© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Ohne die Privaten geht es nicht
Gesundheitspolitik: Zukunft der privaten Krankenversicherung - Droht nun die Kopfpauschale durch die private Hintertür?
Michael Lennartz

Die jüngste Mitgliederversammlung des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV) vergangenen Monat in Berlin hatte es in sich. Denn unfreiwilliges Hauptthema der Jahresversammlung war nichts weniger als die Zukunft der privaten Krankenvollversicherung. Die breite mediale Berichterstattung über ein internes Arbeitspapier des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hatte zu wilden Spekulationen geführt: Die private Krankenversicherung in ihrer bisherigen Form stehe vor dem Aus (JF 26/08).

Doch dieses Untergangsszenario wurde vom PKV-Verbandsvorsitzenden Reinhold Schulte klar zurückgewiesen: "Die private Krankenversicherung ist als marktwirtschaftliche Alternative zu einer zunehmend staatlich regulierten Grundversorgung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unverzichtbar. Sie muß weiter ausgebaut werden", erklärte der Vorstandsvorsitzende der Dortmunder Signal Krankenversicherung. Dafür habe sich die Mitgliederversammlung des PKV-Verbandes einstimmig ausgesprochen.

Die private Krankenversicherung stehe "uneingeschränkt zu einem Gesundheitssystem mit gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Zu einem Einheitssystem wird niemand in der PKV die Hand reichen. Auch eine Beschränkung auf die Zusatzversicherung kommt für niemanden in der PKV in Frage. Den Folgen der demographischen Entwicklung können wir nur dann begegnen, wenn mehr Menschen und mehr Leistungen in der kapitalgedeckten PKV abgesichert werden", warnte Schulte.

Die PKV-Klarstellung war notwendig geworden, weil einige börsennotierte PKV-Unternehmen in dem besagten GDV-Papier die Aufgabe der bisherigen privaten Krankenvollversicherung und statt dessen die Einführung eines einheitlichen Grundversicherungssystems skizziert hatten. Die zehn brisanten Textseiten der GDV-Arbeitsgruppe "Soziale Sicherung 2020" unter Führung des Axa-Vorstandschefs Heinz-Peter Roß wurden nach Protesten von Vertretern des PKV-Verbands zwar offiziell entfernt. Aber zu spät: Die Financial Times Deutschland hatte die entscheidenden Passagen schon veröffentlicht.

Ginge es nach Roß und seinen Mitstreitern, dann sollte das traditionelle System von Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Vollversicherung durch eine verpflichtende Grunddeckung für alle ersetzt werden: "Jeder Bürger muß daher in der Krankenversicherung zumindest über einen Grundschutz verfügen bzw. diesen ohne finanzielle Überforderung erlangen können", heißt es in den gestrichenen zehn GDV-Seiten. "Um auszuschließen, daß die Garantie eines Grundschutzes opportunistisch genutzt werden kann, also erst dann eine Versicherung nachgefragt wird, wenn bereits konkrete Behandlungen anstehen oder absehbar sind, ist eine Pflicht zur Versicherung im Hinblick auf den grundlegenden Schutzumfang notwendig."

Für die obligatorische Grunddeckung soll - im Gegensatz zum bisherigen Modell, wo Alter und Gesundheitsstand entscheidend sind - Annahmezwang gelten. Alle Krankenversicherer würden dann verpflichtet, "ein Krankenversicherungsprodukt anzubieten, das genau den politisch festgelegten Grundschutz abdeckt". Die Krankenversicherungsbeiträge sollten künftig (ähnlich wie bei der CDU-Kopfpauschale aus dem Bundestagswahlkampf 2005) einheitlich - ohne Rücksicht auf Alter oder Gesundheitszustand wie in der bisherigen PKV - festgelegt werden.

"Im Rahmen dieses langfristigen Zukunftsmodells kommt es für die heute gesetzlich Krankenversicherten zu einer Abkehr von den bisher einkommensabhängigen Beiträgen" - sprich: Die Sekretärin zahlt genausoviel wie ihr Chef. Die daraus resultierende "gesellschaftlich erwünschte Umverteilung zwischen hohen und niedrigen Einkommen im Hinblick auf die Krankheitskosten" solle in Zukunft nicht mehr über das Krankenversicherungssystem (GKV-Prozentsatz vom Einkommen), sondern "ordnungspolitisch korrekt" über das Steuer-Transfer-System durchgeführt werden. "Analog zum Verfahren in der Pflegeversicherung kann dies in Form von Zuschüssen zu den Beiträgen erfolgen, wenn eine einkommensbezogene Belastungsgrenze erreicht wird."

Auch der Krankenversicherungsschutz für Kinder solle "als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe" durch Steuermittel (aus dem schon jetzt unbezahlbaren Sozialbudget) finanziert werden. Bislang sind Kinder in der GKV beitragsfrei mitversichert, in der PKV sind für sie eigene Beiträge fällig. Die GDV-Kopfprämie wäre die Einführung einer Einheitsversicherung in Deutschland durch die Hintertür und das Ende der privaten Krankenversicherung, denn von reinen Zusatztarifen kann die PKV nicht existieren. Die gibt es schon jetzt - auch für GKV-Versicherte.

