© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Lieber Hungerlohn als arbeitslos
Sozialpolitik: Staatlich verhängte Mindestlöhne sind die falsche Lösung für Niedrigverdiener
Klaus Peter Krause

Welches ist Ihr persönlicher Mindestlohn (in Euro pro Stunde)?" fragte kürzlich das Magazin Cicero den Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin. "Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag", antwortete der wegen seiner Sparpolitik umstrittene SPD-Politiker (JF 22/08) und provozierte damit die Genossen des rot-roten Berliner Senats. Denn seine Partei fordert in ihrem Wahlprogramm einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn von 7,50 Euro, die Linke sogar 8,44 Euro bei einer Vollzeitarbeit von 38,5 Stunden pro Woche.

Da dies in der derzeitigen Großen Koalition auf Bundesebene aber nicht durchsetzbar ist, hat Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) in Absprache mit der Union vorerst den indirekten (und verwaltungsaufwendigen) Weg über Neuregelungen des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mia) und des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) gewählt. Wie immer das Vorhaben - das im Herbst vom Bundestag verabschiedet werden soll - ausgeht: Es sollte jedermann klar sein, was flächendeckende Mindestlöhne für die Beschäftigungslage bedeuten und was damit auf dem Spiel steht, wenn das Vorhaben gelänge.

"Wer arbeitet, muß auch von seiner Arbeit leben können." Das klingt gut, denn niemand möchte, daß Menschen nur einen Hungerlohn bekommen, sondern mindestens soviel, daß es für sie zum Überleben reicht: Wer jemanden beschäftigt, ihm einen Arbeitsplatz bietet, soll diesem Beschäftigten allerwenigstens das Existenzminimum zahlen. Doch das geht nicht immer und nicht überall.

Unternehmen, die mit ihren Waren und Dienstleistungen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen stehen, können sich in diesem Wettbewerb nicht behaupten, wenn ihre Kosten auf die Dauer höher sind als die ihrer Konkurrenten. Denn diese Kosten gehen in die Preise ein. Dazu gehören auch die Arbeitskosten, also die Löhne und Gehälter. Sind die Kosten und damit die Preise gegenüber den Konkurrenten zu hoch, muß das Unternehmen seine Kosten und Preise senken, oder es scheidet auf diesem Markt aus.

Wirtschaftlicher Maßstab für die Entlohnung ist die Arbeitsproduktivität. Sie bezeichnet, was eine Arbeitsleistung wert ist. In der ökonomischen Fachsprache heißt es, der Lohn muß mindestens dem "Grenzertrag" der Arbeit entsprechen. Das bedeutet, daß ein Arbeitssuchender nur dann eingestellt wird, wenn sein geforderter Lohn den zusätzlichen Ertrag, den das Unternehmen mit diesem Lohn erwirtschaften kann, nicht überschreitet.

Maßgeblich für den Wert der Arbeitsleistung ist der Preis, der für das mit ihr hergestellte Produkt am Markt zu erzielen ist. Bieten die Konkurrenten preisgünstiger an, muß das Unternehmen seine Arbeitsproduktivität ebenfalls steigern. Dafür gibt es nur zwei Wege: entweder die Entlohnung und/oder die Zahl der Beschäftigten verringern. Das Unternehmen kann auch seinen Betrieb in ein Land mit vielen Arbeitslosen und geringen Löhnen auslagern. Möglich geworden ist das durch die Globalisierung.

Werden nun alle Unternehmen gesetzlich gezwungen, einen brancheneinheitlichen oder gar flächendeckenden Mindestlohn zu zahlen, entspricht dieser mit Sicherheit nicht der Arbeitsproduktivität, sondern wird sie überschreiten. Denn überschritte er sie nicht, wäre er überflüssig und seine Einführung sinnlos. Folglich werden die Mindestlohn-Beschäftigten für die Unternehmen zu teuer, um sie weiterhin zu beschäftigen, und es kommt zu Entlassungen.

