© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Wer mit dem Meißel schreibt
Die "FAZ" wartet mit vermeintlichen Enthüllungen über Erwin Strittmatter auf
Thorsten Hinz

Und wieder hat die FAZ die Sauglocke geläutet und die "SS-Vergangenheit" eines Schriftstellers an selbige gehängt. Jetzt trifft es den 1994 verstorbenen Erwin Strittmatter, den wohl populärsten Autoren ("Ole Bienkopp") der DDR, der zwischen Ostsee und Erzgebirge noch immer eine treue Lesergemeinde besitzt. Doch worin liegt überhaupt der Neuigkeitswert der angeblichen Enthüllungen, die der Literaturwissenschaftler Werner Liersch ausgebreitet hat?

Im Lexikon "Wer war wer in der DDR?", das 2000 im Christoph Links Verlag erschien, heißt es über den 1912 im brandenburgischen Spremberg geborenen Strittmatter unter anderem: 1941 eingezogen zur Schutzpolizei, ab 1944 Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei.

Chef der Deutschen Polizei war seit 1936 der Reichsführer SS Heinrich Himmler, der im Februar 1943 anordnete, daß die deutschen Polizeiregimenter "die Bezeichnung SS-Polizeiregiment" zu führen hätten. Das betraf auch das Reserve-Polizeibataillon, in dem Strittmatter als Schreiber diente. Die Umbenennung macht ihn zu keinem SS-Mann und sein Polizeiregiment nicht automatisch zur Verbrecherbande.

Die Aussicht auf fünf Minuten Feuilleton-Ruhm zerstört auch alte zwischenmenschliche Loyalitäten. Strittmatters Witwe, die mit Liersch seit Jahrzehnten bekannt ist, klagte, daß dieser sie zu keinem Zeitpunkt kontaktiert, sondern sie mit dem Artikel gleichsam "überfallen" habe. Liersch wiederum stellt sich dümmer, als die DDR-Volkspolizei erlaubte, wenn er moniert, auch wenn Strittmatter offenbar an keinen SS-Verbrechen beteiligt war, repräsentierte er "wieder diese deutsche Haltung, nicht alles zu offenbaren, was im Krieg wirklich geschah, ob im Osten oder Westen".

Dann sollte man die Gründe dieser Haltung erforschen. "Wer mit dem Meißel schreibt / Hat keine Handschrift", heißt es in Heiner Müllers Gedicht "Mommsens Block". Wer in der DDR über seine Kriegserlebnisse schreiben wollte, mußte den Meißel eines grobschlächtigen Antifaschismus benutzen: Die Sowjetunion war unser aller Befreier, Deutschland war "Hitler-Deutschland", die Wehrmacht die "faschistische Armee", ihre Soldaten waren fanatisiert oder irregeleitet. Für alternatives Geschichtswissen war genausowenig Platz wie für individuelle Erfahrungen. Es spricht mehr für als gegen Strittmatter, daß er den Meißel gar nicht erst in die Hand nahm und sich über die Kriegszeit ausschwieg.

Im Westen war es nur dem Anschein nach besser. Wer im demokratischen Kulturbetrieb reüssieren wollte, mußte sich der Entnazifizierung und damit den Vorgaben der westlichen Vormächte unterwerfen. Ernst von Salomon landete zwar 1951 mit seinem "Fragebogen", der eine selbstbestimmte Sicht auf den Weltkrieg und das Dritte Reich bietet, einen fulminanten Publikumserfolg. Gesellschaftlich und literaturgeschichtlich jedoch blieb er folgenlos. Die Rezension des großen Friedrich Sieburg war ein langes, verlegenes Hüsteln darüber, daß so ein Buch sich politisch nicht gehöre. Sieburg hatte Gründe, derartig unter sein Niveau zu gehen. Er hatte seine Karriere im Dritten Reich fortgesetzt und galt nun als "belastet". Bis 1948 stand er unter Publikationsverbot, und noch immer war seine Stellung unsicher. Da lehnte er sich besser nicht aus dem Fenster.

Was seitdem geistige und kulturelle Freiheit heißt, wurde auf dem Fundament der Anpassung und Heuchelei errichtet. Weder Liersch noch die FAZ kommen daher auf das Nächstliegende: die blutigen Repressionen, die Strittmatter möglicherweise notieren mußte, in einen Zusammenhang mit dem Partisanenkrieg zu bringen, der gleichfalls das Kriegsrecht negierte.

Die Evaluation des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs der DDR durch den Westen hat die bankrotte Sieger-Ideologie des Ostens durch die - gar nicht so verschiedene - westliche ersetzt. Es hätten aber die geistig-kulturellen Überbauten beider deutscher Staaten 1989/90 entheuchelt und ent-siegert werden müssen, damit die zwei verlorenen Weltkriege nicht als innerdeutscher, geistiger Bürgerkrieg weitergehen.

In Strittmatters Geburtsstadt Spremberg will der CDU-Bürgermeister die Umbenennung der Strittmatter-Straße empfehlen. So kennen wir sie, unsere tapferen Christdemokraten: Auf der Schleimspur immer vorneweg! Doch es gibt eine Stimme der Vernunft. Sie gehört dem Schülersprecher des Strittmatter-Gymnasiums im brandenburgischen Gransee (Strittmatter hatte seit 1957 auf einem Bauernhof im Kreis Gransee gelebt). Ihm sei kein Schüler bekannt, der für ein Ablegen des Schulnamens sei, sagte der 17jährige der Regionalzeitung. "Als Literat ist Strittmatter für uns ein Vorbild, wir wüßten aber gern mehr über die Umstände in der Zeit des Dritten Reiches. Klar ist aber auch, daß es für uns gar nicht leicht ist, sich unter den heutigen demokratischen Strukturen die damaligen Zwänge vorzustellen. Das Verweigern einer Mitgliedschaft in militärischen Einheiten hat in der damaligen Zeit doch meist die Todesstrafe zur Folge gehabt."

Sind der Respekt, die instinktive Lebensklugheit und historische Empathie, die aus diesen Sätzen sprechen, repräsentativ für eine neue Generation? Dann müßte einem um die Zukunft des Landes nicht bange sein.   

Foto: Erwin Strittmatter bei einer Lesung (1980): Es spricht mehr für als gegen den populären DDR-Autor

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