© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/08 30. Mai 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Urliberal
Karl Heinzen

Gottfried Ludewig ist es als Bundesvorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) gewohnt, sich in einem Milieu zu bewegen, dessen Angehörige schon in jungen Jahren mit dem Gedanken vertraut sind, zur zukünftigen Elite unseres Landes zu zählen. Daher ist es verständlich, daß den 25jährigen VWL-Studenten nicht nur Sorgen um die Lage der Hochschulen, sondern um die Gesellschaft insgesamt umtreiben. Insbesondere quält ihn, daß sich die Leistungsträger abmühen, während die Nutznießer des Wohlfahrtsstaates als gleichberechtigte Stimmbürger qua ihrer großen Zahl politischen Druck ausüben, um die Umverteilung zu ihren Gunsten zu lenken.

Diesem Mißbrauch demokratischer Prinzipien gilt es, meint Gottfried Ludewig, einen Riegel vorzuschieben. In seinem Thesenpapier zur "Stärkung der Leistungsträger", das in der CDU zirkuliert, fordert er, daß diejenigen, die den deutschen Wohlfahrtsstaat finanzieren und stützen, wieder mehr Einfluß bekommen. "Die Lösung könnte ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht sein."

So unkonventionell diese Anregung auch auf den ersten Blick erscheinen mag, knüpft sie letztendlich doch nur an die urliberale und im einstigen Kaiserreich vielfältig beherzigte Maxime an, daß die politische Mitsprachemöglichkeit eines Bürgers daran bemessen sein sollte, welchen Beitrag er durch seine Steuern zur Finanzierung des Gemeinwesens leistet. Dieser Grundsatz ist sicherlich unverändert einleuchtend, doch muß es aufgrund der Komplexität des Steuersystems heute als ungleich schwieriger erscheinen, ein schlüssiges Wahlrecht aus ihm abzuleiten. So leistet selbst der ärgste, keiner Arbeit nachgehende Schmarotzer seinen Beitrag zum Staatshaushalt, da er als Endverbraucher ja immerhin die durchaus stattliche Umsatzsteuer auf die von ihm erworbenen Güter und Dienstleistungen trägt. Man wird ihm sein Stimmrecht daher nicht gänzlich entziehen können. Sollte man andererseits aber Vielfahrer oder Kettenraucher privilegieren, bloß weil sie stärker als andere zum Mineralöl- bzw. Tabaksteueraufkommen beitragen? Dies wäre umwelt- und gesundheitspolitisch doch kaum zu rechtfertigen.

Völlig außer Betracht läßt Gottfried Ludewig zudem, daß ja beileibe nicht bloß natürliche, sondern eben auch juristische Personen Stützen unseres Wohlfahrtsstaates sind. Statt über die Gewichtung von Stimmen zu philosophieren, sollte man daher viel eher darüber nachdenken, in welcher Weise auch Unternehmen ein Wahlrecht eingeräumt werden könnte, um sie in demokratische Entscheidungsprozesse einzubinden.

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