© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/08 06. Juni 2008

Braun gegen Schwarz-Orange
Machtprobe zwischen Verbandskatholizismus und Nationalsozialismus / Behördenwillkür und SA gegen den Münchner Kolping-Kongreß im Juni 1933
Manfred Müller

Über 20.000 Mitglieder des Katholischen Gesellenvereins, die meisten von ihnen junge Handwerker im Alter von 17 bis 25 Jahren, waren am Vortag von Trinitatis (Dreifaltigkeitssonntag) 1933 in München zum 1. Deutschen Gesellentag versammelt.

Dies sehr zum Ärger der revolutionär oder antikirchlich gesinnten Kräfte aus NSDAP, SA und SS in der "Hauptstadt der Bewegung". Der Kongreß sollte vom 8. bis zum 11. Juni den Leitgedanken "Gott und Volk - Volk und Stand -Stand und Staat" behandeln - ganz im Sinne des großdeutsch und sozialreformerisch orientierten "Gesellenvaters" Adolf Kolping (1813-1865), eines ehemaligen Schustergesellen, der als Priester diesen über die Grenzen Deutschlands hinausreichenden Verein aufgebaut hatte. Im Straßenbild Münchens fielen vor allem diejenigen Gesellen auf, die das orange-schwarzfarbene Kolpinghemd als gemeinsame Kluft trugen.

Am Abend dieses 10. Juni 1933 stand in Münchens Ausstellungshalle I der Festvortrag des Vizekanzlers Franz von Papen auf dem Programm, der die Schirmherrschaft über den Kongreß übernommen hatte. Kaum hatte Papen seine Rede über den von ihm immer wieder propagierten Brückenschlag zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus beendet, erschien Reinhard Heydrich, damals Leiter der Bayerischen Politischen Polizei, in der Halle und verbot mit sofortiger Wirkung das Tragen des Kolpinghemdes. War es an den Vortagen schon zu eher unsystematisch erscheinenden Ausschreitungen der SA gegen Tagungsteilnehmer gekommen, so zeigte sich nun, daß die Zusammenstöße gut vorbereitet waren.

Auf dem Weg in die Quartiere wurden Kolping-Gesellen von Schlägerkolonnen angegriffen. Die Polizei hatte vom bayerischen Innenminister Wagner die Weisung erhalten, nicht einzugreifen. Diese "Hemdenschlacht an Trinitatis" (so Kardinal Faulhaber in einem seiner Protestschreiben) bestätigte die Vermutung, daß der Kongreß von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Hitler hatte der Tagung zwar am 18. Mai durch den Chef der Reichskanzlei "einen guten Verlauf" wünschen lassen. Aber sechs Tage vor Eröffnung des Kongresses verbot Kirchenhasser Heydrich den Deutschen Gesellentag mit Begründungen, die an den Haaren herbeigezogen waren. Bei den Verhandlungen, durch die der Kongreß doch noch ermöglicht werden sollte, erwiesen sich die bayerischen NS-Minister Wagner und Esser als die treibenden Kräfte für ein Verbot, während Reichsstatthalter Ritter von Epp (Spitzname: "Herz Jesu General"), der NS-Ministerpräsident Siebert und der aus der bayerischen Volkspartei kommende Wirtschaftsminister Quadt den Gesellentag befürworteten. Wagner erklärte sich schließlich widerwillig bereit, den Kongreß zu genehmigen, "wenn jegliches öffentliches Auftreten, Aufmarschieren in geschlossenen Gruppen vermieden werde und die Fahnen nur eingerollt getragen würden".

Die Reden und Weihespiele während des Kongresses waren getragen von einem starken nationalen Pathos und von Bekenntnissen zur Reichsidee sowie von Bekundungen zu treuer Mitarbeit beim Aufbau eines neuen Deutschland. Gerade dies aber war den radikalen Kräften der NS-Bewegung nicht geheuer. Diese Konkurrenz aus dem traditionsreichen deutschen Vereinskatholizismus mußte demoralisiert und zerschlagen werden. Daher das Zusammenspiel von Heinrich Himmler, Ernst Röhm, Reinhard Heydrich und den willfährigen Mitgliedern des bayerischen Kabinetts bei den Versuchen, den Kongreß zu verhindern oder zu beeinträchtigen. Man verstand dies als eine Machtprobe.

An Trinitatis sollte der Kongreß mit einem angesetzten Festhochamt in der Ausstellungshalle beendet werden. Lange vorher schon besetzten 1.000 SA-Männer die Zugänge, weitere 2.000 standen auf der Theresienwiese in Bereitschaft. Die Polizei mochte einen umfassenden Schutz der Teilnehmer nicht garantieren, und der katholische Vizekanzler von Papen erwies sich als machtlos. Unter diesen Umständen gab die Vereinsleitung den vorzeitigen Abbruch des Kongresses bekannt. Sie betonte aber gleichzeitig, der Verband wolle auch künftig an dem "Glauben festhalten, den Brückenschlag zwischen katholischer Überzeugung und dem neuen Deutschland zu vollziehen".

Als sich nach dem Abschluß des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 in großen Teilen des reichsdeutschen Katholizismus Euphorie breitmachte, wurden auch die unguten Erfahrungen vom Münchner Gesellentag verdrängt. Im Kolpingblatt vom 1. September 1933 schrieb Generalsekretär Nattermann: "Ich glaube, daß die beiden Adolf, der Reichskanzler Adolf Hitler und unser Vater Adolf Kolping, sich die Hand reichen können zu verschiedenen Aufgaben." Diese Illusionen zerplatzte dann in der Folge unter dem Eindruck sich steigernder Gleichschaltungs- und Unterdrückungsmaßnahmen gegen den Katholizismus.

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