© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Leserbriefe

Zu: "'Ich warf den ersten Stein'" von Hinrich Rohbohm, JF 25/08

Fehler, die SED nicht zu verbieten

Es gibt noch mehr Zeitzeugen, die als Ost-Berliner den 17. Juni 1953 bewußt miterleben mußten. Doch es tickt die biologische Uhr, so daß die nachgeborenen Generationen nichts mehr von den damaligen Ereignissen wissen. Der obige Beitrag war für mich deshalb von besonderem Interesse, weil ich die Segnungen des Sklavenhalterstaates ebenso wie Horst Kreeter kennenlernen durfte: Inhaftierung als 28jähriger ab 28. März 1955 bis 5. Juli 1963, verurteilt nach Artikel 6 der ostzonalen Verfassung. Danach nochmals ab dem 8. September 1964 bis 26. August 1965 wegen "Republikflucht". Meine Stationen waren Hohenschönhausen -Frankfurt/Oder-Cottbus-Torgau-Waldheim.

Der heutige bundesdeutsche politische Zustand ist auf die gravierenden Fehler des früheren Kanzlers Kohl zurückzuführen, der zunächst die SED nicht als kriminelle Vereinigung verbieten ließ, die Täter nicht zur Rechenschaft zog, sich lediglich von den dialektisch geschulten Kadern über den Tisch ziehen ließ, zumal ihm die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ostzone unbekannt waren, und darüber hinaus die Menschen ein zweites Mal enteignete.

Olaf Gehrke, Bielefeld

 

 

Zu: "Lieber Hungerlohn als arbeitslos" von von Klaus Peter Krause, JF 27/08

Flächendeckend, nicht punktuell

Sicherlich ist es besser, wenn ein Sozialhilfeempfänger selbst etwas zu seinem Lebensunterhalt beiträgt, anstatt sich vollständig von der Allgemeinheit durchfüttern zu lassen. Der Mindestlohn hat aber noch eine weitere Seite.

Folgendes spielt sich in den Fabriken im Großraum Stuttgart ab (habe ich selbst erlebt und gesehen): Tatort ist ein Automobil-Zulieferer, Metallindustrie. Leiharbeiter 1, seit vier Jahren in der Leihfirma (mit altem Vertrag), frisch auf dieser Entleihstelle: erhält etwa 11 Euro pro Stunde plus Zusatzleitungen; Leiharbeiter 2, neuerer Vertrag: 7,65 Euro pro Stunde plus 1 Euro Zuschlag, keine Zusatzleistungen (Fahrtkosten usw.); Leiharbeiter 3 (war vorher arbeitslos): 6,50 Euro pro Stunde. Obwohl nun die entleihende Firma für diese drei Leute den gleichen Betrag an den Sklaventreiber bezahlt, muß die Allgemeinheit Leiharbeiter Nr. 3 mit Sozialleistungen unterstützen.

Wer aber keine Sozialleistungen bekommt, weil er artig gespart hat, geht 40 Stunden in der Metallindustrie in Stuttgart arbeiten und setzt noch zu. Und wenn das Wechseln so einfach wäre, würden die Leute nicht unter diesen Bedingungen arbeiten. Aber dieses Phänomen ist nicht punktuell. Es ist flächendeckend.

Würde der Arbeitgeberverband Metall dafür sorgen, daß die jeweilige Personalabteilung, nicht der Betriebsrat, die real ausbezahlten Löhne überprüft und Firmen, die gleichermaßen ihre Mitarbeiter und den Staat ausplündern, gebannt werden, wie blöd würden dann Lafontaine und Gysi aus der Wäsche gucken?

Jürgen Neithardt, Stuttgart

 

Es hängt von der Branche ab

Ein sehr guter Artikel, doch zwei wichtige Aspekte blieben unbeleuchtet: Zum einen besteht das Problem, daß Arbeitgeber dort, wo es möglich ist, zumindest Neueinstellungen so besetzen, daß der Steuerzahler für sie Teile des Gehaltes bezahlen muß. So werden bislang "normal" bezahlte Arbeitsplätze leider teilweise unnötig zu Subventions-Arbeitsplätzen.

Zweitens: Mindestlöhne sind dort durchsetzbar, wo der Kunde mit seinem Auftrag nicht einfach nach China fliegen kann, weil sich das nicht lohnt. Zwar werden Krabben erst mal nach Marokko geschippert, um dort billiger gepuhlt zu werden als in Deutschland, aber von Flugzeugen voll mit langhaarigen Deutschen, die nur zum Haarschneiden nach China oder Rumänien fliegen, habe ich noch nicht gehört. Gleiches gilt für Fensterputzer mit ausgebauten Scheiben in der Hand, die dann zum billigen Putzen der Scheiben nach Brasilien oder Bulgarien fliegen. Es hängt also stark von der Branche ab. So allgemein kann man das nicht bewerten, man muß in Details gehen. Teilweise haben staatlich festgelegte Mindestlöhne also schon Sinn und vernichten keine Arbeitsplätze.

