© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/08 11. Juli 2008

Furcht vor dem Prinzipienverrat
Hessen: Während Andrea Ypsilanti noch immer von der Macht träumt, suchen CDU, FDP und Grüne einen Weg aus dem politischen Patt
Hans Christians

In Berlin wird gemunkelt, die hessische SPD-Frontfrau Andrea Ypsilanti habe derzeit nicht viel gemeinsam mit dem politischen Kurs ihres Parteivorsitzenden Kurt Beck. Und doch, es gibt eine Gemeinsamkeit, die beide Sozialdemokraten miteinander vereint: ihr Absturz in den Umfragen.

Während für Kurt Beck die schlechten Zahlen der Meinungsforscher mittlerweile zum täglichen Brot gehören, betritt die noch vor wenigen Monaten hoch gehandelte Ypsilanti Neuland. Gerade einmal 27 Prozent der hessischen Wähler würden der SPD bei Neuwahlen ihre Stimme geben, das ist der schlechteste Wert seit Jahren und bedeutet einen Rückgang von knapp zehn Prozent im Vergleich zur Landtagswahl vom 27. Januar 2008. Damals kürte sich Ypsilanti etwas vorschnell zur Siegerin, obwohl sie letztlich um einen Zehntelprozentpunkt vom amtierenden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) geschlagen wurde.

Der regiert seitdem gemäß der hessischen Landesverfassung mit einem Minderheitskabinett und kann den innerparteilichen Kabalen der SPD-Granden entspannt zusehen. Denn der Ton in den Leitungen zwischen Wiesbadener Oppositionsbank und Berliner Willy-Brandt-Haus wird rauher. Beck, so heißt es, wolle Ypsilanti verbieten, noch einmal den Versuch zu machen, eine rot-rot-grüne Regierungsmehrheit auf die Beine zu stellen. Dies scheiterte bereits im Februar an der parteiinternen Abweichlerin Dagmar Metzger. Und weitere Verweigerer scheinen nicht ausgeschlossen. Dies macht in Hessen alle nervös, außer Ministerpräsident Roland Koch. Mal weist er die Opposition süffisant auf einen Fehler im Gesetzestext hin, um diesem dann seine Unterschrift zu verweigern, mal läßt er durch seinen Finanzminister eine Haushaltssperre beschließen, und gelegentlich spielt er auch mal das Einknicken vor der Mehrheit mit, wie bei der Verabschiedung der zweiten Fassung des Gesetzes zur Abschaffung der Studiengebühren.

Alles in allem zeigt sich Koch kühl-berechnend staatsmännisch und läßt die Oppositionsparteien alt aussehen. Die  ziehen daraus ihre eigenen Schlüsse. Andrea Ypsilanti sondiert die Mehrheitsverhältnisse im eigenen Lager und erwägt, sich auf dem Landesparteitag am 13. September die Rückendeckung der Basis für einen erneuten Versuch der Einbindung der Linksextremisten zu holen. Parteichef Beck sieht sich mehr und mehr genötigt, in die Niederungen der hessischen Landespolitik hinabzusteigen. Denn bei einem rot-rot-grünen Bündnis in Hessen kann die SPD nicht viel gewinnen. Sollte Ypsilanti die Kür zur Ministerpräsidentin erfolgreich überstehen, würde man der SPD zu Recht Wortbruch vorwerfen. Sollte sie scheitern, käme die Erkenntnis der strategischen Inkompetenz hinzu. Zumal sich Becks Rivale, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, sehr deutlich und überzeugend von einem Bündnis mit den Linken distanziert.

Doch während sich die hessische SPD ahnungslos gibt ("Alle Planspiele sind im Urlaubskoffer"), rumort es in den Reihen der Wiesbadener Fraktionen. So fordert der FDP-Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn - gestärkt durch positive Umfragewerte -, Ypsilanti solle endlich die Machtfrage stellen: "Sie muß klären, ob sie die Partei hinter sich hat, was ich persönlich bezweifle. Selbst wenn es so kommt, muß sie die Fraktion hinter sich bringen. Das wird ihr nicht gelingen. Nicht alle Sozialdemokraten werden diesen Kurs mittragen." In der Beurteilung dieser Lage ist sich der FDP-Politiker mit seinem grünen Kollegen Tarek Al-Wazir einig. Der Intimfeind von Koch ist hörbar auf Distanz zu Ypsilanti gegangen und spricht seit Wochen nur noch von einem "Politikwechsel", der nötig sei. Der angestrebte Regierungswechsel wird dabei ausgeklammert.

Weil so recht niemand mehr an ein Ypsilantis-Comeback unter der Beteiligung der Linken glaubt, werden nun alle anderen Optionen erneut durchgespielt. Die von den Grünen zunächst deutlich favorisierte Ampelkoalition scheidet aufgrund des kategorischen Neins der FDP aus. Blieben Neuwahlen oder die erste schwarz-gelb-grüne "Jamaika-Koalition". CDU und FDP bevorzugen offiziell diese Lösung. Und auch bei den Grünen, die sich bislang vehement gegen Ministerpräsident Koch stellten, gibt es erste Abweichler. Allen voran Evelin Schönhut-Keil, ehemalige Landtagsabgeordnete, Ex-Parteivorsitzende in Hessen und bis heute Mitglied des Parteivorstands. "Es spricht nichts mehr gegen ein schwarz-grünes Bündnis in Hessen", sagte sie dem Spiegel. Ihr ehemaliger Amtsvorgänger Hubert Kleinert, einst enger Weggefährte des früheren Außenministers Joschka Fischers, ergänzt: Eine Jamaika-Koalition mit Union und FDP sei ,,strategisch interessanter" als das bislang favorisierte Ampelbündnis mit SPD und FDP.

Doch die Wiesbadener Fraktionsführung weigert sich noch beharrlich, diesen Gedankenspielen nachzugehen. So groß ist die Furcht vor dem Prinzipienverrat. So könnten sich CDU, FDP und Grüne auf einen Minimalkonsens einigen: den Landtag Anfang kommenden Jahres mit Zweidrittelmehrheit aufzulösen, um damit Neuwahlen zu beschließen. Dieses Szenario klingt derzeit am realistischsten - auch weil alle drei Parteien momentan in der Wählergunst gut dastehen.

Foto: Tarek Al-Wazir (l.), und Ministerpräsident Roland Koch im Landtag: "Strategisch interessant"

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