© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Rettungsaktion fürs Gymnasium
Bildungspolitik I: In Hamburg formiert sich Widerstand gegen die schwarz-grüne Schulreform / Nachwuchs der CDU rebelliert
Torsten Uhrhammer

CDU-Nachwuchs fällt Beust in den Rücken", titelt die Hamburger Morgenpost, und die Welt sekundiert: " CDU-Jugend zwischen Rebellion und Entgleisung". Dabei sind die Hamburger Schüler Union, der RCDS und drei der sieben Kreisverbände der Jungen Union weder gegen Ole von Beust, noch wollen sie die schwarz-grüne Koalition in Gefahr bringen. Ihnen geht es um die Grundsätze christdemokratischer Bildungspolitik, ihr eigenes Wahlversprechen und die Angst um die Gymnasien.

Vor der Bürgerschaftswahl im Februar hatte die Union eine Enquête-Kommission zur Schulpolitik einsetzen lassen. Diese sprach sich gegen das dreigliedrige Schulsystem und für ein zweigliedrigen System aus Gymnasien und Stadtteilschulen aus. Die CDU präsentierte sich im Wahlkampf dann einerseits als Retter der Gymnasien und gerierte sich andererseits durch die Abschaffung der Hauptschule als moderne Großstadtpartei. Taktisch war sie damit durchaus erfolgreich, denn die SPD hatte diesem Konzept nichts Eigenständiges entgegenzusetzen und zerstritt sich innerparteilich über dieses Thema. Strategisch hingegen hatte die CDU die Rechnung ohne ihren neuen grünen Koalitionspartner gemacht. Der Grün-Alternativen Liste (GAL) reichte die vorauseilende Anbiederung keineswegs aus. Geschickt nutzte sie die Schwäche der CDU auf den Feldern der Gesellschaftspolitik und setzte im Koalitionsvertrag die sechsjährige Primarschule durch. CDU und GAL vereinbarten, daß die Klassen 5 und 6 der Gymnasien abgeschafft und künftig den Primarschulen, also Grundschulen nach Art der Gesamtschule zugeordnet werden sollen. Ein Konzept, das die grüne Schulsenatorin Christa Goetsch als Einstieg in die Einheitsschule versteht.

Doch dagegen regt sich nun Widerstand. Der Elternvertreter und Rechtsanwalt Walter Scheuerl gründete die Volksinitiative "Wir wollen lernen!" und begann nach Verbündeten und Unterstützern zu suchen. Die CDU - durch die Koalition gebunden - fiel als natürlicher Bündnispartner aus, aber weite Teile des Bürgertums, des CDU-Nachwuchses und auch der Lehrerverband unterstützen die Initiative. 

Auf der anderen Seite steht die Volksinitiative "Eine Schule für alle", die sich auf Linkspartei, GEW und große Teile von SPD und GAL stützen kann. Auf den Veranstaltungen finden sich vor allem ergraute Achtundsechziger, die ihren Kampf für die Gesamtschule aus den siebziger Jahren nun in das gefälligere "Eine Schule für alle" kleiden. Ihre  Dominanz im Hamburger Bildungswesen ist ebensowenig zu unterschätzen, wie ihre Fähigkeit, ihre ideologisch motivierten Anhänger zu mobilisieren. So ist für den RCDS-Landesvorsitzenden Johannes Keßner (siehe Kasten) denn auch die Einheitsschul-Initiative einer der maßgeblichen Beweggründe seines Engagements für die Bewahrer des Gymnasiums. Die Angst vor einem noch weiteren Linksrutsch zwänge förmlich dazu, sich endlich wieder auf die eigenen Grundsätze in der Bildungspolitik zu besinnen, so die Meinung in der JU.

 "Wir wollen lernen" hat aber nicht nur Allgemeingut bürgerlicher Bildungspolitik zusammengetragen, sondern greift auch eine mögliche soziale Spaltung der Stadt an. Die Qualität des Abiturs an staatlichen Schulen sinke bei Einführung der sechsjährigen Grundschule dermaßen, daß Privatschulen "wie Pilze aus dem Boden schießen". Folge dieses Effektes wäre gerade nicht eine Reduzierung von sozialer Spaltung, sondern deren Verschärfung. Die Gymnasien benötigten die Klassenstufen 5 und 6, um auch leistungsfähigeren Kindern eine sinnvolle Bildung anzubieten. Untersuchungen zeigten, daß die Gesamtschulen ihren Anspruch, auch diese Kinder zu fördern, häufig nicht eingelöst hätten.

Hierbei stützt sich "Wir wollen lernen!" vor allem auf die Ergebnisse der Studie der Berliner Humboldt-Uni zu Schulleistungen, in der festgestellt wird, "daß der mutmaßlich anspruchsvollere Gymnasialunterricht in den Klassenstufen 5 und 6 in allen dort vertretenen Leistungsgruppen höhere Lernerfolge zeitigt". Die von dem Erziehungswissenschaftler Rainer H. Lehmann vorgelegte Studie kommt zu dem Ergebnis, daß die Unterschiede zwischen den Schülern zum Ende der 4. Klasse bereits so stark sind, daß die Erreichung annähernd gleicher Lernstände zu diesem Zeitpunkt kein realistisches Ziel darstellt.

Nun hofft die Initiative auf die nötigen zehntausend  Unterschriften. Ausgerechnet die Grünen bestanden im Koalitionsvertrag darauf, daß Volksentscheide künftig für den Senat bindend sind. Sie könnten damit Hamburg vor ihrer eigenen Schulpolitik bewahrt haben.

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