© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Der bayerische Löwe ist müde
Parteien: Die CSU hat unter ihrer neuen Führung die Rolle als rechtes Korrektiv der CDU aufgegeben und muß um die Macht fürchten
Paul Rosen

In Schicksalsfragen des Landes stand die CSU immer für konservative und nationale Positionen. Franz Josef Strauß erzwang das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Deutschland- und Ostpolitik der Regierung Brandt. Damit blieb die deutsche Frage offen und die Herstellung der Einheit, von der auch viele in der CDU nichts mehr wissen wollten, Staatsauftrag. Als das Ende der Deutschen Mark nahte, zwang der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber den Kanzler Helmut Kohl und seinen ihm treu ergebenen Finanzminister Theo Waigel wenigstens zu scharfen Stabilitätskriterien (auch wenn deren Wirkung von Anfang an zweifelhaft war). Stets war die CSU das rechte Korrektiv der nördlichen großen Schwester. Davon ist nichts mehr geblieben. Somit hat die Linksdrift der Bundesrepublik auch bayerische Ursachen.

Wenn CDU und CSU heute streiten, dann nicht mehr um Grundsätzliches wie zuletzt bei Stoiber und CDU-Chefin Angela Merkel, als es um die Frage ging, ob ein zentral verwalteter Gesundheitsfonds eingeführt werden soll (eine Anleihe von der einstigen DDR-Krankenversicherung) oder ob es beim subsidiären westdeutschen Kassensystem mit begrenztem Finanzausgleich bleiben solle. Heute streiten sich Bayern und "Nordlichter" nur noch um "Kaisers Bart" - also für Grundsatzfragen weniger wichtige Belange wie die Pendlerpauschale bei der Steuer. Zwar ist die Besteuerung von Pendlern eine wichtige Frage zum Beispiel für die Zukunft des ländlichen Raums, aber sie ist nicht von so grundsätzlicher Natur wie etwa ein neuer Einkommensteuertarif oder die Frage, ob Erben von Häuslebauern durch die Erbschaftsteuer enteignet werden dürfen oder nicht.

Konservativ oder national ist die CSU auch nicht mehr - beziehungsweise nicht mehr richtig. Stoiber-Nachfolger Erwin Huber markiert die Unterschiede zur CDU: "Wir sind wertkonservativer, wir sind grundsatztreuer und kompakter." Statt "konservativ" wird der aus dem Linksjargon stammende Begriff "wertkonservativ" verwendet, der den wirklich Konservativen außerhalb des Verfassungsbogens stellt. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis die CSU nicht mehr nur den Kampf gegen den Rechtsextremismus, sondern allgemein den Kampf "gegen Rechts" unterstützt, wie es in einem Einzelfall schon passiert ist. Damit werden demokratische Rechte auch außerhalb des Verfassungsbogens gestellt. Die CSU hat den wichtigen Kampf um die Begriffe offenbar schon aufgegeben und beschränkt sich darauf, in Berlin für ihre Wähler ein höheres Kilometergeld bei der Steuer herauszuholen. Zwar ist es richtig, daß Wahlen auch über die Geldbörsen gewonnen werden, aber der Wähler will auch Orientierung. Die bekommt er zur Zeit von der CSU nicht mehr.

Das rächte sich natürlich schneller, als man in der Parteizentrale in der Nymphenburger Straße in München wahrhaben wollte. Seit zwei Monaten ist die CSU in Umfragen nicht mehr über 50 Prozent gekommen. Von Stoibers vor fünf Jahren erzielter Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze im Landtag sind die Epigonen Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein Lichtjahre entfernt. Selbst an die gut 60 Prozent der Stimmen, die seinerzeit für zwei Drittel der Landtagssitze reichten, ist bei der Landtagswahl im Herbst nicht mehr zu denken. Die seit Strauß und Stoiber gültige Devise "50 Prozent plus x" bezeichnet Beckstein jetzt als "enorme Meßlatte".