Jens Wulf, Hilden

 

 

Zu: "Nachkommenschaft in Gefahr" von  Michael Howanietz, JF 26/08

Experimente nicht schlüssig

Die "Russische Studie" von Irina Ermakowa gehört zu der geringen Zahl von Untersuchungen, die über direkte, gesundheitsrelevante Wirkungen von gentechnisch verändertem (gv-) Saatgut berichten.

Die vielleicht berühmteste vergleichbare Studie ist die Arbeit von Dr. Pusztai vom schottischen Rowett-Institut über die Schädigung von Ratten durch experimentelle, also nicht zugelassene transgene Kartoffeln. Eine nachfolgende umfangreiche, unabhängige Studie kam aber zu dem Ergebnis, daß die vorgelegten Daten die gezogenen Schlüsse nicht belegen können.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Ermakowa-Studie. Die Experimente sind nicht sauber durchgeführt, deshalb auch nicht schlüssig und demzufolge bislang auch von keiner seriösen wissenschaftlichen Zeitung publiziert worden. Genaueres ist in der Zeitschrift Nature Biotechnology 25, 981-987 vom 1. September 2007 nachzulesen.

Dort wird noch auf eine andere interessante Tatsache hingewiesen. Bereits im September vorigen Jahres hatten über 500 Organisationen die Studie als Beweis für die Toxizität von gv-Soja zitiert. Welche davon wird berichtet haben, daß die Studie wissenschaftlich nicht haltbar ist?

Ulrich Wobus, Gatersleben

 

 

Zu: "Längst ein Teil der Gesellschaft" von Peter Freitag, JF 26/08

Armutszeugnis der Emanzen

Wo bleiben eigentlich unsere Betroffenheitspolitikerinnen wie Claudia Roth, Rita Süssmuth oder Feministinnen wie Alice Schwarzer? Von diesen in der Öffentlichkeit stehenden Polit-Promis hört man seit Jahren kein Sterbenswörtchen zum heißen Thema der sogenannten "Ehrenmorde"- sehr seltsam, da sich gerade diese Damen doch angeblich so für die Emanzipation der Frau hierzulande eingesetzt haben.

Daß niemand für diese armen Mädchen aus anderen Kulturkreisen eintritt, ist natürlich nicht nur ein Armutszeugnis dieser Emanzipationsbewegung, sondern der ganzen Ego-Gesellschaft in diesem Land. Zudem ist es schon fast zynisch und paradox, daß sich Mädchen aus Zuwandererkreisen, welcher Generation auch immer, unseren Lebensgewohnheiten anpassen und der Staat sie dann nicht einmal schützen kann.

Katrin Hollstein, Hamburg

 

 

Zu: "Ich werde überleben!", Interview mit Sabatina James, JF 26/08, und "Längst ein Teil der Gesellschaft" von Peter Freitag, JF 26/08

Als gehöre die Türkei zu Europa

Beide Beiträge zeigen, daß die Mentalität und Denkweise in islamisch geprägten Ländern meilenweit von der europäischen entfernt ist. Obwohl unsere Politiker bestens darüber informiert sind, was die Aufnahme der Türkei in die EU bedeutet, unterwerfen sie sich auch da amerikanischen Vorgaben. Nun wird via Fußball so getan, als gehöre die Türkei zu Europa, obwohl sie doch weder geographisch noch kulturell ein europäisches Land ist. Auf diese Weise soll uns das aber wohl suggeriert werden.

Vom Euro über den sogenannten Verfassungsvertrag bis zur Aufnahme von Vertreiberstaaten und nun vielleicht sogar der Türkei - es wird am Willen der Mehrheit vorbeiregiert. Längst wäre es Zeit für Volksbefragungen, wenn wir in einer Demokratie lebten, aber das glauben eben immer weniger.

Dorothea Kunze, Bensberg

 

 

Zu: "Krieg zweier Angreifer" von Heinz Magenheimer, JF 26/08

Die Sprache der Tatsachen

Der Historiker Magenheimer trifft in seinem Beitrag den Kern der Sache: Die Tatsachen sprechen eine deutlichere Sprache als die noch immer gängigen Interpretationsversuche um den 22. Juni 1941, als die deutsche Wehrmacht eine angeblich friedliche Sowjetunion angriff. Eine umfangreiche Literatur dokumentiert, daß Stalin die Rote Armee planmäßig für einen umfassenden Angriffskrieg aufgerüstet und bereits vor Ausbruch des deutsch-sowjetrussischen Krieges eine imperialistische Politik im Namen der Weltrevolution betrieben hat, wie auch sein Vorgehen gegenüber Polen, Finnland, den baltischen Staaten und Rumänien zeigt.

In diesem Zusammenhang erscheint die Frage zweitrangig, ob nun Hitler oder Stalin einen Präventivkrieg geplant hat. Auf jeden Fall dürfte die Geschichte einer friedliebenden Sowjetunion eine Legende sein. Aber dies wird kaum diskutiert, und auch im Geschichtsunterricht wird laut Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien kaum eine andere Darstellung als die offizielle möglich sein. Was von dieser Linie abweicht, gilt als "Revisionismus" - übrigens ein unabdingbares Wissenschaftsprinzip, ohne das keine Forschung möglich ist. Die Verfolgung der "Revisionisten" erinnert schon an die heilige Inquisition und an die Liquidierung der "Abweichler" im Kommunismus.

