© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Lang lebe die Seele
Existentielles Wagnis: Mathias Schreiber entdeckt die Rationalität der Unsterblichkeit
Harald Harzheim

Es gibt Fragen, die läßt der Mensch sich nicht austreiben:  weder durch materialistische Wissenschaften, noch durch den schwachen Trost vom "guten" Diesseits. Kein politisch motiviertes Verbot, auch nicht der allgegenwärtige Konsumterror schützen vor dem Drängen metaphysischer Urfragen, zu denen auch die Frage nach individueller Unsterblichkeit gehört. Denn nur aus deren Beantwortung schöpft der Mensch ausreichend Kraft, den allzeit drohenden Nihilismus in Schach zu halten und die zahlreichen Widrigkeiten des täglichen Lebens zu ertragen, ohne in Verdrängung oder im Zerstreuungssumpf der "Event"-Kultur zu versinken. So erklärt sich auch die unerwartete Wiederkehr der Religion, die  - nach ihrer Entthronung im 19. und 20. Jahrhundert - nun zum "Überraschungsgast des 21. Jahrhunderts" (Mathias Schreiber) geworden ist.

Mehr noch, in jüngster Zeit versuchen zahlreiche Wissenschaftler da mitzuziehen: Das begann mit den Spekulationen des Physikers Frank Tipler über eine "Physik der Auferstehung" (1994) und findet in der quantenphysikalischen Interpretation der unsterblichen Seele durch Hans-Peter Duerr oder Markhoff Niemz ("Lucy im Licht", 2007) seine Fortführung.

Der Journalist Mathias Schreiber publizierte dazu nun eine überblickende Studie, eine Erweiterung seines Spiegel-Artikels aus dem letzten Jahr.

Seit mindestens sechstausend Jahren gehört der Glaube an die Unsterblichkeit zum Menschsein. Er artikuliert sich im Ahnenkult, im Glauben an eine Seelenwanderung, an eine Wiederauferstehung oder an ein Fortleben im Jenseits. Derzeit ist der Unsterblichkeitsglaube sogar ein Politikum. Schließlich ist es die Hoffnung auf eine bessere, postmortale Existenz, die den modernen Selbstmord­attentäter zur verbrecherischen Aktion motiviert. Trotz solcher Beispiele ideologischen Mißbrauchs menschlicher Sehnsüchte findet die Idee der Menschenwürde in der Idee der Unsterblichkeit ihren Höhepunkt. Lindert sie doch die lähmende Todeangst, die der Mensch - als vermutlich einziges Lebewesen - sein Leben lang tragen muß. Sie stellt der drohenden Vergeblichkeit menschlicher Existenz trotzig ein Happy End entgegen.

Schreiber beginnt mit einer Chronologie des Unsterblichkeitsglaubens. Prähistorische Grabbeigaben, die antiken Nekropolen oder die bombastischen Pharaonengräber belegen ein frühzeitiges Verständnis des Todes als Beginn einer Reise in dunkle oder lichterfüllte Jenseitswelten. Im alten Griechenland begriff man das Irdische als Kreislauf, in dem Tod und Leben einander voraussetzen: "Hades und Dionysos sind ein und dasselbe", erklärte der Philosoph Heraklit.

Aber die dem Menschen immanente "Psyche" entzieht sich diesem schrecklichen Zirkel, geht nach dem Tod entweder hinab in den finsteren Hades oder hinauf zu den Sternen, je nach Lebenswandel. Aristoteles hielt die Seele als Gestalter des Körpers für untrennbar mit ihm verhaftet. Nur der "Nous" (Geist)  als unbewegter Beweger könne vielleicht unsterblich sein. Im Mittelalter griff  Thomas von Aquin diesen Gedanken auf und verband ihn mit christlichem Glaubensinhalt, während zeitgenössische Mystiker die Seele eher als "göttlichen  Funken" verstanden, der sich zuletzt wieder in Gott auflöst.

Als später Gottfried W. Leibniz oder Bernard Bolzano die Seele als unteilbare, unsterbliche Entität definierten, gesteht Schreiber ihnen zwar die besseren Argumente gegenüber atheistischen Kollegen zu, meint aber das Überleben der Seele an die Existenz eines Gottes binden zu müssen: an ein Wesen, das den Übergang der Seele ins Jenseits garantiert. Diese keineswegs notwendige Schlußfolgerung bewegt den Autor, zusätzlich sämtliche Gottesbeweise der westlichen Geistesgeschichte durchzuhecheln. Um die steht es aber genau wie um die Beweise der Unsterblichkeit: Sie sind nicht zwingend, sondern können lediglich ein Postulat Gottes oder des ewigen Lebens als möglich bzw. rational ausweisen.

In jüngster Zeit aber findet der Glaube an die unsterbliche Ich-Essenz auch religiösen Widerspruch. So erfaßt der - im Westen immer populärer werdende - Buddhismus die Seelensubstanz nur als "Selbstorganisation von energetischen Prozessen". Und selbst christliche Theologen der Gegenwart wie Karl Rahner oder Joseph Ratzinger haben sich vom griechischen Leib/Seele-Dualismus verabschiedet und lassen die Seele nur mit begleitender Transformation der Materie auferstehen.

Andererseits geben die zahlreiche Neurobiologen oder Hirnforscher die Vorstellung von der Unsterblichkeit komplett auf. Dabei übersehen sie, daß eine Beschreibung des Bewußtseins mit ihren Mitteln (bislang) nicht möglich ist. Genauer: Die Neurobiologie verifiziert nur die Spielstätte und Spielmittel, nicht aber den Inhalt. Man könnte noch weitergehen: Wenn die Seele sich ausschließlich aus biochemischen Prozessen zusammensetzt und alle ihre Funktionen theoretisch reproduzierbar sind, müßte dies auch mit dem Bewußtsein möglich sein. Aber ein auf zwei Körper verteiltes, gedoppeltes Ich-Gefühl läßt sich überhaupt nicht denken. Abgesehen davon sind (bewiesene) parapsychologische Phänomene wie Telepathie, Psychokinese und ähnliches auf biochemischer Basis keineswegs erklärbar. Außerdem: Wenn der Unsterblichkeitsglaube eine anthropologische Konstante darstellt, warum sollte man ihn dann als pure Illusion und nicht als intuitive Erkenntnis deuten?

Kurzum, die Unsterblichkeit der Seele ist nicht beweisbar. Aber ein dogmatischer Materialismus ist im gegenwärtigen, immer komplexeren Realitätsverständnis ebensowenig haltbar. Daher ist das existentielle Wagnis, an ein Fortleben zu glauben, keineswegs irrationale Realitätsverweigerung, sondern immer noch oder wieder möglich. Darauf erneut hingewiesen zu haben, ist das Verdienst dieses Buches.

Mathias Schreiber: Was von uns bleibt. Über die Unsterblichkeit der Seele, DVA 2008, gebunden, 155 Seiten, 14,95 Euro

Foto: Sonnenstrahlen auf einer Waldlichtung: "Und im Morgenglanz des Schönen/ Fliegt die Seele himmelwärts" (Theodor Körner)

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