© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Kopflos in Berlin
Parteien: Der deutschen Politik fehlt es an Überzeugungskraft, Glaubwürdigkeit und Autorität
Karl Feldmeyer

Von der Bundestagswahl im September 2009 trennen uns noch 15 Monate. Ernst zu nehmende Prognosen über ihren Ausgang sind über diese Distanz nicht möglich. Für Betrachtungen über längerfristige Entwicklungen gilt das dagegen nicht. Sie können Faktoren sichtbar machen, die für die politische Gestaltung Deutschlands über die nächste Legislaturperiode hinaus entscheidend werden können.

Maßgebend für die Entwicklung der Bundesrepublik waren seit ihrer  Gründung vor allem die Volksparteien CDU/CSU und SPD und die von ihnen geführten Regierungen. Sie trafen die Entscheidungen, die die Republik prägen; von der Einführung der Marktwirtschaft bis zur Wiedervereinigung.

Seit drei Jahren bilden beide Parteien notgedrungen eine Regierung. Sie ist bisher weit hinter ihren selbstgesteckten Zielen zurückgeblieben. Die Bevölkerung ist von ihrer Politik enttäuscht, in Umfragen schwankt die Union derzeit zwischen 30 und 35, die SPD zwischen 20 und 25 Prozent. Damit haben beide die Fähigkeit verloren, mit einem Partner ihrer Wahl eine Regierung zu bilden. Das erzwingt entweder Dreierkoalitionen oder eine Große Koalition. Dieser folgenschwere Strukturwandel ergibt sich aus dem Hinzukommen einer fünften Partei im Bundestag, den Linken.

Das öffentliche Interesse an dieser Veränderung  wird allerdings seit Monaten durch die Probleme der SPD mit ihrem Vorsitzenden Kurt Beck überlagert. Die Krise, die Beck mit seinem schwankenden Kurs gegenüber den Linken selbst ausgelöst hat, schwächte seine Glaubwürdigkeit auch in seiner eigenen Partei. Seine Versicherung, er klebe nicht an seinen Sesseln, wenn er selbst "Teil des Problems" sei, hat die Spekulationen um seinen Rückzug verstärkt. Dabei wäre Becks Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur für die SPD ein Gewinn; sein Verzicht auf den Parteivorsitz schüfe dagegen ein Problem, für das die SPD keine überzeugende Lösung besitzt, wie unzulänglich man Becks Führung auch beurteilen mag. Die SPD hat offenkundig niemanden, der die Kluft zwischen gemäßigtem und linkem Parteiflügel besser als er überbrücken könnte. Dieser Konflikt rührt an das Grundverständnis sozialdemokratischer Politik. Bundeskanzler Schmidt fiel ihm ebenso zum Opfer wie Gerhard Schröder.

Verschärft werden die Probleme dadurch, daß sie tief in die Stammwählerschaft der SPD hineinwirken, wo man den Gesetzen des Marktes und der Notwendigkeit des Sparens im Zweifelsfall eher ablehnend gegenübersteht und unter sozialer Gerechtigkeit vor allem Umverteilung und Staatsintervention zugunsten der sozial Schwachen versteht. Das macht die SPD anfällig für das Werben der einstigen PDS.

Daß der linke SPD-Flügel ihr programmatisch nähersteht als die übrige SPD und für ein Zusammengehen auf Bundesebene offener wäre, verstärkt zwar interne Spannungen, macht den linken Flügel aber zugleich attraktiver, weil er eine Perspektive des Machtgewinns anzubieten hat, die der SPD insgesamt fehlt.

Unterteilt man die Parteienlandschaft in ein bürgerliches und ein linkes Lager, so zeigt sich, daß die bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP seit 1998 ebensowenig eine Mehrheit haben wie SPD und Linke. Sollten die derzeitigen Kräfteverhältnisse zwischen den Bundestagsparteien andauern, könnte die Entscheidung darüber, ob das bürgerliche oder das linke Lager regiert, künftig bei den Grünen liegen.

Ob die Grünen diese Rolle annehmen und sich zugunsten der CDU entscheiden, wie es Angela Merkel erhofft, ist ungewiß. Sollten sie es ablehnen, so wäre eine linke Mehrheit gegeben, sobald SPD und Grüne zur Kooperation mit den Linken bereit sind. Daß über eine künftige Zusammenarbeit der Grünen mit der CDU auf Bundesebene spekuliert wird, beruht auf machttaktischen Überlegungen. Sie werden durch eine Annäherung der Grünen an die CDU im Bereich der Finanz,- Steuer- und Wirtschaftspolitik sowie der CDU an die Grünen dort erleichtert, wo es um wertbezogene Fragen und um das politisch-moralische Koordinatensystem geht.

Das Abrücken der Union von jahrzehntelang vertretenen Positionen wie "Deutschland ist kein Einwanderungsland" oder ihr Seitenwechsel in der Familienpolitik sind Beispiele dafür. Vom Anspruch, sowohl christlichen als auch national und liberal gesinnten Demokraten eine politische Heimat sein zu wollen, ist ebensowenig geblieben wie vom Anspruch auf die "Lufthoheit über den Stammtischen", also auf die Fähigkeit, die eigenen Wertmaßstäbe gegen die der 68er-Generation durchzusetzen. Seit Merkel den Vorsitz innehat, ist dies vielfach deutlich geworden. Den Ausgangspunkt dieses Verlustes an Kompetenz aber setzte Helmut Kohl mit dem Bruch seines Versprechens einer "geistig moralischen Wende" nach der gewonnenen Wahl von 1983. Die CDU-Wähler verziehen es ihm nie. Nach 1983 hat Kohl noch vier Bundestagswahlen bestritten und viermal weniger Stimmen erhalten als zuvor - trotz der Wiedervereinigung. 1998 blieben ihm nur noch 35,1 Prozentpunkte; zu wenig, um weiter regieren zu können.

Das Ergebnis dieser Politik ist eine weitgehend inhaltsfrei gewordene Partei. Das hat für sie den Vorteil, nahezu mit jedermann koalieren zu können. Aber das hat seinen Preis: Die CDU hat im großen Umfang Stammwähler auf Dauer verloren und "links der Mitte" keinen Ersatz gefunden, wie die Wahlergebnisse zeigen.

Noch sind weder linke noch rechte Volksverführer eine Gefahr. Was dem Land und seiner demokratischen Ordnung gefährlich werden könnte, ist vielmehr das Verschwinden von Persönlichkeiten aus der Politik, die fähig und willens sind, Alternativen aufzuzeigen und für die Politik einzutreten, die ihnen notwendig erscheint. Überzeugungskraft, Glaubwürdigkeit und Autorität, all das, was das Charisma eines Staatsmannes ausmacht, gewinnt man nicht mit politischem Taktieren. Dazu bedarf es vielmehr all dessen, was der deutschen Politik heute fehlt.

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