© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Zeitschriftenkritik: Recherche
Hochgesteckte Ziele
Werner Olles

Die erste Ausgabe von Recherche, der "Zeitung für Wissenschaft", liegt vor. Das zweimonatlich mit 31 Seiten im Zeitungsformat erscheinende Blatt hat eine Auflage von 25.000 Exemplaren und versteht sich als "unabhängige und überparteiliche Publikation, die sich mit wissenschaftlichen Themen beschäftigt". Mit Essays, Vorträgen, Rezensionen und Reportagen aus den Bereichen Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften wendet sich Recherche an den anspruchsvollen Leser und möchte zudem zur "Förderung einer attraktiven, zugänglichen Wissenschaftsprosa, die ohne popularisierende Vereinfachung auskommt", beitragen.

Das sind hochgesteckte Ziele, doch wird man wohl erst nach der Lektüre mehrerer Ausgaben feststellen können, ob sie auch erreicht wurden. Die erste Recherche macht mit einem Vortrag von Jan Philipp Reemtsma auf, den dieser im Rahmen des Philosophicums Lech hielt: "Muß man Religiosität respektieren? Über Glaubensfragen und den Stolz einer säkularen Gesellschaft". Der Autor bezeichnet sich selbst als "Nicht-Religiösen" und empfiehlt Religiösen unter anderem eine Psychotherapie, an deren Ende diese psychisch in der Lage sein müßten, ihre Religion aufzugeben, um dann "in eigener Sache normativ zu entscheiden und sich dieses Umstands auch bewußt zu sein".

Sollte es Reemtsma indes nicht klar sein, daß selbst "aufgeklärte" Atheisten und moderne Freigeister nicht völlig religionslos sind, wenn sie einmal zu denken angefangen haben? Religionslos sind nur Tiere, kleine Kinder und Geisteskranke im letzten Stadium. Offenbar verwechselt Reemtsma einen Atheisten in seiner Irreligiosität und einen Anti-Theisten in seiner Gottlosigkeit und ist unfähig, dies zu unterscheiden. Tatsächlich ist die Religion kein Zufallsprodukt in der Geschichte des Menschen und der Völker und auch keine Erfindung irgendeiner Priesterkaste, sondern eine geistige Realität, die nach Thomas von Aquin "Gott zum Ziel hat". Zumindest das sollte man eigentlich wissen, wenn man über den "Stolz einer säkularen Gesellschaft" spricht, dabei aber gerne vergißt, wie merkwürdig es sich doch heute verhält mit der Menschenwürde des Menschen ohne Würde.

Über "Völkermorde im 20. Jahrhundert" schreibt Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. In der Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten sieht der Autor "ein düsteres Leitmotiv des vergangenen Jahrhunderts". Doch unterschieden sich "Wahrnehmung und Aufarbeitung dieser Verbrechen in den betroffenen Ländern drastisch". So werde der kaltblütig in Szene gesetzte Genozid an den Armeniern von der Türkei als Nachfolger des längst vergangenen Osmanischen Reiches bis zum heutigen Tag geleugnet. Und dies, obwohl die Regierung im Herbst 1915 ihre völkermörderischen Absichten keineswegs verschwieg. So hieß es in einem Erlaß des Innenministers: "..., daß die Regierung beschlossen hat, alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten. Ohne Rücksicht auf Frauen, Kinder und Kranke, so tragisch die Mittel der Ausrottung auch sein mögen, ohne auf die Gefühle des Gewissens zu hören, ihrem Dasein ein Ende zu machen."

Anschrift: InTime Service. Bajuwarenring 14. 82041 Oberhachling. Das Einzelheft kostet 2,90 Euro, das Jahresabo 25 Euro. Internet: www.recherche-online.net 

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen