© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Trennung auf Raten
Große Koalition: Mit der Nominierung Gesine Schwans tritt der Auflösungsprozeß des Zweckbündnisses in seine letzte Phase
Paul Rosen

Den 26. Mai 2008 sollte man sich merken. Es könnte der Tag gewesen sein, an dem die Große Koalition in Berlin ihr Leben aushauchte. Seitdem die Sozialdemokraten Gesine Schwan zu ihrer Kandidatin für das Bundespräsidentenamt ausriefen, wird das Regierungsbündnis von Union und SPD zwar noch künstlich beatmet, aber eine Genesung des Patienten ist ausgeschlossen. Ob die Bundestagswahlen vom Herbst 2009 vorgezogen werden oder die Deutschen jetzt eine Zeit politischer Starre erwartet, ist ungewiß. Sicher ist nur, daß derzeit die Fundamente für andere politische Regierungskonstellationen gegossen werden.

Die Verniedlichung des Tages stammte sicher von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die der SPD vorwarf, sich mit der Nominierung von Schwan "in die Hände der Linkspartei" zu begeben. Die SPD verstößt mit der vom Parteivorstand einstimmig vorgenommenen Nominierung ganz klar gegen den Koalitionsvertrag, in dem sich die Partner verpflichtet haben, personell nicht miteinander in den Wettbewerb zu treten, sondern Kandidaturen vorher abzusprechen. Der mächtige Sprecher der CDU-Landesgruppen im Bundestag, Georg Brunnhuber, bewertete die Lage schon realistischer: "Die SPD überreizt die Stimmungslage in der Koalition."

Tatsächlich ist die Nominierung der Kandidatin, die bereits 2004 erfolglos gegen Horst Köhler antrat, nur der Schlußpunkt eines Zerfallsprozesses des Regierungsbündnisses. Es sei daran erinnert, daß wichtige Architekten der Koalition, etwa die damaligen Parteivorsitzenden Edmund Stoiber (CSU) und Franz Müntefering (SPD), nicht mehr dabei sind. Der eine wurde gestürzt, der andere ging in Rente. Sie hatten mit Merkel den Laden zusammengehalten. Der Einfluß von Stoiber und Müntefering ist nur noch gering. Spätestens seit der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck seinen Rückzug aus der Politik für 2009 ankündigte und von dem Tag an nur noch den Status einer "Lame Duck" (lahmen Ente) hatte, haben sich die Machtzentren in der SPD verschoben. Auch wenn alle Umfragen dem Vorsitzenden Kurt Beck schlechte Werte zuweisen, wird der rheinland-pfälzische Ministerpräsident mächtiger. Die Steuerung der sozialdemokratischen Politik ist jetzt weniger eine Sache der Bundestagsfraktion, sondern der Parteizentrale in der Berliner Wilhelmstraße. Hier wird die SPD-Politik gemacht - und zwar von Beck und seinen Getreuen.

Was Beck wirklich will, daran besteht eigentlich seit dem SPD-Parteitag im Herbst im Hamburg kein Zweifel: Die SPD soll für das große Linksbündnis mit Linkspartei und Grünen bereit gemacht werden. Dieses Bündnis hätte bereits jetzt im Bundestag eine Mehrheit. Und seitdem die Linkspartei dank Oskar Lafontaine auch im Westen flächendeckend präsent wird, bestehen Zweifel, daß sich diese Mehrheitsverhältnisse im nächsten Bundestag zugunsten der Bürgerlichen ändern könnten. Gesine Schwan leistete schon am Tag ihrer Nominierung rot-roten Tendenzen Vorschub: Wer sich von den Mitgliedern der Linkspartei in der Bundesversammlung für sie entscheide, gebe seine Stimme für die Demokratie ab. Diese These ist doppelt gefährlich: Einerseits können sich damit Linkspartei-Mitglieder den Demokraten-Status durch Stimmabgabe erarbeiten, und andererseits werden Köhlers Wähler zu Anti-Demokraten gestempelt.

Das Aussteiger-Verhalten der SPD war schon seit längerem klar erkennbar. Aus der Großen Koalition hat sie keine Erfolge ziehen können. Bei der hessischen Landtagswahl gab es zwar Zuwächse, aber das eigentliche Ziel, die Regierungsübernahme, wurde bisher verfehlt. Die Wahl in Hamburg endete mit einer Katastrophe. Die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein mit den desaströsen Ergebnissen für die einstigen Volksparteien CDU und SPD runden das Bild ab. Es gehört zu den eisernen Grundsätzen der Politik, erfolglose Konstellationen zu beenden. Aus SPD-Sicht gehört die Große Koalition dazu.

Das Ende des Bündnisses kommt nicht überraschend. 2005 hatten Union und SPD sich schnell auf ein Programm verständigen können. Die Finanzierung erfolgte durch Steuererhöhungen. Von besonderem Elan war die Regierungsarbeit danach nicht mehr geprägt. Vielmehr redeten die Regierungssprecher Erfolge herbei - von der angeblichen Haushaltssanierung bis zum Wirtschaftsaufschwung. Aber Merkel machte sich in ihrer Partei unersetzbar, wurde zur Klimaretterin hochstilisiert und hat glänzende Umfragewerte. Die Kanzlerin punktete, während die SPD von einer Führungskrise in die nächste stolperte und Lafontaine den Rahm für die Linkspartie abschöpfte. Das kann die Sozialdemokratie nicht lange mitmachen.

Die Koalitionsarbeit wird seit längerem blockiert. Von den CSU-Vorstellungen einer Steuerreform wollte die SPD nichts wissen. Selbst ein Klimaschutzpaket geriet ins Wanken, weil sich die Partner nicht über die Kfz-Besteuerung einigen konnten. CDU, CSU und SPD blicken nur noch auf die nächsten Wahlen. Man untersucht die eigenen Chancen und sieht mit Schrecken das Erstarken der kleinen Parteien. Merkel wird der Glanz der Umfragen nichts helfen, wenn sie 2009 zwar Chefin der stärksten Partei ist, aber ohne Koalitionspartner dasteht.

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