© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Politik von unten
Wahlen: Freie Wähler profi tieren vom Niedergang der Volksparteien / Einzug in bayerischen Landtag als Ziel
Hans Christians

Sie machen Politik, aber halten vom etablierten Parteiensystem herzlich wenig. Fast in jedem Bundesland sind die sogenannten Freien Wählergemeinschaften oder auch Wählerinitiativen mittlerweile flächendeckend organisiert und heimsen bei Kommunalwahlen wie am Sonntag in Sachsen (siehe Seite 5) in aller Regel stattliche Ergebnisse ein. Beim Urnengang in Schleswig-Holstein im Mai steigerten die unabhängigen Gruppen ihr Ergebnis um nahezu das Doppelte auf 5,1 Prozent.

Daß dies im ländlich geprägten nördlichen Bundesland gelingen konnte, ist auf den ersten Blick nicht überraschend. Die Freien Wählergemeinschaften sind traditionell in kleinen Gemeinden und Städten stark verankert. Je höher die Bevölkerungszahl ist, desto geringer wird der Einfluß der unabhängigen Gruppen. Dies hing bisher damit zusammen, daß in Kreis- und Landeshauptstädten oftmals "große Politik" betrieben wurde, die Auswirkungen auf die Landespolitik hat. In den Gemeinden hingegen stehen allzu oft unabhängige Integrationsfiguren für eine bürgernahe Politik, die Sachfragen behandelt und ideologische Unterschiede ausklammert.

Doch eine zunehmende Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit rufen nun auch innerhalb des Bundesverbandes der Freien Wählergemeinschaften Stimmen auf den Plan, die eine deutschlandweite Organisationsstruktur und den Antritt zu Landtags- und sogar auch Bundestagswahlen empfehlen. Bundesvorsitzender des Verbandes ist der langjährige bayerische Landrat Armin Grein. "Nebenbei" ist er auch noch Ehrenvorsitzender des bayerischen Verbandes der Freien Wähler. Die regionalen Wählergruppen sind in Baden-Württemberg und im Freistaat traditionell stark und stellen in den Kommunen fast die Hälfte aller Mandatsträger. Grein, dessen Amtszeit am 1. Mai endete, konzentriert sich mit seinem Nachfolger Hubert Aiwanger auf die Vollendung seine größten politischen Coups. Angespornt von der frappierenden Schwäche der seit Jahrzehnten alleine regierenden CSU, schicken sich die Freien Wähler an, bei den Landtagswahlen im Herbst in das Maximilianeum einzuziehen. Übereinstimmende Meinungsumfragen sehen die "Freien" derzeit konstant bei acht Prozent. Und das gefällt nicht jedem: nicht der regierenden CSU, die der FWG "Inhaltsleere" vorwirft, schon gar nicht der im Freistaat traditionell schwachen FDP, die aufgrund der bürgerlichen Konkurrenz auch diesmal an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern droht, und auch nicht den rechtskonservativen Republikanern, die sich seit 1983 vergeblich mühen, in ihrem Stammland in den Landtag einzuziehen.

Kein Wunder, daß der Landeschef der Republikaner, Johann Gärtner, die unliebsame Konkurrenz als "fünfte Kolonne" der Union geißelt, die im Notfall zur Machtsicherung parat stehen würde. Gänzlich unbegründet ist diese Angst nicht. Schon im Vorfeld der hessischen Landtagswahl mühte sich Ministerpräsident Roland Koch (CDU) um Wahlabsprachen mit den "Freien". Denn diese wildern traditionell in eher bürgerlichen Gefilden und dienen unzufriedenen Wähler in den Kommunen oftmals als Ventil für ihre Politikverdrossenheit.

Bereits bei den beiden zurückliegenden Urnengängen im Freistaat erreichten die Freien Wähler jeweils rund vier Prozent der Stimmen und scheiterten relativ knapp am Einzug in den bayerischen Landtag. Der bevorstehende Paukenschlag ruft naturgemäß auch Nachahmer auf den Plan. So planen die Freien Wählergruppen an Rhein und Ruhr einen gemeinschaftlich koordinierten Wahlantritt zu den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im Herbst 2009. Am vergangenen Wochenende trafen sich die Vorsitzenden der regionalen Wählergruppen zu einer Strategiekonferenz. "Das Treffen war eine Initialzündung. Die Zeit der Bindung an die großen Volksparteien ist vorbei", sagte Organisator Andreas Henseler. Der frühere Kölner Schuldezernent gehörte vor Jahren zu den Gründern des Kölner Bürger-Bündnisses. Zahlreiche Ex-Politiker aus anderen Parteien sind der Gruppierung, die mit zwei Vertretern im Kölner Rat vertreten ist, bereits beigetreten. "Der Einfluß von parteipolitisch unabhängigen Wählergruppen wird in den nächsten Jahren zunehmen", ist Henseler sicher und ergänzt: "Wir wollen auch verhindern, daß Rechtspopulisten davon profitieren." Diese Äußerung ist eindeutig auf Pro Köln gemünzt, die mit dem umtriebigen Vorsitzenden Markus Beisicht bei den anstehenden Wahlen ein zweistelliges Ergebnis in der Domstadt anpeilt.

Parteienforscher analysieren daher zutreffend, daß die Wählergruppen Protestwähler von links und rechts binden könnten. Problematisch war bisher bei den geplanten Antritten zu Landtagswahlen, daß die Freien Wähler kein gemeinsames Landesprogramm vorlegen beziehungsweise sich darauf einigen konnten. "Wir müssen schauen, unter welchen Voraussetzungen wir für die Bürger wählbar werden können", sagt Henseler deshalb vorausschauend. Hierbei liegt allerdings das große Problem. Als normale Partei innerhalb des Establishments würden sich die Freien Wählergemeinschaften langfristig überflüssig machen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen