© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/08 23. Mai 2008

Wo ein Hirsch dem anderen das Futter neidet
In den Fängen von Politikern: Filmregisseur Volker Schlöndorff will der ARD-Tagesschau eine frische Sprache verpassen
Andreas Wild

Kein geringerer als Volker Schlöndorff, der berühmte Filmregisseur, will die ARD-Tagesschau retten. Auch er empfindet jetzt, was alle übrigen im Lande schon seit langem empfinden: Diese Sendung ist die langweiligste, jammervollste TV-Veranstaltung, die es gibt. Als ordentlicher Staatsbürger leidet Schlöndorff darunter und will helfen. In einem Beitrag für das Magazin Cicero sinnt er auf Besserung. Die Tagesschau brauche eine „frischere Sprache“ und eine echt „filmische Dramaturgie“, konstatiert er.

Als ob es an solchen Äußerlichkeiten läge! Die Misere der Tagesschau ist keine filmkünstlerische, sondern eine politische. Sie ist seit langem voll in die Fänge der Politiker geraten, die mit ihr machen, was sie wollen. Jeder relevante Platzhirsch paßt genau auf, daß er auf seine Kosten kommt und daß der Hirsch von nebenan ja keine Sekunde länger auf dem Bildschirm erscheint als er selbst. Daraus, aus solcher Sekunden-Platzhalterei plus Wetterbericht, besteht die Tagesschau.

Ob die Äußerungen, die die Hirsche ablassen, auch wichtig, belangvoll und interessant sind, spielt nicht die geringste Rolle. Die Tagesschau zeigt vorrangig nicht das, was wirklich im Land und in der Welt passiert, sondern das, was die Politiker dazu sagen wollen. Was spielt es da noch für eine Rolle, was man im Hintergrund sieht? Meistens sind es die Häuser, aus denen die Statement-Geber gerade herauskommen. Und die Kamera schwenkt schnell vom Haus auf die Aktentasche, die der Bedeutungsträger in der Hand hält, und schließlich sieht man noch, wie er zur nächsten Sitzung eilt.

Das schlimme Kraut fett machen die Moderatorinnen, die die Bedeutungsträger „befragen“. Ihre Stimmen triefen vor Einverständnis und Wichtigtuerei. Es sind alles reine Sollens-Sätze, die sie von sich geben, keine Seins-Sätze. Der Zuschauer soll jedesmal den Eindruck gewinnen, er wohne einer historischen Stunde bei. Dabei wohnt er doch nur einem Film-Take bei, der nach Sendung sofort in den Papierkorb wandert.

Man versteht schon, daß Filmemacher wie Schlöndorff ganz besonders unter so etwas leiden. Doch warum schaltet er nicht einfach ab? Er versäumt definitiv nichts.

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