© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/08 13. Juni 2008

Gottesspiegel ihres Vaters
Babysitter in Santiago: Zum 25. Todestag der Carl-Schmitt-Tochter Anima
Harald Harzheim

Um das Verhältnis Carl Schmitts zu seiner Tochter zu verstehen, scheint es naheliegend, mit der Analyse ihres Vornamens zu beginnen. So vermutete Nicolaus Sombart, daß Schmitt als C.G.-Jung-Leser den "Anima"-Begriff in dessen Sinne verstanden habe: als weibliche Seite im Unbewußten des Mannes. Gemeinsam mit dem männlichen Animus ist sie Ausdruck der seelischen Doppelgeschlechtlichkeit eines jeden Menschen. Mit der Geburt der Tochter habe sich der "männlich"-martialische Schmitt langsam dem "Weiblichen" geöffnet. Diese Entwicklung erreichte in seinem Büchlein "Land und Meer" (1943) den Höhepunkt, thematisiert es doch die historische Akzentverschiebung vom (männlich besetzten) Tellurischen zum (weiblichen) Meer und war - kaum zufällig - seiner Tochter Anima gewidmet. "Warum schreibt Schmitt das für ein Mädchen und nicht für uns Männer?" moserte damals ein verständnisloser Kollege, während Gottfried Benn bei der Lektüre sogleich an eine "Flucht zu Anima" (Brief an C. Schmitt, 28. März 1943) dachte.

Mag Sombarts Interpretation durchaus Berechtigung haben, Schmitts eigene Aussagen legen eine weiterreichende Bedeutung ihres Namens nahe - eine, die auf transzendentale Ebenen verweist.

Carl Schmitt erklärte Söhne zu puren Duplikaten ihres Erzeugers, die Tochter dagegen sei "das ganz andere", folglich um ein Vielfaches bedeutsamer. Sie repräsentiere - ähnlich wie in einem anderen Zusammenhang auch die politische Macht - das Göttliche. Der Rechtswissenschaftler Alvaro d'Ors schrieb an Carl Schmitt, daß er beim Verfassen des Satzes homo homini anima an dessen Tochter gedacht habe. Dieser Gegen-Satz zu Hobbes homo homini lupus erkennt den Anderen als geistiges Wesen, in dem Gott wohnt. Damit hat er Animas Bedeutung für ihren Vater auf den Punkt gebracht. Der Katholik Carl Schmitt imaginierte sich die unsterbliche Seele als Taube, als heiligen Geist, und Animas spätere Erscheinung sollte mit ihrer Grazie, Zartheit und Liebenswürdigkeit einlösen, was ihr Name versprach: ein ätherisches Wesen wie die frühe Anaïs Nin, die "Seele", der Gottesspiegel ihres Vaters. (Solch eine mystische Stilisierung hat erst Hans-Jürgen Syberberg wieder versucht, der seine Tochter Amélie 1982 im "Parsifal" als Personifizierung des heiligen Grals auftreten ließ.)

Anima Louise Schmitt erblickte am 20. August 1931 das Licht der Welt. 1933, beim Umzug nach Berlin, notierte Schmitt, daß seine kleine Tochter ihm "viel Freude" bereite, daß sie "sehr lieb herumsprang". Anima zeigte geistige Frühreife. Schon im Alter von acht Jahren hatte sie einen Platz am Gästetisch der Eltern, als ihr Intellekt bereits jene interpretatorischen Überraschungseffekte hervorbrachte, durch die das Werk ihres Vaters Berühmtheit erlangte. Als Carl Schmitt einmal an Ischias litt, diagnostizierte die kleine Anima eine psychosomatische Reaktion, "weil du meinen Osterhasen aufgegessen hast". Dem Vater schienen derartige Geistesblitze zu imponieren, durch Anima entdeckte er den Babysitter in sich - ein neuer Auftrag, für den er manch andere Tätigkeit zurückstellte.

Als Carl Schmitt nach dem Krieg in Nürnberger Haft saß, beschwor er in einem Brief an die 15jährige Anima seine spirituelle Verbundenheit mit ihr: Sie solle "fleißig beten", denn "Gott beschützt uns". Dabei solle sie niemals vergessen, daß "Du die Tochter von Carl Schmitt bist".

