© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Warum sie Nein sagten
Der britische EU-Kritiker Frederick Forsyth über die Zukunft der Union
Frederick Forsyth

Regierungsformen gibt es viele: gute, schlechte und schlimme. Dem faszinierten Laien fällt jedoch bald - über die Jahrhunderte und die Kulturen hinweg - eine Konstante in der Regierungskunst auf. Immer hat man es mit zwei Gruppen zu tun, der kleinen Gruppe der Regierenden und der viel größeren Gruppe der Regierten. 

In einem Staat, wo die Regierenden den Regierten einen gewissen Respekt entgegenbringen - wo sie bemüht sind, ihnen zuzuhören, sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihren Wünsche möglichst nachzukommen -, werden die Regierten diesen Respekt erwidern. Sie werden nicht immer mit ihren Regierten einig sein, aber sie werden ihnen großes Vertrauen zollen. Eine solche Gesellschaft ist gesund und mit sich selber im reinen.

Behandeln die Regierenden die Regierten jedoch mit kaum verhüllter Verachtung, regieren sie auf dem Verordnungsweg, spielen sie nicht mit offenen Karten, dann werden die Regierten ihnen mit Abneigung und Mißtrauen begegnen. In einem solchen kränkelnden Staat wird der Demos, das Volk, zunehmend verdrossen und unkooperativ. Eine echte Demokratie, wie sie in Europa vor allem aus der angelsächsisch-keltisch-gälischen Tradition gewachsen ist, wird durch fundierte Meinungsbildungsprozesse regiert.

1863 schloß Abraham Lincoln seine Gettysburg-Rede mit einer bis heute unübertroffenen Definition der besten aller Regierungsformen, nämlich der Demokratie: "auf daß die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk niemals von der Erde verschwinden möge".

In der Europäischen Union aber ist das Demokratiedefizit im Laufe der vergangenen zehn Jahre im selben Maße angewachsen wie die schiere Verachtung gegenüber uns, den Regierten. Ein vereintes Europa kann nur funktionieren, wenn es auf einer vollen und willigen Demokratie basiert statt wie jetzt auf einer Mogelpackung. Vor drei Jahren wurde den Bürgern Europas ein Dokument vorgestellt, das man als EU-Verfassung stilisierte. Sein Urheber war ebenfalls ein Präsident, besser gesagt ein ehemaliger Präsident. Allerdings war er kein Abraham Lincoln, sondern Valéry Giscard d'Estaing. In der Gewißheit, daß es sich um eine bloße Formalie handelte, versprachen mehrere Regierungen, darunter die Londoner und Dubliner, eine Volksabstimmung über die Bildung des Europäischen Staates.

Als erste waren zwei Gründungsmitglieder der alten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dran, aus der die EU hervorgegangen ist: Bei den Franzosen und Niederländern fiel das Dokument mit Pauken und Trompeten durch. Ob man ihr Ergebnis begrüßte oder nicht - es war eine demokratische Entscheidung.

Drei Jahre später tauchte dasselbe Dokument unter einem anderen Namen wieder auf. Man hat seine über hundert Bestimmungen in eine andere Reihenfolge gebracht und seinen Wortlaut so umgeschrieben, daß er selbst für Rechtswissenschaftler unverständlich ist - in der expliziten Absicht, Entwürfe an der europäischen Öffentlichkeit vorbeizuschmuggeln, "die wir ihnen nicht direkt vorzulegen wagen" (Giscard d'Estaing). Alle europäischen Regierungen wurden schärfstens angehalten, den Lissabonner Vertrag ohne Volksabstimmung zu ratifizieren. Nur eine einzige konnte dabei wegen jenes wundervollen Schriftstücks, der irischen Verfassung, nicht mitmachen.

Nun schreibt Nicolas Sarkozy das klare "Nein" der Iren ihrer Abneigung gegen den EU-Handelskommissar Peter Mandelson zu. Falscher könnte er nicht liegen: Er selber, Angela Merkel und ihresgleichen waren der Grund.

Bei allem fröhlichen "Sláinte" (Prost!) lassen sich die Iren weder für dumm verkaufen noch vor den Karren spannen. So klein ihr Land ist, so sehr widerstrebt es ihnen, von einem kleinwüchsigen, herrischen Franzosen herumkommandiert zu werden. Eine massive Steuererhöhung auf das französische Niveau wollen sie genausowenig wie ein Ende ihrer Neutralität, um Frankreichs militärische Ambitionen zu erfüllen. Sie wußten, daß sie am 12. Juni für 500 Millionen Europäer sprachen, denen eine neue Autokratie das Stimmrecht verweigert hatte. Sie wußten, daß die Briten, Polen, Tschechen und Dänen mit ihnen Nein gesagt hätten - und die Niederländer und Franzosen vielleicht auch wieder.

Was jetzt? Der irische Premierminister Brian Cowen wäre schön dumm, die Volksabstimmung wiederholen zu lassen. Im Moment ist die Stimmung im Land so, daß der Vorsprung der "Nein"-Stimmen nur noch größer würde. Man kann mit einiger Gewißheit annehmen, daß der französisch-deutsche Goliath die einzige Taktik anwenden wird, die er beherrscht: seine Muskeln spielen lassen, um David einzuschüchtern.

Klüger wäre es, sich darauf zu besinnen, daß Europa ein Jahrtausend überdauert hat. Auf ein Jahr kommt es nicht an. Die Verantwortlichen sollten das Inkrafttreten des Reformvertrags auf den 1. Januar 2010 verschieben. Vorher muß er so umgeschrieben werden, daß alle Bürger ihn verstehen können. In Ländern, deren Völker einen Volksentscheid wollen, sollte er gestattet werden. Mag sein, daß das Vorhaben wiederum scheitert. Aber was ist die Alternative? Demokratie oder Autokratie? Volksbefragung oder Gängelung?                        

 

Frederick Forsyth ist britischer Bestseller-Autor und prominenter Unterstützer der konservativ-euroskeptischen Bewegung.

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