© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

Giftampullen im Designerlook
Er bleibt einfach ein Rätsel: Die erste deutschsprachige Céline-Monographie
Harald Harzheim

Wir sind nichts als Masken", erklärt Camille Paglia. Den zeitgenössischen Biographen stellt solche Erkenntnis vor ein Problem: Wie ließe sich dann ein Leben noch nachzeichnen? Nicht mehr die Persönlichkeit, sondern nur noch Maskierungen rekonstruieren und aus dem historischen Kontext erklären? Genau das tut Ulf Geyersbach in seiner Monographie über Louis-Ferdinand Céline; übrigens die erste Biographie über den legendären Skandal-Autor in deutscher Sprache. Wer des Französischen nicht mächtig war, mußte sich dessen Vita bislang aus Vor- und Nachwörtern der Werkausgaben zusammenbasteln.

Freilich ist Céline für demaskierende Beschreibungen ein dankbares Objekt, war er sich menschlicher Maskierung doch derart bewußt, daß er deren Inszenierung in die eigene Hand nahm, so daß unaufhörlich Propaganda für sich und sein Werk herauskam. "Céline hat sich zunächst selbst getäuscht, sodann den Leser, der getäuscht werden will", sagt Geyersbach. Seine Kunst, das ist Legendenbildung.

Diese Beschreibung als Masken-Spieler relativiert die üblichen Interpretationsschemata, seien sie psycho- oder soziologischer Art. Auch die populäre Falle, Célines Werk als Autobiographie zu lesen, wird von Geyersbach geschickt umgangen. Am Ende wissen wir kaum von einem "wahren" Céline. Er taugt uns weder zur Identifikation noch zum Abscheu. Er bleibt einfach ein Rätsel.

Unser Rätsel kam 1894 in einem gutbürgerlichen Haushalt zur Welt - und nicht, wie sein Roman "Tod auf Kredit" behauptet, im proletarischen Umfeld. Bürgerlicher Name: Louis Ferdinand Destouche; der spätere Künstlername "Céline" ist eine Hommage an den Vornamen der Großmutter. Nach der Ausbildung im Handelsgewerbe meldet er sich für drei Jahre zur Armee. Pech, daß zu dieser Zeit der Erste Weltkrieg ausbrach. Es gelingt Céline, eine Tolpatschigkeit als Heldentat zu verkaufen und die Tapferkeitsmedaille zu ergattern.

Nach der Entlassung packt ihn erneut die Abenteuerlust; er macht den Aufseher auf einer Kautschukfarm in Afrika. Es folgen ein Studium der Medizin, eine Anstellung als Kommunikationsmanager beim Völkerbund in Genf, danach als Konsultant an der Poliklinik in Clichy. Hier in Paris geht er seiner Vorliebe für die "niederen" Kunstgattungen nach: Kabarett, Strip-Revuen, Kino. Und hier zündet er 1932 sein literarisches Dynamit, die "Voyage au bout de la nuit" (Reise ans Ende der Nacht), eine Odyssee durch das Elend dieser Welt. Verfaßt in atemlosem Telegrammstil, der dem klassischen Prosastil à la Proust den Todesstoß versetzte. Geyersdorf zeigt, daß Célines Romandebüt keineswegs nur "aus dem Leben gegriffen" ist, wie der Autor gern betonte, sondern über zahlreiche literarische Vorbilder verfügte.

Mit der "Voyage" war nicht nur eine neue literarische Form, sondern auch eine weitere Maske kreiert: der Armenarzt Céline, der seinen Haß gegen die Unterdrücker dieser Welt rausschreit. Ein Image, das er im nächsten Roman, "Mort à credit" (Tod auf Kredit, 1936), wieder brechen wird, zeichnet er darin doch unsentimental und schonungslos das Leben der Unterschicht. Aber um die Maske des "Linken" endgültig loszuwerden, schrieb er "Mea Culpa" - eine antistalinistische Broschüre, ausgekotzt nach einer enttäuschenden Rußlandreise. Der rasende Pamphletist war geboren.

Problematisch wird Geyersbachs weitgehender Verzicht auf den Blick hinter die Maske bei den folgenden Pamphleten, "Bagatelles pour un massacre" (1937), "L'École des cadavres" (1939) und "Les beaux draps" (1940). Zunächst erfahren wir, daß Célines rasender Antisemitismus nicht biographisch abzuleiten ist und spätestens seit Anfang der zwanziger Jahre erkennbar wurde, auch wenn er ihn zuerst kaum artikulierte.

