© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/08 20. Juni 2008

Beichte ohne Läuterung
Hermann Kant, letzter Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes, im Gespräch mit Irmtraud Gutschke
Jörg Bernhard Bilke

Wer sich mit der Geschichte der DDR-Literatur unter Erich Honecker 1971/89 beschäftigt, wird das verhängnisvolle Wirken des Schriftstellers Hermann Kant, der 1978/90 als Nachfolger von Anna Seghers (1900-1983) zugleich auch Präsident des DDR-Schriftstellerverbands war, berücksichtigen müssen.

Er war nicht nur neben Staatssicherheit und Kulturministerium verantwortlich für die Ausbürgerung oppositioneller Autoren, die mit oder ohne Visum zum westdeutschen "Klassenfeind" abgeschoben wurden, sondern auch für die Entfernung von neun Schriftstellern, unter ihnen der angesehene Emigrant Stefan Heym (1913-2001), aus der OstBerliner Sektion des Verbands auf einer Krisensitzung am 7. Juni 1979 im Roten Rathaus. Daß er darüber hinaus unter dem Decknamen "Martin" seit 1957 als "inoffizieller Mitarbeiter" der Staatssicherheit tätig gewesen war, war vor 1989 vermutet worden und konnte 1995 durch Karl Corino in seinem eindrucksvollen Buch "Die Akte Kant" mit 152 belastenden Dokumenten nachgewiesen werden.

Aber die gegen den Ex-Präsidenten zu erhebenden Vorwürfe sind noch gravierender. Während seines Studiums an der Universität Greifswald 1949/52 soll er drei Kommilitonen bei den Staatsorganen denunziert haben. Einer von ihnen, der Theologe Johannes Krikowski (1930-2007), wurde wegen seines Eintretens für demokratische Verhältnisse 1951 verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, von denen er vier in der Workuta-Region am Eismeer verbringen mußte.

Bei derart massiven Anschuldigungen sollte man eigentlich erwarten dürfen, daß Hermann Kant, wenn schon nicht zu DDR-Zeiten, so doch unmittelbar danach alle Zweifel an seiner Integrität ausräumt. Weit gefehlt! In seiner 1991 veröffentlichten Autobiographie "Abspann", so umfangreich sie auch ist, werden alle belastenden Zeugnisse seines machtpolitischen Wirkens als zweifacher Nationalpreisträger (1973 und 1983) und Greifswalder Ehrendoktor (1980) ausgespart. So vermißt man beispielsweise seine Antrittsrede als Präsident vom 29. Mai 1978, als er den 1977 ausgebürgerten Lyriker Reiner Kunze noch nachträglich beschimpfte ("Kommt Zeit, vergeht Unrat!"), und die Greifswalder Dankesrede vom 7. Mai 1980, wo er kritischen DDR-Autoren schlimme Folgen androhte, wenn sie weiterhin in Westzeitungen veröffentlichten. Im Hamburger Spiegel dagegen konnte man am 5. Oktober 1992 Auszüge aus "Treffberichten" seines Führungsoffiziers Herbert Treike lesen, worin der eifrige Zuträger belobigt wurde wegen seiner "umfassenden und zuverlässigen Berichterstattung" und wegen seiner "ständigen Einsatzbereitschaft und exakten Durchführung seiner Aufgaben". Als ihm zum 50. Geburtstag am 14. Juni 1976 für treue Dienste die "Medaille der Waffenbrüderschaft" verliehen wurde, bescheinigte man ihm "Zuverlässigkeit, Verschwiegenheit, hohe Einsatzbereitschaft und Ehrlichkeit".