Es sind nicht die selber erschöpften Sozialdemokraten, die den Christsozialen gefährlich werden könnten, sondern ein Konglomerat kleiner Parteien. Die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Franz Maget wird von den Demoskopen mit bayerntypischen 20 Prozent notiert. Aber FDP, Linkspartei und vor allem die Freien Wähler machen sich Hoffnungen, in den Landtag einzuziehen. Alle drei Parteien liegen zur Zeit bei jeweils fünf Prozent. Besonders die Freien Wähler könnten sich in der heißen Phase des Wahlkampfs als bürgerliche Alternative zur CSU gerade jenen Wählern empfehlen, die der CSU eine Regierungspause oder wenigstens einen Koalitionspartner gönnen, bis die Stoiber-Erbschaft geordnet ist. Zwar ist die CSU mit 49 Prozent nur knapp von den 50 Prozent entfernt, aber die Stimmungen in der Wählerschaft sind wechselhafter geworden. Zusammen mit den Grünen könnte sich eine Minderheitensituation für die CSU ergeben, auch wenn bisher alle Umfragen der CSU eine klare absolute Mehrheit der Mandate im Maximilianeum voraussagen.

Die mögliche Zwang, sich einen Regierungspartner suchen zu müssen, ließ Beckstein toben: "Wir glauben nicht, daß wir von Merkels Gnaden einen Wahlsieg haben", sagte er. Und schimpfte weiter: "Rückenwind will ich vom Wähler und nicht von der CDU." Von der Großen Koalition in Berlin bekomme die CSU keinen uneingeschränkten Rückenwind. Huber, der in Berlin immer noch seine Ausgangsposition für das großkoalitionäre Stellungsspiel sucht, meinte nur, es sei nicht besonders glücklich, Merkel anzugreifen. Im Pendlerpauschalen-Streit hat Huber es immerhin geschafft, etliche Fraktionsvorsitzende der CDU aus anderen Ländern auf seine Seite zu ziehen. Nur Merkel bleibt trotzig.

Unter den Bundestagsabgeordneten der CSU herrscht blankes Entsetzen über die Partei- und Regierungsführung in München, aber auch über Merkel, die das einzige Kleinod, was die CSU den Wählern noch hinwerfen könnte, nicht hergeben will. Der junge Abgeordnete Stephan Mayer soll Merkel in einer Sitzung sogar eine Art "Basta-Politik" vorgeworfen haben, wie sie Gerhard Schröder (SPD) betrieben habe.

Doch die großen Fragen stellen auch die CSU-Bundestagsabgeordneten nicht. Die ohnehin nur auf kleiner Flamme geführte Debatte über den neuen EU-Vertrag fand praktisch ohne die CSU statt. Niemand in Bayern griff mehr die Argumente auf, die Stoiber bei der gescheiterten Europäischen Verfassung, die mit dem Vertrag fast identisch ist, angebracht hatte. Zwar hätte auch Stoiber den EU-Vertrag nicht verhindert, aber er stellte wenigstens die richtigen Fragen nach der Allmacht der EU-Kommission und der schleichenden Entdemokratisierung Europas. Wie Strauß pflegte auch Stoiber eine Neben-Außenpolitik am Auswärtigen Amt in Bonn beziehungsweise Berlin vorbei. Das Auswärtige Amt, in dem schon seit Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kein CDU- oder CSU-Politiker mehr regierte, neigt dazu, Unionspositionen zu ignorieren und CSU-Positionen erst recht. Da lag es für Strauß beziehungsweise Stoiber nahe, durch eigene Kontakte Korrekturen anzubringen. Aber Huber kennt nur noch eine Flugstrecke: München-Berlin und zurück. Und Beckstein bleibt lieber ganz in weiß-blauen Gefilden.

So zeigt sich die CSU eigenartig erschöpft und seltsam unentschlossen. Der bayerische Löwe ist alt geworden.

Foto: Beckstein (l.) und Huber im April in Wildbad Kreuth: Das Erbe Edmund Stoibers ist nicht geordnet

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