Nach dem Umzug ins sauerländische Plettenberg-Pasel brachte Anima zahlreiche Schulkameradinnen ins elterliche Haus. Im Garten probten sie Theaterstücke. Carl Schmitt begleitete den Inszenierungsprozeß als Dramaturg, erschloß den Mädchen die Bedeutungsebenen der literarischen Vorlagen. Hier bewies der Vater sein dramaturgisches Talent, das Heiner Müller später auch in dessen politischen Schriften entdeckte.

Animas Liebe zum Theater sollte nicht versanden. In jungen Jahren ging sie als Kulissenmalerin ans Theater in Darmstadt und studierte ab 1951 Theaterwissenschaften in Hamburg. Auch später in Spanien werden die Wände ihres Hauses mit selbstgeknüpften Wandteppichen geschmückt sein; imposant wie Theaterkulissen sollen sie gewirkt haben. 1981 wurden 29 davon öffentlich in Bonn ausgestellt.

In ihren Zwanzigern gerät Anima ins Reisefieber, so daß Carl Schmitt wehleidig klagt: "Ihr Vaterhaus in Plettenberg ist für sie nur noch Tankstelle und Reparaturwerkstatt." Nicht ganz. Als sie zum Beispiel ihre Übersetzung von Lilian Winstanleys Buch "Hamlet, Sohn der Maria Stuart" (1952) publiziert, steuert Carl Schmitt ein Vorwort bei, vier Jahre später schrieb er ein eigenes Buch über den dänischen Prinzen, "Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel".

1956 trifft Anima in Heidelberg auf Alfonso Otero, einem Ordinarius für Rechtsgeschichte, den sie im drauffolgenden Jahr heiratet. Gemeinsam ziehen sie nach Santiago, wo Anima vier Kinder zur Welt bringen wird. Die Verbundenheit zum Vater hält auch über die Entfernung; gegenseitige Besuche sind nicht selten. Und wieder ist die Beschäftigung mit Kindern interessanter als die Politik. "Ich möchte lieber Babysitter in Santiago sein als Staatsrat in der Bundesrepublik", erklärt Schmitt.

Animas Charme schlug sich auch in ihren Briefen nieder, ist durch deren Lektüre noch nachvollziehbar. So berichtet sie zum Beispiel von einer "Matinee", die sie in Pasel gegeben habe und die "tout Paris von Plettenberg" mit seiner Anwesenheit beehrte. "Mein Vater war ganz erstaunlich auf der Höhe, und wenn ich auch fürchtete, es würde eine anstrengende Langeweile für ihn, genoß er geradezu den Aufzug von Fabrikanten und Gymnasialprofessoren, Lehrerinnen, Notaren etc. Und wenn ich Flaubert wäre, würde ich (...) eine zauberhafte Beschreibung der Szene machen."

Aber Anima war eben nicht nur Seele, sondern auch Körper. Und der erkrankte Anfang der achtziger Jahre an Krebs, dem auch schon ihre Mutter Duschka Schmitt 47jährig erlegen war. Kein Katechon hatte den Todkrieg in ihrem Körper aufgehalten. Sie verschwieg das Ausmaß ihres Leidens gegenüber ihrem greisen Vater, der seinerseits von Ängsten und Verwirrung heimgesucht wurde. Am 17. Juni 1983 verstarb sie schließlich. Als Carl Schmitt davon erfuhr, soll er gesagt haben: "Das arme Kind; nun hat sie sich den 17. Juni als Todestag ausgewählt." Eine andere Quelle behauptet den Satz: "Ich habe es geahnt." Letzterer würde die Verbundenheit zu ihr erneut unterstreichen. Jedenfalls soll sich Schmitt danach zurückgezogen, nie wieder über ihren Tod gesprochen haben und seinerseits endgültig zerbrochen sein.

Ernst Jünger stand vor der peinlichen Aufgabe, ihm einen Monat später im gleichen Brief zum 95. Geburtstag gratulieren und das Beileid wegen Animas Tod aussprechen zu müssen. Der letzte Satz "Bitte gehen Sie mir weiterhin voran" wirkt wie ein Gegengift zu der Erkenntnis, daß mit Anima auch ein Teil von Carl Schmitt gestorben war, daß ihm durch ihren Tod das "ganz andere" Selbst zerstört wurde. Keine zwei Jahre später folgte er nach.

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