Das GDV-interne Arbeitspapier ist brisant, aber es ist weder vom Präsidium noch seinen Fachausschüssen verabschiedet worden. Zudem haben sich die PKV-Unternehmen bislang immer vehement für den Erhalt und die Stärkung der privaten, kapitalgedeckten Krankenvollversicherung eingesetzt. Denn das deutsche Gesundheitssystem braucht eine starke private Krankenversicherung - als marktwirtschaftliche Alternative und als Korrektiv zu einer immer stärker staatlich regulierten GKV. Diese Positionierung gilt unverändert. Insofern kann überhaupt keine Rede davon sein, daß die Branche insgesamt eine "Einheitsversicherung" fordert. Ganz im Gegenteil: Sie tritt weiter für Pluralität und Wahlfreiheit ein - obwohl das angesichts der politischen Entscheidungen der letzten Jahre immer schwieriger wird.

Die Einführung des sogenannten Basistarifs zum 1. Januar 2009 wird für die bisher privat Versicherten zu steigenden Beiträgen führen, da sie die Basis-Mindestversorgung auf GKV-Niveau mit ihren Beiträgen mitfinanzieren und quersubventionieren. Sowohl gesetzliche Kassen als auch private Versicherer müssen diese Grundsicherung anbieten - zu denselben Konditionen. Alle Anbieter müssen - wie in der GKV - jeden Versicherten akzeptieren, unabhängig von Alter und Gesundheitszustand. Ungeklärt ist, ob der Bestandsversicherte nach einem Unternehmenswechsel für eine Mindestdauer im Basistarif bleiben muß, so wie bei einem "Tarifwechsel" in der GKV. Oder soll der Versicherte unmittelbar bzw. bereits nach einer kurzen Zeit unter Mitnahme der Alterungsrückstellung in einen höherwertigen Tarif wechseln können?

In diesem Fall würde es zwingend zu einer Risikoentmischung in bestehenden Versichertenkollektiven und im Basistarif kommen. Nur Junge und Gesunde würden in höherwertige Tarife des neuen Unternehmens "hochgestuft". Leidtragende wären die Nicht-Wechsler, nämlich die alten und kranken Versicherten. Sie hätten den Weggang der Wechsler mit steigenden Beiträgen zu bezahlen. Daneben würden die Privaten Zusatzversicherungen für Leistungen anbieten, die der Grundtarif nicht abdeckt.

Die Ausgaben der privaten Krankenkassen für Privathonorare der Ärzte sind von 1991 bis 2003 um 91 Prozent gestiegen. Sollten viele bisher Privatkrankenvollversicherte in den preiswerteren Basistarif wechseln, würde dies zu einem Einbruch bei den Ärztehonoraren in Milliardenhöhe führen - und das Überleben vieler Arztpraxen gefährden. Denn die viel niedrigeren GKV-Honorare (bzw. künftigen PKV-Basis-Honorare) allein reichen dafür nicht aus.

Seit 15 Jahren besteht im deutschen Gesundheitswesen Budgetierung. Die Folgen dieser Politik sind überall sichtbar: Ärzte kehren in großer Zahl den neuen Bundesländern den Rücken zu, auch weil sie angesichts einer zu niedrigen Zahl von Privatversicherten unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen in der GKV nicht zur ärztlichen Tätigkeit bereit sind.

Behandlungszeiten für Kassenpatienten werden in Arztpraxen systematisch gekürzt, um mit Budgets auszukommen, die immer langsamer wachsen, als die Kosten steigen. Behandlungstermine für Kassenpatienten werden oft in das nächste Quartal verschoben. Die persönliche Patientenbetreuung findet bei gesetzlich Versicherten angesichts sinkender Beschäftigtenzahl, das heißt aus Kostengründen, in den Praxen und Krankenhäusern immer weniger statt. Sie sind real und sie werden bei fortbestehendem Finanzdruck auch weiter voranschreiten.

Der Staat greift die Selbstverwaltung der GKV-Kassen an, indem er in die Beitragsautonomie eingreift und selber die Höhe des Beitrags bestimmt. Er degradiert die Kassen zu staatlich geführten Gesundheitsfondsverwaltern. Wenn der Staat alle Institutionen gestärkt und zentralisiert hat, die diese Rationierungen betreiben, dann ist die Zukunft der Kassen klar erkennbar: Unter staatlicher Führung werden die Leistungen in der GKV zunehmend so definiert, daß die knappen Geld- und Budgetmittel ausreichen. Und wenn dann noch der demographische Wandel hinzukommt, dann wird der GKV-Leistungskatalog immer mehr durch Knappheit dirigiert werden.

Der Vorteil der Privaten Krankenversicherung ist die freie Auswahl des Versicherten aus verschieden Tarifen und Leistungen, im Gegensatz zu den für alle gleichen Einheitsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen nach staatlicher Leistungsdefinition. Gerade im Bereich der Kranken- und Pflegeabsicherung wird sich zeigen, daß die private, kapitalgedeckte Kranken-und Pflegeversicherung in der Zukunft die bessere Alternative für alle in Deutschland ist. Am 10. Juli findet das nächste PKV-Verbandstreffen statt. Die Diskussion geht weiter.

Der Verband der privaten Krankenversicherung offeriert Zahlen und Fakten zur PKV im Internet: www.pkv.de/zahlen/krankenversicherung/

Foto: Ärztin mit Privatpatientin: Das System gesetzlicher und privater Vollversicherung durch eine verpflichtende Grunddeckung für alle ersetzen?

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