© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

EM 2008
Orangene Revolution
Arthur Hiller

Zwar zählen die Niederländer zu den gefürchteten Fußballmächten des Kontinents, doch die Liste der Triumphe ihrer Nationalmannschaft verzeichnet lediglich einen Eintrag: 1988 erstritten sie sich bei der Europameisterschaft in Deutschland den Titel, nachdem sie auch den Gastgeber in einer leidvollen Zitterpartie im Halbfinale ausgeschaltet hatten. Bis auf den heutigen Tag sollte es sich bei den Folgeturnieren nie wieder zutragen, daß die Mannschaft, die spielerisch am überzeugendsten auftrat, am Schluß auch die Nase vorn hatte.

Dies könnte sich in diesem Jahr ändern, und wiederum sind es die Niederländer, die es in der Hand haben, zu demonstrieren, daß im Fußball nicht immer nur die Laune des Schicksals waltet. Für ein Überraschungsmoment ist allerdings bereits dadurch gesorgt, daß dem Team in Orange niemand zuvor zutrauen konnte, sowohl den Weltmeister als auch den Vizeweltmeister in einer Weise vom Platz zu fegen, die nicht zuletzt das Publikum daheim in ungläubiges Staunen versetzte. Alles mögliche und vor allem natürlich ein klägliches Scheitern hatte man von Bondscoach Marko van Basten erwartet, nur eben nicht das.

In seiner aktiven Karriere eine der prägenden Spielerpersönlichkeiten jener zweiten "goldenen Generation", die die EM 1988 gewann, hat er als Trainer der Nationalmannschaft in den vergangen vier Jahren vor allem Unmut geerntet, da er ausgerechnet jene Philosophie über Bord zu werfen schien, die die Fans an ihrem Team so sehr liebten. Nicht mehr leidenschaftliche Offensive und Spielwitz, sondern ergebnisorientierter Pragmatismus hieß unter ihm die Devise, die sich in einer glanzlos absolvierten EM-Qualifikation mit gerade einmal 15 Treffern in 12 Spielen niederschlug.

Der niederländische Fußball krankte daran, daß es lange nicht gelang, aus herausragenden Einzelspielern ein Team zu formen. Dieses Manko hat van Basten abgestellt, indem er keine Rücksichten auf Platzhirsche nahm und sich von manchen trennte. Das Rückgrat seiner neuen, noch gar nicht sonderlich eingespielten Mannschaft ist stark genug, daß jetzt sogar wieder Angriffsfußball praktiziert werden kann. Auch wenn bei der EM der Griff nach den Sternen noch scheitern sollte, ist mit Blick auf die WM 2010 das Feld für seinen Nachfolger bestellt. Mit Beginn der neuen Saison tritt Marko van Basten in die Dienste von Ajax Amsterdam.

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