Ernst Hildebert Kratzsch, Rosengarten

 

 

Zu: "Der Waschzwang der Söhne" von Rainer Gebhardt, JF 25/08

Massenmörder als Idol

Rainer Gebhardt setzt sich mit dem Kampf zwischen Söhnen und Vätern wegen deren "brauner" Vergangenheit auseinander. Er behauptet, der Kampf der Väter sei aussichtslos. Ich bin anderer Ansicht.

Die Söhne führen diesen Kampf auf einer brüchigen Grundlage. Sie haben niemals in der gleichen Situation wie die Väter gestanden und haben niemals beweisen müssen, daß sie sich in einer Diktatur anders als ihre Väter verhalten hätten. Solange sie diesen Beweis nicht erbracht haben, steht den Söhnen kein Recht zu, ihre Väter zu verurteilen. Wer verurteilt, ohne dieses Recht zu haben, handelt unmoralisch und anmaßend.

Als weiterer Grund für die fehlende Legitimation der Söhne für die Kritik an ihren Vätern kommt hinzu, daß die Achtundsechziger Mao zu ihrem Idol erkoren haben. Mao war ein weit schlimmerer Diktator und Mörder als Hitler. Jung Chang und Jon Halliday weisen in ihrer Biographie "Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes" nach, daß Mao für den Tod von 70 Millionen Chinesen verantwortlich ist. Das ist ein Vielfaches der von Hitler zu verantwortenden Toten. Wer sich freiwillig den Massenmörder Mao als Idol wählt, verliert das Recht und die moralische Autorität, diejenigen zu kritisieren, die Hitler freiwillig oder oft gezwungenermaßen gedient haben.

Joachim Koch, Höhenkirchen

 

 

Zu: "Das Pulverfaß am Kap" von Peter Scholl-Latour, JF 25/08

Modell für ein anderes Afrika

Der Beitrag ist sachlich vielfach falsch. Die Darstellung über den Tourismus ist irreführend und könnte Menschen davon abhalten, eine Reise in dieses schöne Land zu unternehmen. Kaum ein Land ist so gut geeignet für Individualreisen wie Südafrika. Daß es Busreisen gibt, liegt an der Nachfrage von Kunden und nicht an den "abgesicherten Pfaden" der Tourismusindustrie.

Meine Frau und ich leben seit elf Jahren stets ein Vierteljahr in Südafrika, reisen viel herum, haben viele Freunde, auch aus Simbabwe, und meine Frau arbeitet für eine südafrikanische Firma. Wir und viele unserer Freunde sind über die letzten elf Jahre Tausende von Kilometern durch dieses wunderbare Land in unseren PKWs gefahren - überall hin; vielleicht sollten wir Herrn Scholl-Latour einfach einmal mitnehmen.

Südafrika hat Probleme: Aids, hohe Kriminalität, hohe Arbeitslosigkeit und eine inkompetente Regierung. Das Land ist jedoch reich an Ressourcen, hat eine gute Bevölkerungsstruktur, die mit keinem Land Afrikas vergleichbar ist, und ein funktionierendes Bildungssystem sowie eine gute Infrastruktur. Alle, die das Land wirklich kennen und guten Willens sind, müssen erkennen, daß Südafrika ein Modell sein kann für ein anderes Afrika.

Prof. Dr. Bodo Dencker, Bad Nenndorf

 

 

Zu: "'Zappeln über dem Abgrund'", Interview mit Ulrich Schacht, JF 25/08

Ignoranz westdeutscher Eliten

Beim Lesen des Interviews kam mir ein Beispiel in Erinnerung, daß die Ignoranz der westdeutschen Eliten gegenüber dem Volksaufstand von 1953 und der Wende von 1989 demonstriert. Der deutsche Außenminister Fischer - in Ungarn übrigens wegen seiner ungarndeutschen Wurzeln beliebt - reagierte einmal genervt auf Vergleiche, die die britische Presse im Zusammenhang mit einem Fußballereignis zwischen den deutschen Fußballern und dem Stechschritt in der deutschen Armee anstellte. An den Stechschritt könne sich bereits seine Generation nicht mehr erinnern, wurde er zitiert, als gehörte die Erinnerung an die NVA, die den Stechschritt bis 1989 praktizierte, nicht zur Geschichte des von ihm vertretenen Landes.

Ein amtlich schlechtes Gewissen brauchte der Außenminister wegen der NVA natürlich nicht zu haben, da diese nicht im Krieg mit Großbritannien stand. Wie wenig Einfluß die Wiedervereinigung auf das Denken und Fühlen der westdeutschen Politiker seiner Generation hatte, dafür war die Reaktion jedoch typisch.

Peter Köhler, Budapest, Ungarn

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen