© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Der Zweite Weltkrieg will nicht enden
Italien: Zwei römische Urteile trüben das Verhältnis zu Deutschland / Entschädigungszahlungen für Militärinternierte? / Zwangshypothek für griechische Ansprüche
Paola Bernardi

Deutschland möge die Sklaven Hitlers entschädigen", titelte vorige Woche die linksliberale Tageszeitung La Repubblica. Illustriert war der Artikel mit zwei Fotos von Konzentrationslagern. Darunter stand: "Die Sklaven Hitlers werden entschädigt, Offiziere und einfache Soldaten, Partisanen, Jungen und Familienväter". Der rechtsliberale Mailänder Corriere della Sera gab sich gemäßigter: "Grünes Licht für die Wiedergutmachung italienischer Deportierter". Außerdem las man: "Hypothek auf deutsche Villa am Comer See".

Deutsche Leser rieben sich die Augen. Was war geschehen? Das oberste Berufungsgericht in Rom (Cassazione) hatte fast zur gleichen Zeit zwei aufsehenerregende Urteile gefällt. Zum einen hat das Kassationsgericht die Entschädigungsansprüche für die Überlebenden aus dem griechischen Distomo anerkannt. In der Ortschaft nahe Delphi wurden am 10. Juni 1944 durch Soldaten der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division während einer Vergeltungsaktion für Partisanenüberfälle 218 Bewohner - darunter auch Kinder, Frauen und alte Menschen - umgebracht. Die Überlebenden und Angehörigen prozessierten seit Jahrzehnten um Entschädigung, doch erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands kam Bewegung in die Frage nach zusätzlicher deutscher Wiedergutmachung.

Griechische Ansprüche nun in Italien durchgesetzt

Wahlkämpfende griechische Präfekten in Regionen, die in der deutschen Besatzungszeit besonders hart betroffen waren, legten den Zwei-plus-Vier-Vertrag als Friedensvertrag aus, was zu einer Wiedergutmachungsklage beim Landgericht von Livadia in Mittelgriechenland führte. Durch seinen Beschluß 137/1997 vom 30. Oktober 1997 wurde Deutschland zu 55,3 Millionen Mark Wiedergutmachung verurteilt. Der Areopag, der oberste Gerichtshof Griechenlands, bestätigte im Januar 2000 das Urteil. Um die Entschädigungszahlungen zu erzwingen, versuchten die Kläger das Goethe-Institut in Athen zu pfänden. Doch die griechische Regierung verhinderte die Vollstreckung. Eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wurde 2002 ebenfalls abgewiesen.

Daraufhin versuchten die Anwälte der griechischen Kläger, das Urteil in Italien zu vollstrecken, was nach europäischem Recht innerhalb der EU möglich ist. Sie hatten auch Erfolg: Denn das Berufungsgericht in Florenz ließ eine Hypothek über 25.000 Euro auf die Villa Vigoni am Comer See eintragen. Und das Kassationsgericht in Rom hat dieses Urteil nun in letzter Instanz bestätigt.

So könnte das Paradox geschehen, daß ausgerechnet dieses Deutsch-Italienische Kulturzentrum - das 1983 von dem kinderlosen deutsch-italienischen Mäzen Don Ignazio Vigoni Medici di Marignano der Bundesrepublik vermacht wurde, um die deutsch-italienischen Dialoge in der europäischen Perspektive zu fördern - nun zum Zankapfel zwischen Berlin und Rom wird.

Seit 1986 treffen sich in dieser Villa in Menaggio - ein wahres Juwel großbürgerlicher lombardischer Wohnkultur - Professoren und Journalisten aus beiden Ländern zu Gesprächen und Diskussionen, die zur Verbesserung der Beziehungen dienen sollen. Da die diplomatischen Vertretungen im Ausland unter besonderem Schutz stehen, versuchen die Kläger sich an den kulturellen Institutionen schadlos zu halten.

Drohende Klageflut gegen die Bundesrepublik Deutschland

Und wie abgesprochen haben zeitgleich die obersten Richter des Kassationsgerichtes jetzt auch entschieden, daß Deutschland ehemalige Zwangsarbeiter und auch italienische Militärinternierte (IMI) entschädigen soll, die nach der Entmachtung Benito Mussolinis und der Kriegserklärung Italiens ab Herbst 1943 zur Zwangsarbeit im Reich und im besetzten Osten genötigt worden waren. Erst im Sommer 1944 waren die meisten IMI - auf Intervention Mussolinis - in zivile Arbeitsverhältnisse übernommen worden.

Den Musterprozeß führten 50 Ex-Deportierte aus der Hochburg des Widerstands in Piemont. Die italienischen Richter erklärten die Zwangsarbeiter- und IMI-Klagen für legitim - aber noch nicht den Entschädigungsanspruch. Die Deportationen seien "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Bundesregierung habe nicht das Recht, sich vor italienischen Zivilgerichten auf die Staatenimmunität zu berufen. Damit könnte sich das überraschende Urteil zu einer wahren Klageflut ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ausweiten.

Derzeit werden in Berlin die Urteile geprüft. Man behalte sich rechtliche Schritte vor, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte. Man verwies auch auf jene vierzig Millionen Mark Entschädigung, die in den sechziger Jahren von Deutschland an Italien gezahlt wurden. Es hieß, Deutschland könne vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegen Italien klagen. Da das jedoch die Beziehungen zwischen den beiden Ländern schwer belasten würde, hätten die Regierungen beider Länder engen Kontakt aufgenommen. www.oeaw.ac.at

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