© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/08 06. Juni 2008

Dokumentarfilm über die Rubljovka: Mit versteckter Kamera im Reich Putins
Dort, wo der Rubel rollt
Christian Dorn

Ich träume davon, daß Putin zum dritten Mal gewählt wird, und noch besser zum vierten. Damit er es zu Ende bringen kann." Die Worte der über siebzigjährigen Ljubov Jermilina, die bis heute ihr Wasser aus dem Brunnen schöpft, erinnern unwillkürlich an den unerschütterlichen Glauben mancher Gulag-Sträflinge. Die hatten sich das Porträt Stalins tätowieren lassen in der fatalen Überzeugung, ihre Inhaftierung könne nur ohne dessen Wissen erfolgt sein. So verblendet dieses Bekenntnis war, so illusionär scheint auch die Hoffnung der in ärmlichen Verhältnissen wohnenden Frau. Natürlich weiß auch sie, daß es schlecht um Rußland steht - ihre eigene Situation ist beredtes Zeugnis.

Doch daß es gerade der Apparat unter der Ägide Putins ist, der einen Wasseranschluß bis zu ihrem Anwesen bis heute verweigert, überschreitet dann doch den eigenen Horizont. Allerdings reicht dieser noch zurück in die Jahre der Kindheit - von Geburt an ist sie hier zu Hause. Als sie, ein junges Mädchen, mit einer Freundin unterwegs war, tauchten plötzlich zwei schreckliche Reiter vor ihnen auf: Stalin und an seiner Seite Budjonny. Voller Angst hatten sie sich in das Roggenfeld geflüchtet und sich dort bis zum Abend versteckt, um nicht verhaftet zu werden.

Die Rede ist von der Rubljovka, jener legendären Verkehrsader westlich von Moskau, die Rußlands Machtzentrum mit der Provinz verbindet. Seit jeher zieht diese Straße, deren Namen heute am treffendsten als Chaussee des rollenden Rubels zu übersetzen wäre, die herrschenden Eliten magnetisch an: Zaren, Diktatoren und zuletzt Präsidenten. Neben dem Anwesen der Familie Jelzin finden sich an dieser Strecke auch jene des Moskauer Bürgermeisters Luschkow oder des - in einer Rochade - gerade zum Ministerpräsidenten mutierten Wladimir Putin. Unter seiner Macht ist die Rubljovka zum Synonym für Reichtum, gesellschaftlichen Aufschwung und dekadente Lebensart geworden. Das Roggenfeld gibt es nicht mehr, statt dessen entstehen gigantische Landhäuser und schloßähnliche Anwesen, deren einziges Qualitätskriterium sich aus der "Größe" und dem "Preis pro Quadratmeter" speist. So kommentiert das Geschehen der Physiker Romanow, der mit Filaret Romanow verwandt ist, dem Vater der zaristischen Romanow-Dynastie. Auch seine Familie wohnt hier, allerdings in einer durch und durch dekonstruktivistischen Baustelle.

Der von Irene Langemann gedrehte Dokumentarfilm "Rubljovka - Straße zur Glückseligkeit" (Di., 16. Juni, 23 Uhr, Arte) ist schon deshalb einzigartig, weil dieselbe Produktion heute wohl unmöglich wäre. Grund dafür sind nicht zuletzt die vor der Parlamentswahl im Dezember 2007 erlassenen Anti-Extremismus-Gesetze, denen zufolge bereits die "Verleumdung eines Staatsbeamten" als extremistischer Straftatbestand verfolgt wird. Gerade die kleinen unabhängigen Medien in der Provinz, die oft als einzige über Mißstände in den Behörden aufklären, müssen deshalb um ihre Existenz fürchten. Damit nicht genug: Unlängst hat die russische Generalstaatsanwaltschaft eine weitere Verschärfung dieser Gesetze gefordert. Der zufolge sollen die Medien gesetzlich verpflichtet werden, jeder Aufforderung von Staatsbeamten zur Veröffentlichung von Gegendarstellungen nachzukommen, ohne daß es dafür noch eines Gerichtsbeschlusses bedürfe.

Die aktuelle Situation läßt erahnen, welch widrigen Umständen die Filmaufnahmen bereits im Jahr 2006 abgetrotzt werden mußten. Denn der Straßenzug Rubjlovka ist ein streng überwachter Hochsicherheitstrakt. Trotz mühsam erkämpfter Drehgenehmigungen wurde das Filmteam, das sich als russische Produktion tarnen mußte, permanent vom russischen Sicherheitsdienst FSB, den Wachdiensten und der Verkehrspolizei behindert und bedroht. Vieles wurde mit versteckter Kamera gedreht. Dennoch ist der Regisseurin ein ebenso spannender wie befremdlicher Dokumentarfilm über die Chaussee und ihre Bewohner gelungen. Es entsteht ein Bild, in dem sich die adverbiale Bestimmung "wohnhaft" unversehens in das gleichlautende Substantiv verwandelt. Es ist das Porträt einer Oberschicht, die sich alles kaufen kann: Verkehrsregeln, Villen, Zobelpelze. Und sei es, daß die Sprößlinge der Oberschicht mit ihren Quads die Rubljovka unsicher machen.

Während ein tänzelnder Luftballon über der stark befahrenen Straße an die ironische Filmästhetik eines Alexander Kluge erinnert, vermitteln die vorbeifahrenden deutschen Karosserien den Eindruck eines Werbefilms der deutschen Automobilindustrie. Da der Film ohne kommentierende Stimme auskommt, übernehmen diesen Part Kameraführung und Musik sowie der zwölfjährige Roma Romanow, der politisch reifer wirkt als das gesamte übrige Rubljovka-Personal. Vor sich eine Coca Cola light, erklärt der Nachfahre aus der Zarendynastie am Ende: "Als erstes müßte man den Angriff auf die Demokratie in Rußland stoppen", denn die Meinungsfreiheit werde hier "sehr schnell beseitigt". Statt dessen, so die Geschäftsfrau Jelena Bavidowna, hält es das neue Rußland mit der "Pelztherapie - das ist unsere Ideologie".

Foto: Sprößlinge der Oberschicht: Mit Quads Macht demonstrieren
Foto: L. Jermilina: Armut pur
Foto: Roma Romanow: Ein wirklich guter Erzähler

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