© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Kolumne
Quer zu den Fronten
Rolf Stolz

Kann man aus der Geschichte lernen? Man kann, auch wenn es selten gelingt. Herr Hitler, der in Napoleons Fußstapfen auf dem russischen Eis genauso ausglitt wie der kleine Korse ... Die Kanzlerin der Amerikaner, die als Enkelin des Kanzlers der Alliierten die alten Abhängigkeiten Deutschlands liebevoll restauriert und schwungvoll neue aufbaut. Die parteiunabhängige demokratische Opposition sollte das nicht kopieren, sondern die wichtigste Lehre unserer Geschichte begreifen: sich nicht wie die demokratischen nationalen Bewegungen 1813, 1848 und 1918/33 aufsplittern und aufreiben zu lassen. Für unser äußerlich saturiertes, in Wahrheit aber zurückbleibendes, verarmendes, vergreisendes Land sind wir eine Art letztes Aufgebot, eine letzte Hoffnung. Scheitert dies, dann wird Deutschland nur noch ein Kolonialgebiet des globalistischen Finanzkapitals sein oder sich in ein islamisches Germanistan verwandeln.

Doch noch gelingt es den Herrschenden, die außerparlamentarische Opposition im Sinne des "Teile und herrsche" zu verteufeln und auseinanderzudividieren. Ihr bester Verbündeter sind dabei die, die alles ganz allein und nur mit den eigenen Leuten schaffen wollen. Natürlich ist es angenehmer, als Linker mit handverlesenen Linken, als Konservativer mit befreundeten Konservativen die schöne neue Welt zu planen und die Andersdenkenden zutiefst zu verabscheuen.

Politik ist anders: Sie besteht darin, sich in einer konkreten Frage mit früheren und zukünftigen Feinden auf Zeit zu verbünden. Um zum Beispiel als konservative Christen mit kommunistischen Atheisten von zwei Seiten den islamistischen Block in die Zange zu nehmen und durch Überzeugungsarbeit (also politische und/oder religiöse Mission) aus Muslimen Ex-Muslime zu machen, aus türkischen Chauvinisten assimilationsbereite neue Deutsche.

Als dissidentischer Linker stehe ich seit Jahren zwischen den Fronten. Das ist die Idealposition, um eines zu erkennen: Nur eine neue Front - quer zu den Schlachtordnungen - kann die alten Schützengräben und die alten Machthaber überwinden. Nur sie kann die mehr von oben als von den Rändern her bedrohte Demokratie verteidigen, kann dieses Land als Land der Deutschen erhalten, als Land der Menschenrechte, der europäischen Kultur, sozialer Gerechtigkeit und geistiger Freiheit. Irland beweist, wie der David einer bunten Einheitsaktion den Goliath einer volksfeindlichen Allparteienkoalition besiegen kann.

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

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