© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Schwarzes Erwachen
Franz Josef Strauß ohne Nachfolger: Die schleichende Abdankung der CSU
Kurt Zach

Männer machen Geschichte. Die Historie der Christlich-Sozialen Union ist eine Abfolge charismatischer Persönlichkeiten, die als Ministerpräsidenten und Parteivorsitzende Bayern und Deutschland über lange Zeiträume hinweg geprägt haben. Es fällt schwer, das Tandem ohne Fortune, das derzeit in den viel zu großen Schuhen seiner Vorgänger steht, in einer Reihe mit Hundhammer und Ochsensepp, Hanns Seidel und Alfons Goppel, Franz Josef Strauß und selbst Edmund Stoiber zu sehen. Sollte je eine Ära nach Erwin Huber und Günther Beckstein benannt werden, dann wird es über sie wohl heißen: Das war die Zeit, als die CSU vom deutschlandweit beachteten rechten Flügel der Union zum ganz normalen und nicht mal besonders wichtigen CDU-Landesverband wurde.

Die Nervosität der CSU-Funktionäre ist berechtigt: Mit einer erstaunlichen Kette von Fehlleistungen vom fluchtartigen Transrapid-Ausstieg bis zum vermurksten Wirtshaus-Rauchverbot, das die Kanonen auf die eigene Basis an den Stammtischen richtete, haben die an der Parteispitze zusammengespannten Rivalen Huber und Beckstein eifrig unter Beweis gestellt, daß sie vom Regierungsgeschäft überfordert sind.

Das allein wäre noch nicht existenzbedrohend; Jedes Handwerk kann man lernen, auch dieses. Schwerer wiegt, daß die Stoiber-Erben offenbar gar nicht wissen, was ihre Partei überhaupt ausmacht und worauf ihr bisheriger Erfolg und ihre Sonderstellung gegründet sind. Anders ist nicht zu erklären, daß Becksteins Nachfolger als Innenminister, der langjährige Fraktionschef Joachim Herrmann, als Schirmherr einer der zahllosen Initiativen "gegen Rechts" persönlich in den antifaschistischen Kampf gegen die eigene Partei eingetreten ist.

Rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei mehr geben, lautete ein Kernsatz von Franz Josef Strauß zum Selbstverständnis seiner Partei. Das implizierte geradezu zwingend, daß die CSU selbst sich als die demokratische Rechte in Deutschland verstehen mußte. In den ersten fünfzehn Jahren an der Spitze der Partei, deren Vorsitz er 1961 übernommen hatte, vermochte Strauß diesen Anspruch durchaus überzeugend einzulösen. Unterstützt durch brillante Köpfe wie seinen viel zu früh verstorbenen persönlichen Referenten Marcel Hepp, der aus dem Parteiorgan Bayernkurier ein schlagkräftiges rechtskonservatives Sturmgeschütz machte, formte er die CSU zu einer breiten antikommunistischen und antisozialistischen Sammlungsbewegung, in der die unterschiedlichsten konservativen und rechten Strömungen und Milieus eine Heimat finden konnten und die gegenüber den Achtundsechzigern klare Kante zeigte.

Strauß war Bundespolitiker, und als rechter Flügelmann der Union verschaffte er seiner Partei vor allem in den Bonner Oppositionsjahren seit 1969 eine bundespolitische Geltung, die weit über ihre Sonderstellung als eigenständige Stimme Bayerns hinausging. Abgesichert wurde diese Rolle durch die absolute Mehrheit, die Ministerpräsident Goppel ein Jahr nach Straußens Amtsübernahme 1962 erobert hatte.

Die logische Konsequenz aus dieser Positionierung war das Konzept der "Vierten Partei": Die CSU, so die Idee dahinter, solle sich als demokratische Rechte bundesweit organisieren. Die Kreuther Klausurtagung von 1976, auf der die Ausdehnung beschlossen und wenig später unter dem Druck der um ihre Mandate fürchtenden lokalen und regionalen Matadore zurückgenommen wurde, war der Höhe- und Wendepunkt der Strauß-CSU.

Seither lebt die Partei mehr und mehr von ihrem Mythos als rechtskonservative Kraft statt von Taten, die diesen Ruf rechtfertigen könnten. Als Strauß zwei Jahre vor seinem Tode 1986 das Dogma vom rechtsdemokratischen Alleinvertretungsanspruch der CSU gegen die Republikaner formulierte, die das Konzept der "Vierten Partei" von außen aufgegriffen hatten, konnten die Christsozialen dieses Postulat schon nicht mehr aus eigener Kraft durchsetzen: Sie waren auf das stillschweigende Bündnis mit der linken Hysterie "gegen Rechts" angewiesen, um die Herausforderung abzuwehren.

Unter den Nachfolgern des Mannes, der fast drei Jahrzehnte lang die Geschicke der CSU geleitet hatte, wurde die Entideologisierung der äußerlich machtvollen und festgefügten bayerischen Alleinregierungspartei zügig fortgesetzt. Heute präsentiert sich die CSU als auf Hochtouren laufende Machtmaschine, die durch den fortschreitenden Verlust ihrer weltanschaulichen Bindungskraft zusehends ins Stottern und Knirschen gerät.

Noch hält man an dem programmatischen Dreiklang "sozial, liberal und konservativ" als Erfolgsrezept fest. Doch die Begriffe sind leer geworden. Je lauter ihre Spitzenpolitiker, ihre Söders und Hubers, sich bei Medienauftritten mit markigen "Jawohl, ich bin konservativ!"-Bekenntnissen selbst Mut machen, desto deutlicher tritt zutage, wie wenig Substanz, Kampfgeist und Courage zum Widerspruch hinter diesen Lippenbekenntnissen steht. Ein paar konservativ inspirierte Nuancierungen bei Familienpolitik, Integration oder innerer Sicherheit sind noch kein Gegenentwurf zum linksliberalen Zeitgeist. Mehr und mehr Christsoziale ziehen sich müde auf die vom SPD-Vordenker Eppler erfundene Schwundformel "wertkonservativ" zurück. Und Innenminister Herrmann, derselbe, der jetzt "gegen Rechts" marschiert, warnte schon kurz nach Amtsantritt, die CSU solle doch "das Konservative nicht überbetonen".

Ohne den Willen, selbst demokratische Rechte zu sein, wird das vielbeschworene Strauß-Dogma zum plumpen linksgewirkten Antifaschismus. Entweder geht die CSU beim frühen Strauß in die Lehre und wird zum rechtskonservativen Widerpart in Deutschland - oder sie macht weiter mit beim Linksrutsch der Union und wartet, bis andere in die Lücke stoßen, die sie offenläßt. Die Uhr läuft.

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