Wohl haben dann die konkurrierenden Unternehmen mit Standort Deutschland für die Mindestlohn-Beschäftigen je Arbeitsstunde die gleichen Arbeitskosten, aber deutsche Unternehmen sind nicht allein auf dem Markt. Sie stehen im Wettbewerb mit Unternehmen, die ihren Sitz im Ausland haben und frei vom deutschen Mindestlohn sind. Folglich müssen sie ihre geringere Arbeitsproduktivität der höheren im Ausland anpassen. Entlassungen sind früher oder später die unausweichliche Folge. Dann aber bezichtigen sich jene Politiker, die den Mindestlohn durchgesetzt haben, nicht sich selbst der Verantwortungslosigkeit, sondern die "geldgierigen" Unternehmen.

Geringe Arbeitsproduktivität und dadurch entsprechend geringe Entlohnung finden sich in der Regel bei vergleichsweise einfachen Tätigkeiten. Herrscht auf dem Markt für diese Tätigkeiten hohe Arbeitslosigkeit, ist also das Angebot an Arbeit größer als die Nachfrage nach ihr, dann ist es möglich, daß ein Unternehmen Beschäftigten auch weniger zahlt, als es deren Arbeitsproduktivität entspricht.

Nennen wir solche Entlohnung im Boulevardstiel kurz Hungerlöhne. Reichen letztere für das Existenzminimum nicht aus, ist es (für diese Menschen wie für Staat und Gesellschaft) das kleinere Übel, wenn die Lücke mit einer Zuzahlung aus der Sozialversicherung oder aus dem staatlichen Steuertopf gefüllt wird. Aber die Empfänger dieses Geldes haben wenigstens einen Arbeitsplatz, sowenig er für das Auskommen auch reicht.

Doch bietet er die Chance, eine besser bezahlte Beschäftigung eher zu bekommen, als wenn man nur Arbeitsloser ist. Mit den Zuzahlungen nach den Hartz-IV-Bestimmungen geschieht das schon. Eine Art Mindestlohn gibt es damit bereits. Genau bezeichnet ist es allerdings ein Mindesteinkommen. Insofern ist dem sozial Notwendigen Genüge getan und ein Mindestlohn aus sozialen Gründen nicht nötig.

Zuzahlungen in Form der steuerfinanzierten Sozialhilfe nach Hartz IV, zu der das sogenannte Arbeitslosengeld II gehört, erhalten in Deutschland derzeit rund 1,25 Millionen Menschen. Wer bemängelt, wieso solche Beschäftigungen mit Steuergeldern subventioniert werden (JF 24/08), verkennt zweierlei: Erstens speisen sich diese Zahlungen auch aus den Geldern der Arbeitslosenversicherung, auf die ein Teil der Arbeitslosen zuvor einen Anspruch begründet hat.

Und zweitens erleichtern staatliche Zuzahlungen an Menschen, die wenigstens einer kleinen bezahlten Arbeit nachgehen, deren Aufstieg in höher entlohnte Arbeit. Davon profitieren dann durch höhere Einnahmen auch Fiskus, Sozialkassen und damit die Gesellschaft insgesamt.

Kurz gefaßt gilt es also abzuwägen, entweder auf staatlich verordnete Mindestlöhne zu verzichten und teilweise "Hungerlöhne" vorerst in Kauf zu nehmen oder aber Mindestlöhne durchzusetzen und Arbeitsplätze zu verlieren. Je höher der Mindestlohn, um so größer und schneller der Arbeitsplatzverlust und um so höher die Barriere gegen die Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen. Die vernünftigere Wahl ist also "Zwar Hungerlohn, aber immerhin Arbeit". Oder: Besser dürftigst bezahlt sein als gar keine Arbeit haben. Leider ist dies einer politisch emotionalisierter Öffentlichkeit nur sehr schwer zu vermitteln.

Foto: Werbung für Mindestlohn: Trügerische Hoffnung

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