© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Arbeiterführer, Nobelpreisträger, Staatspräsident - Spitzel?
Polen: Ein noch unveröffentlichtes Buch über den früheren Solidarnosc-Chef und Staatspräsidenten Walesa soll dessen Informantentätigkeit für die Stasi belegen
Andrzej Madela

Es wird eng um Lech Wałęsa. Zwei Autoren des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) feilen an den letzten Formulierungen eines Buches, das die nicht uneifrige Zusammenarbeit des damaligen Elektrikers mit der Danziger Stasi (SB) zwischen 1970 und 1976 stichhaltig belegen soll. Im Sender RMF FM kündigte IPN-Vorstand Janusz Kurtyka eine Publikation an, die "einen Sturm hervorruft und in Polen wie eine Bombe einschlägt".

Zwar behaupten politische Wałęsa-Feinde seit 15 Jahren, der Ex-Präsident und IM "Bolek" seien identisch. Doch solange es nur Verdachtsmomente gab, fiel es nicht schwer, diese aus der Welt zu schaffen, standen Wałęsa doch dabei mit Polsat und ITI zwei gewaltige Medienkonzerne zur Seite, deren Nähe zu den linksliberalen Solidarność-Erben (auch zur regierenden Bürgerplattform/PO von Donald Tusk) schwer von der Hand zu weisen ist. Einen letzten Sieg errang Wałęsa 2005, als ihm der damalige IPN-Chef Leon Kieres den Status eines Stasi-Benachteiligten zuerkannte und das entsprechende Schreiben unter Medien-Getöse selbst überbrachte.

Allerdings gab es bereits damals Zweifler, brachte doch ein Jahr zuvor ein junger IPN-Historiker das vielbeachtete Buch "Mit den Augen der Stasi" heraus, in dem IM "Bolek" unschwer als späteter Solidarność-Chef auszumachen war. Sławomir Cenckiewicz konzentrierte sich dabei allerdings nicht auf die Politprominenz, sondern auf das weitläufige nordpolnische Oppositionsmilieu der 1970er Jahre, dessen Entstehungsgeschichte er anhand der akribischen Stasi-Akten nachgezeichnet hatte.

Nun steht ein einzelner im Mittelpunkt seiner Forschungen. Zusammen mit Piotr Gontarczyk, einem Historiker des polnischen Nachkriegskommunismus, soll der Autor sein Beweisnetz so eng geknüpft haben, daß ein anderer Schluß als der über Wałęsas "Zweitvertrag" unmöglich erscheint. Zur Verteidigung hat sich eine meist linksliberale Front formiert, die über ihr Sturmgeschütz, die von Adam Michnik geleitete Gazeta Wyborcza, die Unbotmäßigen niederzuhalten sucht. Allerdings ist an der defensiven Art zu erkennen, daß den Meinungssoldaten Wałęsas Biographie keineswegs in Gänze verteidigungswürdig erscheint. So schrieb Waldemar Kuczyński am 21. Mai: "Lech war kein Zuträger, was allerdings nicht heißt, er blieb in jedem Augenblick seines Lebens unbeugsam. Er selbst hatte, wenn auch unklar und undetailliert, in einem seiner Bücher (Lech Wałęsa: Ein Weg der Hoffnung: Autobiographie, 1987) eingestanden, als junger Arbeiter Anfang der siebziger Jahre Momente von Schwäche erlebt zu haben."

Sollten diese "Momente" belegt werden, würde Polen ein erheblicher außen- wie innenpolitischer Imageschaden entstehen. Zum einen stünde der Ruf des Friedensnobelpreisträgers zur Disposition. Damit wäre die Geschichte der Solidarność-Opposition neu zu schreiben, stünde die "geregelte" Wende von 1989/ 1990 in einem ungünstigeren Licht.

Nicht zuletzt wäre die Freude bei Jan Olszewski und Antoni Macierewicz riesengroß, standen sie doch - der eine als Ministerpräsident, der andere als Innenminister - bereits 1992 kurz davor, dem vom Sejm beschlossenen "Durchleuchtungsgesetz" zum Sieg zu verhelfen. Damit wären alle öffentlich tätigen Personen auf ihre möglichen SB-Verstrickungen überprüft worden. Die vom rechten Solidarność-Flügel dominierte Regierung wollte eine Liste mit 64 hohen Staatsfunktionären präsentieren, auf der auch die Namen des Staatsoberhaupts, des Sejm-Marschalls und des Außenministers zu lesen waren. Kopien hatte Olszewski an alle Verfassungsorgane verschicken lassen.

Dies wurde ihm zum Verhängnis: In der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1992 zimmerte der eilig aus Moskau zurückgereiste Präsident im Sejm eine Mehrheit gegen die von ihm selbst bestellte Regierung zusammen und ließ sie "wegen Unfähigkeit" abwählen. Der damalige Amtsinhaber hieß - Lech Wałęsa. Dabei kam auch das "Durchleuchtungsgesetz" unter die Räder.

In den Jahren bis 2005 hegten die ehemaligen IMs die Hoffnung, eine Republik mit dem Postkommunisten Aleksander Kwaśniewski als Präsident oder einem Leszek Miller als Regierungschef werde das Problem schon aussitzen. Doch mit dem Sieg der sozialkonservativen PiS der Kaczyński-Zwillinge bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen rückte der "dicke Schlußstrich" in weite Ferne. Das IPN bekam staatsanwaltliche Befugnisse und wurde von höchster Stelle gefördert. Der Fall Wałęsa ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Auch die katholische Kirche, ein zweites Fundament der Opposition und Garant nationaler Identität, offenbart dunkle Flecken. So sollen etwa 4.000 Amtsbrüder bis 1990 als SB-Informanten gearbeitet haben.

Spektakulärster Fall ist der des Dominikanerpaters Konrad Hejmo, der als Leiter des polnischen Pilgerzentrums in Rom und enger Freund des Privatsekretärs von Papst Johannes Paul II. den SB mit 1-A-Informationen aus dem Vatikan versorgt hatte. 2006 mußte sich der Ökumene-Verfechter Michał Czajkowski zu seiner Zuträgerschaft bekennen. 2007 knickte der bereits designierte Erzbischof der Diözese Warschau, Stanisław Wielgus, erst Stunden vor seiner Amtseinführung ein und gab seine jahrzehntelange Stasi-Zusammenarbeit zu. Der Bischof von Włocławek (Leslau), Wiesław Mering, ließ sich hingegen in diesem Jahr ins Amt einsetzen, obwohl detaillierte Dokumente seine IM-Tätigkeit eindeutig belegen.

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