© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/08 06. Juni 2008

"Jetzt ist Schluß mit den Parteien"
Reportage: Der Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche kämpft bei den sächsischen Kommunalwahlen um seine politische Zukunft
Christian Dorn

Der 49jährige Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche aus der Lausitz kämpft um seine politische Zukunft. Seit dem Austritt aus der CDU im Dezember 2006 ist Nitzsche parteilos.

Mit einer "Politik der klaren Worte" kandidiert er nun mit seiner Wählervereinigung "Arbeit, Familie, Vaterland" für die Landratswahl am 8. Juni im neugeschaffenen Landkreis Bautzen. Dieser entstand durch die Kreisgebietsreform und umfaßt auch die Städte Hoyerswerda und Kamenz. Obgleich der neue Landkreis nur 338.000 Einwohner zählt, gehört er mit 130 Quadratkilometern zu den größten in Deutschland. Entsprechend kraftraubend ist der Wahlkampf, der - gemessen an der massiven Plakatierung - an eine Bundestagswahl erinnert. Anders als bei der anstehenden Kommunalwahl hätte Nitzsche, der zuletzt zweimal für die CDU ein Direktmandat im Bundestag errungen hatte, bei der nächsten Parlamentswahl als unabhängiger Kandidat kaum Chancen. In der Auseinandersetzung um den Posten des Bautzener Landrats muß er nun gegen den Amtsinhaber Michael Harig (CDU) antreten.

Seine Wahlkampftour beginnt morgens um acht Uhr. Wie bei einem Feuerwehreinsatz geht es von Termin zu Termin. "Wir beackern eine Fläche von der Größe des Saarlands", so Nitzsche, während der stellvertretende Vorsitzende des Bündnisses, Daniel Gerber, am Steuer auf das Gaspedal drückt. Mit dem Kleinbus führt der Weg als erstes zum Marktplatz in Kamenz. Hier hatte einst Nitzsches parteipolitische Laufbahn begonnen, als Kreistagsabgeordneter des Demokratischen Aufbruchs und Bürgermeister der Gemeinde Oßling, wo bis heute auch die Werkstatt des gelernten Töpfers steht.

Über die DSU war Nitzsche schließlich 1993 Mitglied der CDU geworden. Heute will er damit nichts mehr zu tun haben: "Wir stehen für Arbeit, Familie, Vaterland: jetzt ist Schluß mit den Parteien", verkündet Nitzsche, als er zwei älteren Damen sein Wahlprogramm in die Hand drückt. Diese beklagen sich sogleich über die letzte Politikerdiskussion im Fernsehen, die wieder "unmöglich" gewesen sei.

Im Unterschied zum grünen Landratskandidaten Jörg Stern, einem Lehrer für Gemeinschaftskunde am Kamenzer Lessing-Gymnasium, der schwarz berockt wie ein Pfarrer erscheint, ist Nitzsche im wahrsten Wortsinn hemdsärmelig: Sandalen, schwarze Jeans und ein lindfarbenes Hemd, auf dem sich Jäger und Wilddiebe bekriegen.

"Der Jäger läßt das Wild kommen und schießt auf 20 statt auf 200 Meter", sagt Nitzsche. Jetzt aber sind es nur noch wenige Schritte, bis sich Nitzsche und Stern die Hände schütteln. Während Nitzsche dem Pädagogen sein Wahlmaterial übergibt, ermahnt er diesen: "Aber nicht abschreiben!" Dabei ist es aus Sicht von Stern vielmehr Nitzsche, der abgeschrieben hat. So erklärt der vierfache Familienvater Nitzsche später, wie sein 19 Jahre alter Sohn im Unterricht den Lehrer gefragt habe, was er vom Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland halte. Darauf habe dieser geantwortet, sein Vater hätte das Programm von der NPD abgeschrieben.

Auch wenn dies nicht stimmt: Die NPD ist ein Thema in diesem Wahlkampf, an dem Nitzsche nicht vorbeigehen will und kann. Die soziale Lage in der Region ist angespannt. "41 Prozent aller Kinder in Hoyerswerda leben unter der Armutsgrenze", weiß Nitzsche. Er erinnert daran, daß die NPD bei der vergangenen Wahl in einem Ort in der Region 50 Prozent der Stimmen erhalten hat. "Das kann nicht sein", so Nitzsche selbstbeschwörend.

Nach seinem Empfinden ist das "Parteiensystem hier in Auflösung begriffen". Bei der letzten Bürgermeisterwahl in Kamenz etwa habe der SPD-Kandidat zwei Prozent Stimmen erhalten. Wenn Nitzsche konstatiert, daß es "die reine (Farben-) Lehre" nicht mehr gibt, scheinen ihm zumindest die Wahlplakate recht zu geben. So hat ein CDU-Kandidat in der Region Plakate von sich geklebt, ohne die Partei zu erwähnen, gerade so, als schäme er sich. Andere personalisierte Plakate von CDU und Grünen sind in der Farbgestaltung mit einem grünen Balken kaum voneinander zu unterscheiden, weshalb Nitzsche keck vermutet, daß da vielleicht schon programmatische Absicht hinterstecke.

Nitzsche hat derweil andere Sorgen. Da keine große Partei hinter ihm steht, könne er nur durch "Bodenhaftung und Präsenz" überzeugen, wie es der Leiter eines Bibelgartens in Oberlichtenau ausdrückt. Während hier im Freien das koschere Bier "Simcha" (übersetzt "Freude") getrunken wird, muß Nitzsche mit Kaffee vorliebnehmen. Denn seine Fastenzeit ("kein Alkohol") hat er ausgedehnt bis zum Wahltag am 8. Juni.

Bis dahin wird er noch viel Überzeugunsarbeit leisten müssen. Nicht überall wird es so ein Heimspiel sein wie hier oder im Arbeitslose-Selbsthilfe-Landkreis Kamenz e.V., wo Nitzsche als Vorsitzender agiert. Doch immerhin ist dies nicht der einzige Beweis, wie stark Nitzsche vor Ort verankert ist. Da ist das japanische Weltmarktunternehmen auf grüner Wiese, an dessen Baugenehmigung Nitzsche seinerzeit maßgeblichen Anteil hatte.

Den zweifellos größten Erfolg jedoch hat Nitzsche mit der Gründung einer christlichen Mittelschule in seinem Heimatort Oßling verbucht, die in diesem Sommer den Abschluß ihres ersten Schuljahres, einer 5. Klasse, feiert. Da allein im neuen Landkreis Bautzen 32 Schulen geschlossen worden sind, weil sie nicht mehr zweizügig waren, dürfte es eine größere Gruppen von Eltern geben, die womöglich für Nitzsche stimmen. Der ist optimistisch. Selbst die örtlichen Medien rechnen beim Kampf um das Landratsamt mindestens mit einem zweiten Wahlgang. Nitzsche, der hier eine neue politische Landschaft entstehen sieht, weiß, daß er einen Gegner bereits nicht mehr fürchten muß, denn: "SPD findet hier nicht statt."

Foto: Nitzsche im Wahlkampfeinsatz in Kamenz: Ein Landkreis so groß wie das Saarland

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