© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/08 04. Juli 2008

Deutsch-Polnische Medientage: Alle schreiben im Mainstream
Verlust an Meinungsvielfalt
Ronald Gläser

Anfang Juni reisten rund einhundert deutsche Vertriebene nach Petersdorf/Schlesien, um an einer ganz besonderen Feierstunde teilzunehmen. Mitten im Zentrum der Kleinstadt im Riesengebirge weihten sie einen Gedenkstein ein, der an ihre alte evangelische Kirche erinnert. Diese Kirche ist 1967 von den Polen eingerissen und der dazugehörige Friedhof dem Erdboden gleichgemacht worden. Die deutschen Einwohner der Stadt waren zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwanzig Jahren aus ihrer Heimat vertrieben.

Jetzt, vierzig Jahre nach der Zerstörung des Gotteshauses, arbeiten die Polen ihre Vergangenheit auf. Der Gedenkfeier stand von offizieller Seite nichts im Wege. Im Gegenteil. Der Gemeinderat von Petersdorf (Piechowice) hat einstimmig dafür gestimmt, die Bürgermeisterin war bei der Feier anwesend, und die Feuerwehr-Musikkapelle spielte auf. So sieht die Versöhnung an der Basis aus. Bei den einfachen Leuten steht es ungeachtet der Dämonen der Vergangenheit ganz gut zwischen den Nachbarn.

 Schlimm wird es, wenn man die Boulevardpresse beider Länder ins Auge faßt. Die antideutschen Ausfälle von Wprost (Erika Steinbach in SS-Montur) bis Super Express (Ballack und Löw enthauptet) sind dem Zeitungsleser bekannt - nicht zuletzt deshalb, weil sie von Bild & Co. gekontert werden. Die Polen werden auch sonst von der deutschen Boulevardpresse nicht mit Samthandschuhen angefaßt. Vor kurzem erst brachte der Berliner Kurier eine Titelgeschichte über die Ganoveninvasion aus Polen.

Wie aber steht es wirklich um das deutsch-polnische Verhältnis? Wie stark ist der Einfluß der Medien auf die gefühlten Beziehungen zwischen Deutschen und Polen? Mit derlei Fragen befaßte sich eine Konferenz der Robert-Bosch-Stiftung in Potsdam.

Bei einer solchen Zusammenkunft darf natürlich die Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-polnischen Beziehungen, Gesine Schwan, nicht fehlen, die in ihrer Eröffnungsrede zu mehr Gelassenheit aufrief: "Wer eigene Erfahrungen gemacht hat, der braucht keine Medien." Soll heißen: "Skandalisierungen muß man Gleichgültigkeit entgegensetzen, vielleicht auch mal mit ein bißchen Humor kontern und damit unschädlich machen." Wohlfeile Sätze, an die die Präsidentschaftskandidatin erinnert werden sollte, wenn die nächste Kneipenschlägerei von den Medien zu einem "rassistischen Übergriff" hochstilisiert wird.

Danach widmeten sich die Teilnehmer mehrerer Diskussionsrunden vor allem der Entwicklung der nationalen Medien und der Meinungsfreiheit. Dabei kam Erstaunliches zutage. Ausgerechnet ein ZDF-Journalist offenbarte seine nonkonformistischen Ansichten: Peter Frey (Berlin direkt) rügte den Verlust an Meinungsvielfalt in Deutschland. "Es gibt eine Tendenz zur Vereinheitlichung der Berichterstattung", sagte er. Die vielfältigen neuen Möglichkeiten (Internet etc.) hätten überraschenderweise dazu geführt, daß nun erst recht alle das gleiche machten. Beispiele nannte er nicht.

Zwei polnische Kollegen klagten erst recht über die Einseitigkeit der Berichterstattung über die EU in beiden Ländern. Andrzej Godlewski (Polska) sagte: "Keine einzige ernstzunehmende polnische Zeitung sagt: Gut, daß die Iren das abgelehnt haben." Statt dessen schrieben alle Zeitungen "im Mainstream". Dem pflichtete Bronislaw Wildstein (Rzeczpospolita) bei, der sich als Gegner der EU-Verfassung gerierte und den Befürwortern des "schrecklichen Papiers" vorwarf, keine Ahnung zu haben, was sie da unterstützten. "Die Anhänger der Verfassung haben es nicht gelesen und haben schon vorher gewußt, daß sie es für gut zu befinden haben", sagte er.

Die polnischen Medien täten sich schwer mit den Vertreibungsverbrechen, kritisierte der Focus-Ressortleiter Ulrich Schmidla. In polnischen Schulbüchern stehe nichts darüber, bemängelte er.

Auch in Deutschland gebe es eine Menge Denk- und Schreibverbote, antworteten mehrere Polen. NPD-Erfolge würden kleingeredet, über die geplante Ostseepipeline hingegen niemals negativ berichtet. Das waren sie wieder - die polnischen Verschwörungstheorien, die aber nur am Rande auftauchten und keinesfalls die Diskussion bestimmten. Vielleicht sind sie aber demnächst in Wprost nachzulesen.   

Foto: Ministerpräsident Matthias Platzeck (r./SPD), Polens Botschafter Marek Prawda, Gesine Schwan: Eintracht in Potsdam

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen