© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Schwacher Regent eines morschen Reiches
SPD: Obwohl Parteichef Kurt Beck in der Öffentlichkeit immer mehr an Rückhalt verliert, hält er an dem Ziel einer Linksallianz im Bund fest
Paul Rosen

Selbst der Stern, für karitative Züge bisher nicht bekannt, bekam leichte Anflüge von Mitleid. "Es reicht. Es ist Zeit, innezuhalten", schrieb Hans-Ulrich Jörges zur jüngsten Kampagne gegen den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident hatte auf einer SPD-Fraktionssitzung den einen oder anderen mißverständlichen Satz gesagt. Sofort machten Rücktrittsgerüchte die Runde. Heerscharen von Journalisten, für die SPD-Politiker später den Begriff "Meute" fanden, machten sich auf, um Beck zu jagen. Wobei sich die Jagd recht angenehm gestalten ließ. Sie fand an einem schönen Sommerabend im Innenhof eines Bundestagsgebäudes bei Bier und Grillwürstchen statt. Auf dem "Hoffest" der SPD-Bundestagsfraktion hatten die Jäger, ein Bier in der linken, ein Würstchen in der rechten Hand, das Opfer stets gut im Blick. Beck dementierte alles: "Die Agenturen irren. In dem Fall bin ich einfach nicht richtig wiedergegeben worden."

Was hatte der SPD-Chef so Schlimmes gesagt? Es war vor allem ein Satz, der sofort die Runde gemacht hatte: "Wenn ich ein Teil des Problems sein sollte, klebe ich an keinem Stuhl." Solche Äußerungen gelten in der großen und kleinen Politik als indirektes Rücktrittsangebot und als das Ausüben von Druck gegenüber einer Basis, die ihren Chef nicht schätzt, aber auch keinen besseren hat. Beck hatte dies ganz anders gemeint. Er hatte eine Rede halten wollen, die Führungsstärke zeigt - so wie vor einem Jahr vor dem Parteirat. Doch seitdem hat sich Becks Situation - bis auf das Wetterleuchten auf dem Hamburger Parteitag Ende vergangenen Jahres - nicht verbessert.

Es sind nach dem Grundgesetz der Politik immer die eigenen Parteifreunde, die den Ärger machen. Becks Äußerungen fielen in einer nichtöffentlichen Fraktionssitzung und wurden nicht etwa vom politischen Gegner, sondern von Parteifreunden per SMS an die Agenturen und viele Journalisten transportiert. Die Sitzung war noch nicht zu Ende, da waren die ersten Berichte schon geschrieben. Auf dem Flur vor dem SPD-Fraktionssaal stritten Kameraleute und Fotografen um die guten Plätze. Jeder wollte die besten Bilder vom Opfer haben, um den Voyeurismus der Gesellschaft besonders gut bedienen zu können.

Abgesehen von diesen Jagdszenen mit zweifelhaftem Wert bleiben einige Erkenntnisse übrig. Die SPD befindet sich in einer äußerst unkomfortablen Lage. Ihre Position als Volkspartei ist Vergangenheit. Sie notiert wenige Punkte vor der Linkspartei, im Osten sogar etliche Prozentpunkte hinter Honeckers Erben.

Der Weg von der zweitgrößten zu einer mittleren Bundestagsfraktion und einer erheblich niedrigeren Wahlkampfkostenerstattung ist mühsam und mit Verzicht auf vielerlei Annehmlichkeiten verbunden. Das erklärt die gereizte Stimmung unter den von Abwahl bedrohten Volksvertretern. Sie suchen eine Führungsperson, die Wahlerfolge holt und Mandate sichert.

Damit ist die Frage nach dem Kanzlerkandidaten gestellt. "Zwischen Frank-Walter Steinmeier und mir wird es in freundschaftlicher und klarer Weise abgehen. Wir werden uns keinerlei Schwierigkeiten machen", hatte Beck dazu in der Fraktion gesagt. Dieser Satz ließ sich als Rückzug Becks von der Kanzlerkandidatur deuten, auf die er als Parteivorsitzender den Zugriff hat. Er sagt aber nur eines: Beck hält sich offen, ob er Kanzlerkandidat werden will. Bei 20 bis 25 Prozent Wahlchancen für die SPD ist dies natürlich nicht der Traumjob für einen Politiker.

Eines weiß die SPD natürlich: Wenn sie Steinmeier antreten läßt, ist die Wahl damit verlorengegeben. Der Außenminister, dessen öffentliche Wirkung an einen überfüllten Aktenordner erinnert, steht für Gerhard Schröders Agenda 2010. Schlimmer noch für eingefleischte Sozialdemokraten: Steinmeier hat die Agenda, die als Ursache allen sozialdemokratischen Übels gilt, als Kanzleramtschef miterfunden. Ihm fehlt, auch wenn seine Reden immer lauter werden, der sozialdemokratische Stallgeruch des Arbeiterführers, den Franz Müntefering noch hatte. In der sich nach links drehenden Bundesrepublik sind stärker denn je die Rezepte eines Oskar Lafontaine gefragt - und nicht mehr die seines in Brioni-Tuche gehüllten ehemaligen Gegenspielers aus dem Hannoverschen.

Beck ist, so merkwürdig es klingen mag, zur Zeit der Alleinherrscher der SPD - ein schwacher Regent eines schrumpfenden Reiches. Fraktionschef Peter Struck hört 2009 auf und ist damit praktisch jetzt schon Altenteiler. Das heißt, die Fraktion als Gegenpart zum Parteivorstand ist neutralisiert.

Wenn Beck Steinmeier in die Kanzlerkandidatur schickt, ist die Wahl verloren, aber Steinmeier und die Agenda-Reste in der SPD sind damit ebenfalls erledigt. Es bleibt also nur noch Beck. Wird die Lage vor 2009 besser, würde Beck antreten: "Ich habe mich von gar nichts verabschiedet", sagte er im Fernsehen. Beck hat ein großes Ziel, das er geduldig verfolgt: die Bürgerlichen mit einer Linksallianz von der Macht zu verdrängen. Vielleicht wären die Berliner Partygänger gut beraten, den "Provinzler" Beck nicht zu unterschätzen.

Foto: SPD-Vorsitzender Kurt Beck: Von der "Meute" gehetzt

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