Daß Céline ab 1937 die Maske des rassistischen Judengegners aufsetzt und drei literarische Haßbomben hintereinander warf, sorgt bis heute für exegetische Ratlosigkeit. Auf die Forschung von Alain de Benoist und Philipp Wascher gestützt, analysiert Geyersbach die "Bagatelles" durch den Vergleich mit der deutschen Übersetzung, die unter dem Titel "Die Judenverschwörung in Frankreich" (1937) erschien. Diese inhaltlich verstümmelte und auf glattes Führerdeutsch gedrillte Version wurde von der NS-Presse, allen voran dem Stürmer, begeistert gefeiert.

Jedoch, Céline mag ein wilder Rassist gewesen sein, Nationalsozialist war er nicht. Außerdem enthielt sein Pamphlet nicht nur antisemitische Ausfälle, sondern auch Angriffe gegen unterschiedliche soziale Gruppen und Nationen. Die Übersetzung dagegen schrumpfte den Text auf eindimensionale "Linientreue". Sie schuf ein Céline-Image, das bis heute prägend blieb.

Diese von Philipp Wascher übernommene Feststellung erklärt zwar noch nicht Célines Intention beim Verfassen der Pamphlete, aber auch Geyersdorf kann sie kaum erhellen, findet er doch wenig eigenen Zugang zu den dämonisierten Texten.

Dabei böten gerade die "Bagatelles pour un massacre" doch Erklärungen an. So stellt deren Ich-Erzähler im Finale erleichtert fest, daß ihm alle Personen seines Hasses aus dem Bewußtsein schwinden, zu vagen "Phantomen" werden. Was darauf deutet, daß Céline eine Auto-Katharsis versucht hat, sich mit dem Schreiben von der emotionalen Last seines paranoiden Hasses befreien wollte.

Dabei, so glaubte der Pamphletist, brauchten die Menschen "den Haß zum Leben, soviel ist sicher! das ist unverzichtbar, das ist unverkennbar, das ist seine Natur." Hier fand er eine Marktlücke, konnte er mit der Droge Haß hausieren gehen, denn das "Publikum verlangt nur eins: daß man sich die Schnauze zerschlägt!"

Bis heute traut sich kein Biograph oder Interpret, die extreme Faszination dieser Haßrhetorik einzugestehen. Klartext: Céline wird nicht trotz, sondern heimlich wegen seiner Haßausbrüche bewundert. Der Sprachartist lieferte Giftampullen im Designerlook. Daß die Pamphlete seit Jahrzehnten schwer greifbar sind, weil das PR-Genie Céline Neuauflagen nach dem Krieg verbot, steigert diesen Effekt noch.

Ironischerweise brachte Céline beim Pamphletschreiben seinen Stil zur vollen Reife, so daß sein nächster Roman "Guignol's Band" die "Früchte" ernten und den Platz des Hauptwerks beanspruchen konnte. Durch ein Minimum an Handlungsfaden gehalten, präsentiert der Autor eine Revue aus der Londoner Unterwelt: Vergewaltigungen in einem Pub, gegenseitige Häutung im Senfgasdelirium, usw.

Mit der Landung der Alliierten in Paris 1944 floh Céline durch das zerbombte Deutschland nach Dänemark. Darüber sollte er später eine Trilogie schreiben, mit der er sich literarisch rehabilitieren und die Opfer-Maske überziehen konnte. Céline, dessen einzige Gewißheit das "Verrecken" war, stirbt 1961 in einem Pariser Vorort an einem Blutgerinnsel im Gehirn.

Ulf Geyersbach hatte zuvor einen Bildband über "Schriftsteller und ihre Automobile" verfaßt, was ihm 2007 den MPC Autobuch-Preis einbrachte. Das ließ hoffen, denn eine Céline-Biographie ohne stilistisches Tempo wäre katastrophal. Geyersbach hat diese Erwartung nicht enttäuscht. Seine Monographie ist eine kurzweilige, rasante Einführung in Leben und Werk des Berufsprovokateurs.

Foto: Louis-Ferdinand Céline (1984-1961): Mit der Droge Haß konnte er beim Publikum hausieren gehen

Ulf Geyersbach: Louis Ferdinand Céline, Rowohlt, Reinbek 2008, Taschenbuch, 160 Seiten, Abbildungen, 8,50 Euro

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