© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/08 27. Juni 2008

Moralist in Fliegeruniform
Dem Menschen einen Sinn geben: Die Botschaft des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry
Klaus Hornung

Lange liegt die Zeit zurück, als Saint-Exupérys Werke die Schaufenster der Buchhandlungen füllten und ihre Auflagen nach Hunderttausenden zählten, zumal die Trilogie der Fliegerromane, die zugleich Meditationen waren: "Südkurier", "Wind, Sand und Sterne", "Flug nach Arras". "Der kleine Prinz" (französische Erstausgabe 1946, deutsch zuerst 1952) mit seiner Gesamtauflage von über vier Millionen findet auch heute noch seine Leser, vor allem in "bildungsbürgerlichen" Häusern und bei Heranwachsenden. "Die Stadt in der Wüste" (französisch "La Citadelle" 1948, deutsch 1951) ist Lektüre vor allem der Nachdenklichen und Konservativen unter den Zeitgenossen geblieben, ihre zentrale Gestalt, den großen Kaid, den Wüstenfürsten, hat man auch den "Zarathustra der Wüste" genannt.

Saint Exi, wie ihn die Freunde nannten, gehörte zur Generation jenes geistigen Aufbruchs nach dem Krieg bei dem französischen Nachbarn, der auch Jacques Maritain, Georges Bernanos, François Mauriac, Gabriel Marcel, André Malraux oder Emmanuel Mounier erfaßte, jenes fruchtbaren Geistesstromes, der dann von dem leichtfüßigen Nihilismus der 68er-Bewegung weithin abgebrochen wurde. Heute, zwei Generationen nach Saint-Exupéry (geboren am 29. Juni 1900), zeigt sich jedoch erneut die Aktualität seiner Gedanken und Denkanstöße.

Von den Umbrüchen seiner Epoche geprägt, gehört er doch zur großen Tradition des abendländischen Humanismus in der Kette von Platon über Augustinus und Pascal bis Kierkegaard, einer der großen abendländischen Gottsucher, auch wenn sein Denken nicht in die Sicherheit traditioneller Kirchlichkeit einmündete. In diesem Leben lag die Extrovertiertheit des Fliegers und Reporters, der über seine Eindrücke im Moskau Stalins und im Spanischen Bürgerkrieg in den dreißiger Jahren berichtete, nahe bei einer melancholischen Introvertiertheit, aus der er Meditationen und Maximen in der Weise der großen Moralisten seiner Nation formte.

Bei Kriegsausbruch im September 1939 wird der schon weltbekannte Postflieger nach Westafrika und Südamerika zur französischen Luftwaffe eingezogen. Seine Einheit wird nach dem Waffenstillstand nach Algier verlegt, von wo er im zweiten Halbjahr 1940 noch einmal ins Mutterland zurückkehrt und in Begleitung Drieu de la Rochelles auch ins besetzte Paris fährt, um sich ein Bild von den neuen Verhältnissen zu machen.

Im Dezember 1940 geht er dann per Schiff nach New York, wo er den "Flug nach Arras" schreibt, der bald in den USA wie in Frankreich zum Bestseller wird, bis er hier von der deutschen Besatzungsmacht verboten wird. Der Weg in die USA war sicherlich eine patriotische Entscheidung gegen die deutsche Besetzung und noch mehr gegen den nationalsozialistischen Totalitarismus.

Seit dem Mai 1943 fliegt Saint-Exupéry wieder, zunächst in einer amerikanischen Lightning-Staffel in Nordafrika, dann in einer auf Sardinien und Korsika stationierten Staffel der "France Libre". Von seinem letzten Aufklärungsflug am 31. Juli 1944 kehrt der gerade Vierundvierzigjährige nicht mehr zurück.

In Algier schreibt er Ende 1942 seinen "Brief an die Franzosen", der zeigt, daß er  sich nicht einfach als "gaullistischer" Parteimann sah. Jetzt, da Vichy bereits politisch tot war, ging es um die Versöhnung der beiden Frankreich, das des Generals de Gaulle und das Marschall Pétains. Jetzt gehe es nicht um die Wahrnehmung eines Richteramts, schrieb er hier, sondern um die Überwindung der geistigen und politischen Spaltungen der Nation, von den Royalisten und Konservativen bis zu den Sozialisten und Kommunisten, all der Parteien und Klüngel mit ihren Ansprüchen auf politische Posten, nach dem Krieg. Der gemeinsame Feind, das waren für Saint-Exupéry die beiden totalitären Systeme, der Marxismus, der die Menschen zu Produzenten und Konsumenten herabwürdigt und in der Verteilung des Sozialprodukts das zentrale politische Problem erblickt, wie der Nazismus, der die Nonkonformisten "hermetisch in einem Konzentrationslager einsperrt" und die Massen als "gefügiges Herdenvieh" mit "Farbdrucken" der großen Kunst abspeist und die humane Kultur ruiniert.