Nun hat Irmtraud Gutschke, Literaturredakteurin des Neues Deutschland, mit Hermann Kant in seinem Haus in Prälank/Mecklenburg, eine Art intimes Gespräch unter PDS-Genossen geführt, das etwa 50 Stunden gedauert hat und dessen Extrakt unter dem Titel "Die Sache und die Sachen" als Buch erschienen ist. Hier in der Einsamkeit von Neustrelitz plaudert der schreibende Rentner, der seine Berliner Stadtwohnung 1994 aufgegeben hat, freier und offener über Leben und Taten. Offensichtlich war die Zeit gekommen, nach den Lebenserinnerungen von 1991 und drei umfangreichen Romanen bisher noch Ungesagtes preiszugeben, was auch dem geschickten Ausfragen der Gesprächspartnerin zu danken ist, deren Verurteilung des 1989/90 untergegangenen SED-Staates viel weiter geht als die zaghaften Versuche Hermann Kants.

Manche Fragen freilich, etwa die nach dem Schicksal Johannes Krikowskis, konnten nicht beantwortet werden, weil sie überhaupt nicht gestellt wurden. Immerhin gelang ihm eine halbe Entschuldigung bei Reiner Kunze; am 7. Juni 1979 im Roten Rathaus will er "sehr uneins" mit sich gewesen sein, weil er unter dem Druck des Bezirkssekretärs Konrad Naumann gestanden habe; Karl Corinos Buch "Die Akte Kant" will er gelesen haben, bestreitet aber die Stringenz seiner Aussagen.

In diesen sieben Kapiteln zur Rechtfertigung politischen Fehlverhaltens erfährt man eine Fülle von Einzelheiten über den Literaturfunktionär und Parteiarbeiter Hermann Kant, der vom gelernten Elektriker über das Studium der Germanistik 1952/56 bei Alfred Kantorowicz an der Ost-Berliner Humboldt-Universität aufgestiegen ist zum ZK-Mitglied, Abgeordneten der Volkskammer, anerkannten Schriftsteller und mächtigen Verbandspräsidenten. Man fragt sich nur, wie tief seine unvermuteten Bekenntnisse und halbherzigen Widerrufe subjektiv eingefärbt sind, um noch verwertbar zu sein für eine spätere Literaturgeschichtsschreibung. Über sein freundschaftliches Verhältnis zu Stephan Hermlin (1915-1997), das seit Oktober 1952 bestand, hätte man gerne mehr gewußt, auch über das Schicksal seines Romans "Das Impressum" (1972), der erst drei Jahre nach dem jäh abgebrochenen Vorabdruck in der FDJ-Zeitung Forum erscheinen konnte.

Zur Selbsteinschätzung, er sei "kein Oppositioneller", wohl aber ein "kritischer Genosse" gewesen, hätte man gerne Genaueres erfahren, beispielsweise, wo bei der politischen Einschüchterung von Schriftstellerkollegen das Unrechtsbewußtsein mit der Parteidisziplin ausgeschaltet wurde. Schließlich war sein großer Zwiespalt in den Jahren 1978/89, daß er zugleich Schriftsteller und Literaturfunktionär war und sich offensichtlich nur einmal - als er Erich Loest durch direkte Fürsprache bei Erich Honecker und mit der Drohung, sonst sein Amt niederzulegen, eine Zweitauflage seines Romans "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" (1977) verschaffte - für die Literatur entschied. Daß der SED-Staat keine Demokratie war mit freien Wahlen und mehreren Parteien, hat er inzwischen auch erkannt: Nun spricht er, nach der Revolution vom Herbst 1989 befragt, von "Zwangsherrschaft".

 

Dr. Jörg Bernhard Bilke ist Literaturwissenschaftler. Von 1983 bis 2000 war er Chefredakteur der "Kulturpolitischen Korrespondenz" der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat in Bonn.

 

Irmtraud Gutschke, Hermann Kant: "Die Sache und die Sachen". Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2007, gebunden, 288 Seiten, 14,90 Euro

Fotos: Hermann Kant, ehemaliger Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes, 2002: Als Denunziant "sehr uneins" mit sich gewesen; Staatsschriftsteller Kant, um 1970: Verhängnisvolles Wirken

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