihrer Ankunft Steine werfen.“ Kurz darauf entschuldigte sich Chávez: „Ich habe ihr gesagt: Wenn ich etwas Hartes gesagt habe, vergeben Sie mir. Hier ist meine Hand“, schilderte er die persönliche Begegnung mit Merkel in Lima später. Er habe die Kanzlerin zur Begrüßung auch geküßt, und „sie hat mich sogar nach Deutschland eingeladen“. Nur die Einladung nach Deutschland wurde bislang von Kanzleramt dementiert.

Spannungsgeladen – bis hin zu jüngsten Kriegsdrohungen – bleiben hingegen Chávez’ Beziehungen zu Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, der weiter unerbittlich gegen die Farc-Guerilla kämpft und dabei auf die uneingeschränkte Unterstützung der USA zählen kann. Auch die EU führt die Farc auf ihrer Liste der Terrororganisationen, Chávez sieht sie hingegen als „aufständische Partei mit politischen Zielsetzungen“.

Linkspopulismus kontra Wirtschaftsliberalismus

Der 2006 mit 62 Prozent der Wählerstimmen im Amt bestätigte Uribe gilt vielen als „Hardliner“. Sein entschlossenes Handeln stellte er unlängst mit einem riskanten Kommandoeinsatz unter Beweis, wobei kolumbianisches Militär auf ecuadorianischem Territorium ein Farc-Führungsmitglied eliminierte. Die Farc überzieht das Land seit Jahrzehnten mit Terror. Seit über sechs Jahren befindet sich beispielsweise die Grünen-Politikerin Ingrid Betancourt in ihrer Gewalt. Am Montag konnte Uribe einen weiteren Erfolg verbuchen: Die Farc-Führerin Nelly Avila Moreno, auf die ein Kopfgeld von 800.000 Dollar ausgesetzt war, stellte sich mit ihren Leibwächtern den Behörden. „Karina“, so ihr Kampfname, soll für etliche Entführungen, Erpressungen und Morde verantwortlich sein – darunter den Tod von Uribes Vater.

Besondere Aufmerksamkeit zog auch die kubanische Delegation auf sich, angeführt von Außenminister Felipe Pérez Roque und dem wirtschaftlich aufgeschlossen agierenden Vizepräsidenten Carlos Lage Dávila. Kuba befindet sich nach dem Rückzug Fidel Castros in einer Übergangsphase und nutzte den Termin in Lima, sich dem alten Kontinent anzunähern. Die Regierung in Havanna weiß angesichts der kompromißlosen Haltung Washingtons die moderate Politik ihrer EU-Partner durchaus zu schätzen – auch wenn diese die weiter anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite entschieden verurteilt haben.

Den lateinamerikanischen Teilnehmern des Gipfels dürfte vielleicht bewußt geworden sein, daß der Zusammenschluß zu einem Wirtschaftsblock à la EU den ihm angehörenden Staaten auch ein Plus an politischem Gewicht verleiht. Doch die Vereinigung von Mercosur-Freihandelszone und Andengemeinschaft (CAN) zu einer supranationalen Lateinamerika-Union ist nicht absehbar, denn dazu müßten das traditionell individualistisch ausgerichtete Denken und der teilweise exzessive Nationalismus der insgesamt 33 lateinamerikanischen Staaten überwunden werden. Auch die Verhandlungen über die Gesamtamerikanische Freihandelszone (FTAA/ALCA), die 1991 zur Schaffung eines „gemeinsamen Marktes von Alaska bis Feuerland“ vom damaligen US-Präsidenten George Bush initiiert wurden, sind bislang kaum vorangekommen.

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