In seinem "Brief an einen General" (Juli 1943 in Tunis) zeigt Saint-Exupéry aber auch seine geistige Unabhängigkeit, wenn er hier "das Totalitäre" auch im eigenen Lager der Anti-Hitler-Koalition entdeckt und offen anspricht: Auch in der "westlichen" Industriewelt breite sich ein ",Roboter- und Termitenmenschentum" aus, das zwischen Fließband und dem Skatspiel in der Freizeit hin-  und herpendelt.

Saint-Exupéry graute vor der Neigung der Menschen zum "Herdenleben", einer Eintagsfliegen-Existenz, die sich auf "Eisschränke, Bilanzen und Kreuzworträtsel" reduziert, "ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe und Glauben", eine Welt der Dekadenz, die sich den modernen Propagandarobotern im Rundfunk unterwirft. Mit sehr grundsätzlichen Bemerkungen kritisiert er das kapitalistische Wirtschaftssystem, wie es sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelte mit seinen offenbaren Folgen "geistiger Verzweiflung". Diese Kritik richtet sich auch gegen das System der "cartesianischen Werte" samt ihrer einseitig rationalistischen Vernunft, die auf Kosten des wahrhaften geistigen Lebens gehe, das dort beginnt, "wo man ein 'einziges' Wesen oberhalb des Stoffes in Liebe erkennt und für dieses Verantwortung übernimmt".

Zwei Jahre vor Kriegsende macht sich der Denker und Moralist in Fliegeruniform Gedanken darüber, wofür man eigentlich kämpfe und wie die Zukunft aussehen sollte. Saint-Exupéry fragte sich, ob sich nach Kriegsende abermals alles um die "Magenfrage" drehen sollte, um die amerikanischen Nahrungsmittelhilfe wie 1918/19? Wird im alten Kontinent unter dem Eindruck des nach Mitteleuropa vorrückenden Sowjetkommunismus vielleicht eine hundertjährige Krise" im Zeichen einer "revolutionären Epilepsie" folgen oder eine Vielzahl einander bekämpfender Neo-Marxismen, wie er sie in Spanien erlebt hatte? Würde dieses Europa zu einer "starken Strömung" geistiger Erneuerung finden oder würden "sechsunddreißig Sekten wie Pilze emporschießen und sich untereinander entzweien", jene orientierungslose Welt, für die in unseren Tagen Papst Benedikt XVI. das Wort von der "Diktatur des Relativismus" gefunden hat?

Die Summe seines Denkens hat Saint-Exupéry in seinem nachgelassenen Werk "Die Stadt in der Wüste" zusammengefaßt. Die Wüste hatte er bei seinen großen Flügen und zahlreichen Abstürzen sehr konkret als Raum unabsehbarer Gefahren wie als Ort der Rettung erlebt, ihre Bedrohlichkeit ebenso wie die Fixpunkte ihrer Oasen und ihrer humanen Kultur. So wird sie in diesem literarisch-philosophischen Werk zum großen Gleichnis für das Leben des einzelnen und der Menschengemeinschaft, für die Herausforderungen des Menschen durch eine lebensfeindliche Welt, in der er mit den Tugenden der Tapferkeit und der Verantwortung bestehen muß wie der Soldat im Wüstenfort, in der es letztlich aber um den Aufbau lebensfähiger Städte und Gemeinschaften in den Oasen und an den Brunnen geht.

 "La Citadelle" wird zum meditativen Gleichnis der Existenz des Menschen in Gemeinschaft und Staat. An ihrer Spitze steht der Kaid, Platons Philosophenkönig, der den ewigen Kampf gegen Erschlaffung und Niedergang anführt, zu ihm aufruft, ihn organisiert. Er bedarf der Gemeinschaft vieler, und er wird vom Autor nicht als Diktator, sondern als weiser Fürst und strenger Vater gezeichnet, weniger als Cäsar denn als Octavian-Augustus. Freilich, Saint-Exupéry ist die konservative Skepsis gegen die moderne Massenwelt und ihre demokratischen Entartungsformen nicht fremd. Allzu leicht führt sie zur Gefahr der Entropie und Anarchie, die dann wieder im nächsten Diktator den Retter sieht, wie Platon schon den historisch-politischen Kreislauf durchschaut hatte; die vermeintliche Befreiung des Individuums endet allzu leicht im Zerfall der Kultur und des Menschen. Politische Führung darf sich daher nicht auf materielle Ziele und stoffliche Prozesse beschränken, sie soll vor allem auf den Aufbau von Kultur und Religion gerichtet  sein.

Saint-Exupérys Memento in seinen Meditationen, Reflexionen und Maximen ist daher immer wieder die Forderung, "dem Menschen einen Sinn zu geben", ein Ziel, das über sein Ich hinausreicht, um den stets lauernden Gefahren der inneren Verarmung, der Erschlaffung und des "Abschnallens" (Arnold Gehlen) des Einzelnen wie der Gemeinschaft zu widerstehen.

Foto: Antoine de Saint-Exupéry vor seinem Flugzeug (undatiert): Die Wüste barg Gefahren und Rettung

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